Auf Auszubildende zugehen

Vor Kurzem erst hat Manuel Wittenburg einen Anruf von unserer IHK Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) bekommen. Ob er kurzfristig ein Bewer­bungstraining in der 8. Klasse einer Oberschule durchführen könne? Der 42-jährige Personalmanager der Kuhlmann Leitungsbau GmbH hat nicht lange überlegt und spontan zugesagt: „Gute Zusammenarbeit beim Thema Ausbildung ist wichtig. Und wenn jemand einfallsreiche Konzepte anbietet, dann sollte man den Ball auch aufnehmen.“
Bewerbungstraining, Präsenz im Moin-Future-Pop-up-Store für Azubis in der Lüneburger Innenstadt, Recruiting-Fußballcamp – der Experte weiß, dass es heute innovativerer Konzepte bedarf, als einer klassischen Messe, um junge Menschen für eine Ausbildung zu begeistern. Gerade in einer Branche wie dem Tiefbau, die seit rund anderthalb Jahren sein Metier ist und die häufig mit alten Vorurteilen zu kämpfen hat. Dass das Unternehmen, das zur Seier GmbH mit insgesamt 550 Mitarbeitenden gehört, an den drei von ihm betreuten Standorten Lüneburg, Dannenberg und Wittenburg aktuell die gewünschten 17 Auszubildenden hat, habe mit einer frühzeitigen und offenen Ansprache auf sorgsam ausgewählten Veranstaltungen zu tun. Dafür ist Manuel Wittenburg selbst zuständig, dabei helfen ihm aber auch die sogenannten Ausbildungsbotschafter*innen – junge Auszubildende, die bei dem IHKLW-Angebot an Schulen von ihrem Job erzählen (S. 30). „Coole Kollegen, die zum Beispiel von den modernen Maschinen berichten, die sie bedienen und fahren. “
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, gelte es, verstärkt auf die Bedürfnisse der jungen Menschen einzugehen. Nicht nur beim Werben um Nachwuchskräfte, zu dem auch die Vermittlung von Praktikumsplätzen gehöre, sondern auch in der Ausbildung selbst. „Bei uns sieht der Rahmenplan vor, dass die Auszubildenden im ersten Jahr quasi nur in der Schule sind.“ Weil diese aber lieber „draußen im Graben und auf dem Bagger“ seien, plane Kuhlmann Gerätelehrgänge ein, bei denen sich die Azubis eine Woche lang in der Kiesgrube ausprobieren können. Wer besonders gute Leistungen zeige, könne Vorgesetzte auf Montage begleiten. „Wir zeigen guten Auszubil­denden schnell Perspektiven auf. Was Übernahmechancen angeht, aber auch spätere Entwicklungsmöglichkeiten – vom Lkw-Führerschein bis zur Meisterschule“, sagt Manuel Wittenburg.
Kuhlmann zählt zu jenen, die erkannt haben, wie man Nachwuchskräfte abholt. Auch, weil akzeptiert werde, dass jede Generation anders ist, als die der Eltern oder Großeltern, so Wittenburg. Das Unternehmen sei stolz darauf, dass Kuhlmann-Azubis schon häufig zu den besten Berufsabsolventen des IHKLW-Bezirks oder gar zu den Besten auf Landes- oder Bundesebene gehört haben.
Entgegenkommen kann mehr bewirken als Druck, das weiß auch Nele Uhl, IHKLW-Beraterin für Berufsorientierung. „Dass es für viele Betriebe schwieriger wird, Ausbildungsplätze zu besetzen, hat nicht nur mit langfristigen Faktoren wie einer zunehmenden Akademisierung zu tun, sondern auch mit einer fehlenden Orientierung bei den Schüler*innen.“
Bei 350 Ausbildungsberufen sei die Auswahl groß, die Entscheidungsfreudigkeit jedoch häufig nicht. „Viele sitzen dem Irrtum auf, sich ein für alle Mal festlegen zu müssen. Das schürt die Angst, sich möglicherweise falsch zu entscheiden. Deshalb ist es wichtig, ihnen die bestehenden Entwicklungsmöglichkeiten mit einer Ausbildung aufzuzeigen“, sagt Nele Uhl. Das gelte nicht nur für kleine und mittelständische Unternehmen, sondern auch für Konzerne, die den Fachkräftemangel mittlerweile ebenfalls deutlich zu spüren bekommen.
Wie sehr sich Ausbildung im Wandel befindet, beobachtet auch Michael Heuer, seit 25 Jahren IHKLW-Ausbildungsberater für gewerblich-technische Berufe. „Ausbildungsbetriebe müssen mehr bieten als früher und flexibler sein. Dazu kann es gehören, eine Ausbildung in Teilzeit anzubieten oder auch Homeoffice-Tage.“ Es komme außerdem darauf an, den Schulabsolvent*innen zu vermitteln, dass es Berufe wie Fachkraft für Metalltechnik oder Maschinen- und Anlagenführer*in gebe, die sie in zwei Jahren erlernen können. „Geld ist für viele Jugendliche gar nicht das primäre Entscheidungskriterium, sondern Spaß in der Ausbildung, eine ausgewogene Work-Life-Balance und Wertschätzung“, sagt der 56-Jährige.
Ende 2022 hat unsere IHKLW 3.596 neue Ausbildungsverträge in IHK-Berufen verzeichnet. „In diesem Jahr wird die Zahl vermutlich leicht steigen, die Tendenz ist bis jetzt positiv, und ich gehe davon aus, dass wir auch in 2024 eine steigende Zahl haben werden“, so Heuer. Er appelliert an Unternehmen, nicht besetzte Ausbildungsplätze unbedingt an die Agentur für Arbeit zu melden – auch kurzfristige Entscheidungen für einen Beruf sind keine Seltenheit mehr.
Eine höhere Sichtbarkeit ist essenziell – diese erlangen Unternehmen auch beim „Zukunftstag digital“ der IHKLW (S. 30): Fast 60 Unternehmen aus dem IHK-Bezirk ergriffen in diesem Jahr die Chance, sich nicht nur vor Ort, sondern auch digital einer größeren Gruppe an potenziellen Bewerber*innen zu präsentieren. 3.700 junge Menschen haben das Angebot in diesem Jahr genutzt. Auch Manuel Wittenburg war Referent und zeigt sich angetan. „Wer junge Menschen für eine gute Ausbildung begeistern möchte, der darf keine Scheuklappen haben und muss bereit sein, über bestehende Grenzen zu denken.“
Dazu gehört für ihn längst, keine festen Zielgruppen vor Augen zu haben. Ab August wird bei Kuhlmann in Lüneburg zum ersten Mal eine junge Frau zur Tiefbauerin ausgebildet. Außerdem noch ein Vater ohne Schulabschluss. Und weil Kuhlmann sich dem Thema Inklusion öffnen möchte, wird ab September ein Praktikant mit einer leichten körperlichen Einschränkung im Unternehmen anfangen. Seit dem letzten Jahr gehörten zum Team auch zwei junge Azubis aus der Mongolei, mit der ein Austausch-Programm existiere. „Nach einem Jahr Deutschkurs gibt es kaum einen gesteigerten Betreuungsaufwand“, stellt Wittenburg fest. Kuhlmann brauche dringend einen Zuwachs an Auszubildenden, auch wegen des Ausbaus des Glasfaser- und Stromnetzes.
Schon seit einer Weile sorgt Manuel Wittenburg dafür, dass bei Rekrutierungsveranstaltungen ein Minibagger dabei ist. Von einem seiner eigenen Söhne weiß er, dass dieser Anreiz nicht zu unterschätzen ist, um ins Gespräch zu kommen. Schließlich fängt auch dieser im Sommer eine Ausbildung bei Kuhlmann an.
Alexandra Maschewski
IHKLW-Siegel für Top-Ausbildungsbetriebe
Exzellente Ausbildungsleistungen sichtbar machen und die duale Berufsausbildung als attraktives Angebot präsentieren – das geht mit dem IHKLW-Siegel „TOP AUSBILDUNG“. Das dreistufige Verfahren beinhaltet einen Qualitäts-Check auf Basis einer Selbsteinschätzung des Unternehmens, eine Beratung von IHKLW-Ausbildungsberater*innen und im dritten Schritt ein kostenpflichtiges Audit. Dabei geht es um Ausbildungsmarketing und Rekrutierung, die Gestaltung des Ausbildungsstarts, Organisation und Durchführung der Ausbildung sowie die Prüfung und die Perspektiven nach der Ausbildung. Das Siegel kann – nach bestandenem Audit – drei Jahre lang werbewirksam in Stellenanzeigen und bei Ausbildungsmessen genutzt werden.
Weitere Informationen, Ansprechpartner*innen und bisher zertifizierte Unternehmen sind hier zu finden: TOP Ausbildung.
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