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„Nachhaltigkeit fordert ein gesellschaftliches Umdenken“
Was bedeutet die EU-Taxonomie für Unternehmen in der Region? Was ist nachhaltig in Bezug auf Finanzierungen? Ein Interview mit Vasco Jäger, Leiter des Bereichs Gewerbliche Kunden bei der Sparkasse Lüneburg.
Herr Jäger, auf ihrem Weg zur Einhaltung der Klimaschutzziele setzt die Europäische Union unter anderem auf nachhaltige Finanzierungen: Umwelt- und soziale Aspekte sollen in die Finanzierungsentscheidungen von Kreditinstituten einfließen. Nachhaltig ausgerichtete Unternehmen kommen dadurch in eine bessere Verhandlungsposition. Was sollten Unternehmen jetzt beachten, um möglichst gut dazustehen?
Erst einmal ist es das Wichtigste, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen. Was bedeutet die EU-Taxonomie für das Unternehmen, für das Geschäftsmodell? Das ist der Fokus. Sich anzusehen, welche Auswirkungen all das auf das eigene Rating hat, ist der zweite Schritt. Gemeinsam wird im dritten Schritt geschaut, was der Megatrend Nachhaltigkeit im Umgang mit der Finanzierung bedeutet.
Das Wichtigste ist, sich überhaupt mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Was bedeutet die EU-Taxonomie denn für kleine und mittlere Unternehmen in der Region konkret?
Es betrifft im Prinzip alle Unternehmen, unabhängig von der Größenordnung. Pauschal ist es kaum zu beantworten, was die EU-Taxonomie für einzelne Unternehmen bedeutet. Dazu ist das Thema zu vielschichtig. Die gesetzlichen Vorgaben gelten genauso im Sanitär- oder Energiebereich wie auch für uns Kreditinstitute. Man muss sich aus verschiedenen Perspektiven auf dieses Thema einlassen. Ich glaube, es wird eine große Herausforderung für die Zukunft. Wir bemerken hohen Aufklärungsbedarf. Es herrscht einfach eine ganz große Verun-sicherung, die wir gemeinsam mit unseren Kund*innen aufklären.
Woraus resultiert diese Verunsicherung?
Nachhaltigkeit ist ein Oberbegriff für vieles und wird von jedem ein bisschen anders definiert. Vielen Unternehmer*innen fehlt die Zeit, sich explizit damit auseinanderzusetzen. Deswegen ist es schwer abzugrenzen, welche Bedeutung das tatsächlich für ein Unternehmen hat. Perspektivisch wollen wir das Thema deswegen intensiver in die Beratung einbinden. Auch die Sparkassen sind eine Branche, die das Thema sehr intensiv fordern wird. Weil es gesetzlich getrieben wird. Gleichzeitig ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, unsere Kunden mitzunehmen.
Nachhaltigkeit beinhaltet, wie Sie sagen, viele Veränderungen, die zum Teil widersprüchlich oder genauer betrachtet gar nicht so nachhaltig im Sinne der Klimaneutralität sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Aus der Wissenschaft wird darauf hingewiesen, dass auch bei der EU-Taxonomie die Gefahr des Greenwashings besteht. Wie sehen Sie das?
Ich glaube, die Gefahr ist immer groß, wenn ein Thema so groß gemacht wird. Greenwashing ist manchmal vielleicht gar nicht Absicht. Aber es bleibt eben aufgrund der nicht klaren Definition des Themas Sustainable Finance die Frage offen, was tatsächlich nachhaltig ist und warum. Natürlich ist Elektromobilität im Zweifelsfall nachhaltiger als ein Verbrennungsmotor. Trotzdem sind die Komponenten, die für die Herstellung der Batterie verwendet werden, nicht so nachhaltig. Ich glaube, vielen fehlt aufgrund des Themenspektrums der Gesamtüberblick.
Solarenergie ist in Zukunft ein wichtiger Punkt.
Sie teilen die Kritik also nicht?
Ich tue mich immer schwer mit solchen pauschalisierenden Aussagen. Wenn man überlegt, wie detailliert wir mit unseren Kund*innen ins Gespräch gehen und wie unterschiedlich die Geschäftsmodelle sind, passt so eine Aussage nicht. Die Kund*innen sind nicht miteinander vergleichbar. Politisch geht es ja oft darum, erst einmal Anreize zu schaffen. Unternehmen verändern daraufhin vielleicht Teilbereiche oder gehen einzelne kleine Schritte, die am Ende aber – global gesehen jedenfalls – keine Auswirkung haben.
Ich glaube, man muss im Zweifelsfall bei den relativ klaren Sachen anfangen. Ich verstehe es beispielsweise als unsere Aufgabe, in der Beratung explizit darauf hinzuweisen, dass es Sinn macht, die Voraussetzungen für eine Solaranlage zu schaffen, wenn man sowieso neu bauen will. Es ist relativ unstrittig, dass Solarenergie in Zukunft ein wichtiger Punkt ist. Da gibt es gute Fördermöglichkeiten durch die KfW. Für Kund*innen ist es gut, einen besseren Wertgegenstand zu haben. Und Solarstrom ist ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.
Gibt es bestimmte nachhaltige Produkte, die bei Ihnen aktuell verstärkt nachgefragt werden?
Das Thema Vorsorge wird wichtiger. Viele interessieren sich für einen Bausparvertrag als Vorsorge für eine künftige Modernisierung. Gerade im Baubereich wird das verstärkt nachgefragt. Natürlich sind auch Fördermöglichkeiten für Solaranlagen oder Agri-Fotovoltaik – das sind spezielle Energiegewinnungs-Anlagen für die Landwirtschaft – Themen. Wir setzen uns intensiv mit dem Bereich Windenergie auseinander. Diese hat im Landkreis eine besondere Bedeutung.
Das Thema Taxonomie wird nicht fallen.
Und investieren Sie als Sparkasse selbst ebenfalls nachhaltig?
In der regionalen Kreditwirtschaft arbeiten wir aus der Region für die Region und unser Anspruch ist es, das ganze Thema Taxonomie gemeinsam mit unseren sehr unterschiedlichen Kunden zu bewegen. Spareinlagen investieren wir in der Region – auch das ist aus meiner Sicht nachhaltig. Wir fördern den regionalen Mittelstand, also auch die Taxonomie vor Ort. Dabei haben wir einen anspruchsvollen Nachhaltigkeitskodex.
Österreich und Luxemburg haben vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Taxonomie geklagt, mit einem Urteil ist erst in einiger Zeit zu rechnen. Macht es Sinn, sich trotzdem schon umzustellen?
Ich glaube, der Megatrend Nachhaltigkeit fordert ein gesellschaftliches Umdenken. Am Ende ist es völlig egal, was die EU sagt, es ist immer auch ein Gesellschaftssystem, das uns bewegt. Natürlich ist es für einzelne Unternehmer*innen schwierig, wenn sie beispielsweise im internationalen Wettbewerb stehen. Aber das Thema Taxonomie wird nicht komplett fallen. Dafür ist es viel zu stark gesellschaftlich gewollt. Es wurden internationale Klimaziele verabschiedet, die Taxonomie ist in diesen Gesamtkontext eingebettet. Ich glaube, da ist eine Richtung vorgezeichnet, die kaum aufzuhalten ist. Anne Klesse
Was die EU-Taxonomie bedeutet
Die Taxonomie-Verordnung ist ein EU-weites, allgemeingültiges Klassifizierungsinstrument für nachhaltige Finanzprodukte und Unternehmen. Sie soll eine klare Definition für grüne, nachhaltige oder umweltfreundliche Tätigkeiten bieten. Dafür hat die EU-Kommission Regeln und Grenzwerte aufgestellt, mit denen bewertet werden soll, ob ein Unternehmen nachhaltig ist oder nicht. Zum Beispiel, wie viele Emissionen pro produzierte Kilowatt-Stunde Energie noch als „nachhaltig“ gelten dürfen. Betroffen sind alle Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und solche, die Finanzprodukte in der EU vertreiben. Wie nachhaltig ein Unternehmen ist, soll mit einem Prozentsatz angegeben werden. Unternehmen, die die Kriterien erfüllen und sich somit positiv von Mitbewerbern abheben, sollen von höheren Investitionen profitieren. Sechs Umweltziele stehen dabei im Fokus:
1. Klimaschutz
2. Anpassung an den Klimawandel
3. Nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser oder Meeresressourcen
4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
5. Vorbeugung und Kontrolle von Umweltverschmutzung 6. Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen
Um nach der EU-Taxonomie-Verordnung als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft zu werden, muss ein Unternehmen nicht nur einen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten, sondern darf auch gegen die anderen nicht verstoßen. Eine Tätigkeit, die darauf abzielt, das Klima zu schützen, aber gleichzeitig die Biodiversität negativ beeinflusst, kann somit nicht als nachhaltig eingestuft werden. Die Einstufung der wirtschaftlichen Tätigkeit bezüglich Nachhaltigkeit orientiert sich dabei an folgenden vier Kriterien, die auf die zuvor genannten Umweltziele aufbauen:
1. Die wirtschaftliche Tätigkeit leistet einen Beitrag für mindestens eines der Umweltziele.
2. Die wirtschaftliche Tätigkeit schadet keinem der Umweltziele signifikant (does no significant harm DNSH).
3. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt ein Minimum an Sicherheitsstandards, zum Beispiel die UN Guiding Principles on Business and Human rights, um einen negativen sozialen Einfluss zu vermeiden.
4. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt die technischen Auswahlkriterien (Screening criteria), entwickelt von der EU Technical Expert Group.
Hintergrund der EU-Taxonomie ist der Green Deal, der darauf zielt, in der EU bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Um Wettbewerbsgleichheit und Rechtssicherheit für alle in der EU tätigen Unternehmen zu gewährleisten, wurden die EU Taxonomie Regulation und die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) implementiert. Beide Gesetze zielen auf eine Neuausrichtung von Kapitalströmen mit Fokus auf nachhaltige Investitionen, eine Etablierung von Nachhaltigkeit als Teil des Risikomanagements und auf die Förderung von langfristigen Investitionen. ben
Die Taxonomie-Verordnung ist ein EU-weites, allgemeingültiges Klassifizierungsinstrument für nachhaltige Finanzprodukte und Unternehmen. Sie soll eine klare Definition für grüne, nachhaltige oder umweltfreundliche Tätigkeiten bieten. Dafür hat die EU-Kommission Regeln und Grenzwerte aufgestellt, mit denen bewertet werden soll, ob ein Unternehmen nachhaltig ist oder nicht. Zum Beispiel, wie viele Emissionen pro produzierte Kilowatt-Stunde Energie noch als „nachhaltig“ gelten dürfen. Betroffen sind alle Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden und solche, die Finanzprodukte in der EU vertreiben. Wie nachhaltig ein Unternehmen ist, soll mit einem Prozentsatz angegeben werden. Unternehmen, die die Kriterien erfüllen und sich somit positiv von Mitbewerbern abheben, sollen von höheren Investitionen profitieren. Sechs Umweltziele stehen dabei im Fokus:
1. Klimaschutz
2. Anpassung an den Klimawandel
3. Nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser oder Meeresressourcen
4. Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
5. Vorbeugung und Kontrolle von Umweltverschmutzung 6. Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen
Um nach der EU-Taxonomie-Verordnung als nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit eingestuft zu werden, muss ein Unternehmen nicht nur einen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten, sondern darf auch gegen die anderen nicht verstoßen. Eine Tätigkeit, die darauf abzielt, das Klima zu schützen, aber gleichzeitig die Biodiversität negativ beeinflusst, kann somit nicht als nachhaltig eingestuft werden. Die Einstufung der wirtschaftlichen Tätigkeit bezüglich Nachhaltigkeit orientiert sich dabei an folgenden vier Kriterien, die auf die zuvor genannten Umweltziele aufbauen:
1. Die wirtschaftliche Tätigkeit leistet einen Beitrag für mindestens eines der Umweltziele.
2. Die wirtschaftliche Tätigkeit schadet keinem der Umweltziele signifikant (does no significant harm DNSH).
3. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt ein Minimum an Sicherheitsstandards, zum Beispiel die UN Guiding Principles on Business and Human rights, um einen negativen sozialen Einfluss zu vermeiden.
4. Die wirtschaftliche Tätigkeit erfüllt die technischen Auswahlkriterien (Screening criteria), entwickelt von der EU Technical Expert Group.
Hintergrund der EU-Taxonomie ist der Green Deal, der darauf zielt, in der EU bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Um Wettbewerbsgleichheit und Rechtssicherheit für alle in der EU tätigen Unternehmen zu gewährleisten, wurden die EU Taxonomie Regulation und die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) implementiert. Beide Gesetze zielen auf eine Neuausrichtung von Kapitalströmen mit Fokus auf nachhaltige Investitionen, eine Etablierung von Nachhaltigkeit als Teil des Risikomanagements und auf die Förderung von langfristigen Investitionen. ben
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Sandra Bengsch