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Mit Wasserstoff in die Zukunft
Wie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft gelingt, welche wirtschaftlichen Chancen damit verbunden sind und wo H2 an seine Grenzen stößt.
Richard Hanke-Rauschenbach ist Professor für elektrische Energiespeichersysteme und leitet das Institut für elektrische Energiesysteme der Leibniz Universität Hannover. Er hat den Forschungsverbund Wasserstoff Niedersachsen initiiert und ist Vorstandsmitglied und Vorstandssprecher des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen.
© Julian Martitz (M.Sc.)
Herr Hanke-Rauschenbach, die Europäische Kommission hat Wasserstoff als „das fehlende Teil des Puzzles auf dem Weg zu einer vollständig dekarbonisierten Wirtschaft“ bezeichnet. Stimmen Sie zu?
Ja, unbedingt. Wir sprechen inzwischen allerdings davon, die Wirtschaft zu defossilisieren, also statt fossil-stämmiger Energie- und Rohstoffquellen regenerative Quellen zu nutzen. Die effizienteste Lösung zur Defossilisierung ist in vielen Fällen eine Elektrifizierung der verschie-denen Anwendungen. Aber es gibt bestimmte Bereiche, in denen das nicht möglich ist – und in diesen Fällen kommt Wasserstoff ins Spiel. Wasserstoff ist also kein Allheilmittel, sondern vielmehr ein Baustein, der immer dann eingesetzt wird, wenn der direkte Einsatz von elektrischer Energie an seine Grenzen stößt.
Können Sie die Grenzen an einem Beispiel verdeutlichen?
Im Verkehr kommt Wasserstoff künftig für schwere Lkw in Frage, die lange Strecken zurücklegen. Oder für langläufige Buslinien, weil für diese eine so große Batterie nötig wäre, dass kein Fahrgast mehr mitfahren könnte. Die übrigen Buslinien würde man aber mit Batterien ausrüsten – und zwar aus zwei einfachen Gründen. Erstens, weil es energieeffizienter ist, denn ein batterie-elektrischer Antrieb benötigt weniger Primärenergie. Regenerative Energie ist ein sehr knappes Gut und wird es auch immer bleiben, denn es werden zur Erzeugung große Flächen benötigt. Deshalb gilt es, entlang der Energiewandlungskette einen möglichst hohen Wirkungsgrad zu erzielen. Und das geht elektrisch eben sehr viel besser. Wenn ich die Energie zur Herstellung von Wasserstoff einsetzen würde, würde ich grob geschätzt etwa die Hälfte der Energie dabei verlieren. Und das führt zum zweiten Grund, warum direkte Elektrifizierung bevorzugt wird: Es ist billiger, weil weniger Primärenergie eingesetzt werden muss, auch durch die Anlagentechnik zur Herstellung von Wasserstoff entstehen zusätzliche Kostennachteile.
In welchen Branchen und Bereichen der Wirtschaft wird die Wasserstofftechnologie die größte Rolle spielen?
Es gibt fünf Bereiche. Erstens in der Mobilität, zweitens in der stofflichen Verwendung, beispielsweise in der chemischen Industrie oder bei der Stahlerzeugung, drittens im Wärmesektor – für Gebäude und in der industriellen Wärmebereitstellung, in der wesentlich höhere Temperaturen benötigt werden, beispielsweise in Glashütten. Noch ist allerdings unklar, in welchem Umfang Wasserstoff hier zum Einsatz kommt, weil die direkte Nutzung von elektrischem Strom hier viele Möglichkeiten bietet. Wärmepumpen können etwa Gebäudewärme bereitstellen und mit Elektroöfen lässt sich Stahl schmelzen. Der vierte Bereich ist die Energiespeicherung. Wasserstoff in Salzkavernen zu speichern, das ist ein für Niedersachsen bedeutendes Thema. Aber eher eines für übermorgen, wenn der Umbau unseres Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien weiter vorange-schritten ist. Dann brauchen wir Großspeicherkapazitäten. Und der fünfte Bereich ist der Energietransport. Demnächst wird beispielsweise der Wasserstoff für ein Stahlwerk in Bremen in Emden hergestellt und über eine Gasleitung transportiert.
Um den zukünftigen Bedarf zu decken, wird der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage über Importe gedeckt werden müssen. Welche Länder sind für die deutsche Wasserstoffwirtschaft dabei besonders relevant?
Interessant sind alle Länder, die Zugang zu Meeren haben und optimale Bedingungen zur Erzeugung von erneuerbaren Energien – also viel Sonne, viel Wind. Der Zugang zum Meer ist wichtig, denn zur Herstellung von Wasserstoff brauche ich Wasser und Strom. Und das ist küstennah mit Meerwasserentsalzung viel leichter zu realisieren als im Inland. In Ländern, die diese Bedingungen vorweisen, werden wir Wasserstoff kostengünstig herstellen können und uns deshalb sogar den Transport leisten können. Zum Vergleich: Wegen des besseren solaren Angebots lässt sich beispielsweise in Afrika im Vergleich zu Deutschland Solarstrom zu einem Viertel der Kosten bereitstellen. Verhandelt wird aber auch mit Katar, Kanada und Australien, und ich denke auch, dass die gesamte Nahostregion eine Rolle spielen wird.
Die Nationale Wasserstoffstrategie zielt darauf ab, Deutschland zum Vorreiter im Bereich Wasserstoff zu machen. Allerdings scheinen aktuell eher Japan und Südkorea die Nase vorn zu haben. Inwiefern ist dieses Ziel der Wasserstoffstrategie realistisch?
Es stimmt, dass Südkorea und Japan insbesondere mit Blick auf die Herstellung und den Einsatz von Wasserstofffahrzeugen schon eine Weile unterwegs sind. Wenn man aber die gesamte Wasser-stoffwertschöpfungskette betrachtet, findet man das an keinem Ort der Welt so konzentriert und so fokussiert wie in Deutschland. Deshalb ist das Ziel sehr realistisch, denn wir nehmen in vielen Bereichen eine Pionierrolle ein. Wichtig ist dabei, nicht nur auf die ökonomischen Potenziale bei der Erzeugung und Anwendung von Wasserstoff zu schauen, sondern auch die Ausrüsterbranche in den Blick zu nehmen – auch auf Ebene der KMU. Vor allem in Norddeutschland, denn in Süddeutschland konzentrieren sich die Unternehmen längst wesentlich stärker auf die Wasserstoff-Ausrüstung.
Der Auf- und Ausbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland wird also noch dauern. Woran liegt das?
Es geht gar nicht so langsam voran, wenngleich mit einem endlichen Tempo. Ein Grund dafür ist, dass die Ausrüsterbranche ihre Kapazitäten und ihr Know-how nur schrittweise aufbauen kann. Um zum Beispiel Elektrolyseure zur Herstellung von Wasserstoff zu fertigen, brauche ich eine Fabrik und die ist eben nicht von heute auf morgen gebaut. Ein zweiter Grund ist, dass wir Wasserstoff heutzutage noch nicht überall wirtschaftlich einsetzen können, weil fossile Energieträger – die ja in direkter Konkurrenz dazu stehen – wesentlich günstiger zur Verfügung stehen. Deshalb ist die Nachfrage nach grünem Wasserstoff noch nicht groß genug. Das Ausbautempo für grünen Wasserstoff hängt ganz eng mit den Defossilierungs-Zielen auf Bundes- und auf europäischer Ebene zusammen. Wenn es keine Ziele geben würde, würde es nie vorangehen. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: der Rechtsrahmen. Es gibt noch keine rechtssichere Definition von grünem Wasserstoff. Das wird zurzeit mit Priorität auf EU-Ebene ausgehandelt.
Können Wasserstoffnetzwerke für einen Entwicklungsschub sorgen?
Ein Ziel dieser Netzwerke ist sicherlich, Wasserstoffanwendungen in einer bestimmten Region voranzutreiben beziehungsweise zu untersuchen, in welchen Bereichen Wasserstoff vor Ort sinnvoll genutzt werden kann. Wichtig ist es aktuell auch, die Ausrüsterbranche mit nachfragenden Unternehmen zu vernetzen. Das gelingt zurzeit vermutlich am besten auf Landes- und Bundesebene, weil die Ausrüster-Landschaft noch recht dünn besiedelt ist. Zu guter Letzt braucht es natürlich vor Ort auch Fachkräfte, die sich mit der Technologie auskennen. Auch dazu können Netzwerke beitragen.
Was raten Sie Unternehmen, die Wasserstoff nutzen oder auf Ausrüsterseite tätig werden möchten?
Für beide sind die erwähnten Netzwerke wichtige erste Anlaufstellen, weil sie Know-how bündeln und Ausrüster und Nutzer vernetzen können. Auch das Wirtschaftsministerium hat mit Lars Bobzien vom Referat für Rohstoffe, Energiebelange der Wirtschaft und industrielle Großprojekte einen Ansprechpartner, der landesweit Kontakte herstellen kann. Für alle Unternehmen, die Wasserstoff nutzen möchten, ist wichtig zu klären, dass Wasserstoff für ihren konkreten Einsatzzweck sinnvoll ist oder ob es eine bessere Defossilisierungs-Option gibt. Um das einschätzen zu können, braucht es ein gewisses Grundlagenwissen und auch dabei können die Netzwerke helfen.
Wie sieht die Wasserstoffinfrastruktur der Zukunft aus?
Zunächst werden sich sogenannte Hydrogen Valleys bilden. Das sind Orte, in denen Wasserstoff im großen Stil gebraucht und produziert wird. Maßgeblich dafür werden insbesondere die IPCEI-Projekte sein. Die Abkürzung steht für Important Projects of Common European Interest. Das sind von EU, Bund und Land geförderte Wasserstoff-Großprojekte; 62 gibt es in ganz Deutschland, zehn davon in Niedersachsen. Die Wasserstoffinfrastruktur wird sich entlang solcher Hydrogen Valleys entwickeln. Das heißt aber nicht, dass Unternehmen warten müssen, bis diese Infrastruktur vor ihrer Haustür entsteht. Ein Verkehrsunternehmen beispielsweise, das einige wenige Busse mit Wasserstoff versorgen möchte, kann das mit Trailertransport realisieren. Man kann sogar überlegen, ob man den Wasserstoff mit erneuerbarem Strom vor Ort herstellt – und vielleicht selbst so ein Wasserstoff-Valley wird.
Mit welchem zeitlichen Rahmen muss gerechnet werden?
Bis Ende 2030 wird es mehrere solcher Hydrogen Valleys in Deutschland geben. Ob und bis wann wir allerdings eine Versorgungsinfrastruktur vorfinden, die mit der von Erdgas vergleichbar ist, hängt vom gesamten politischen Geschehen zum Thema ab. Aber es gibt keinen Grund, darauf zu warten. Wer Wasserstofftechnologien und -Ausrüstung anbieten oder Wasserstoff nutzen will, kann jetzt loslegen.
Sandra Bengsch und Christoph Lenz
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