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Alles bleibt neu
Wie werden wir uns in Zukunft fortbewegen? Vollautomatisch und vor allem mit Elektrofahrzeugen, sagt der Programmleiter Mobilität der Allianz für die Region GmbH, Thomas Ahlswede-Brech. In einigen Bereichen könne aber auch Wasserstoff interessant werden.
Was ist für Sie die Mobilität der Zukunft?
Wenn ich an die Zukunft der Mobilität denke, sehe ich vier Trends: das vernetzte Fahren, autonomes beziehungsweise automatisiertes Fahren, neue Antriebstechnologien und Mobility Sharing, also geteilte Mobilität. An diesen vier Punkten wird sich Mobilität künftig orientieren. Dabei verändert sich die Mobilität rasant – in zehn Jahren kann sie ganz anders aussehen als in 20 Jahren. Grundlage dafür, dass Mobilität sich verändert, ist die Digitalisierung. Sie wird vieles erst ermöglichen.
Zum Beispiel?
Beispielhaft ist das Forschungsparkhaus SynCoPark am Flughafen Braunschweig, mit dessen Hilfe die Projektpartner standardisierte Lösungen für die Qualifizierung und Zertifizierung digitaler Infrastruktur im Parkhaus und in Fahrzeugen aufgezeigt haben. Aktuell ist es ein Testfeld für Parkvorgänge in unterschiedlichen Automatisierungsstufen. Die Idee dahinter ist, Parkvorgänge künftig rein automatisiert vonstattengehen zu lassen, um das Parken effizienter und bequemer zu gestalten. Viele weitere Beispiele für die Digitalisierung in der Mobilität gibt es bereits heute im Bereich der Fahrzeugausstattung.
Inwiefern wird digitalisierte Mobilität unser Leben verändern?
Die Forschungsergebnisse aus dem Projekt SynCoPark sind interessant für den Neubau und die Umrüstung von Parkhäusern. Parkhäuser könnten künftig Mobilitäts-Hubs für den Personen- und Warentransport sein. Auch in der Fahrzeugherstellung ermöglicht Digitalisierung neue Geschäftsfelder. Sie ist Basis dafür, dass überhaupt neue Technologien Einzug halten. Wenn wir an Blockchain, 5G oder Quantencomputer denken, hat jede einzelne dieser Technologien schon Power genug, um unsere Gesellschaft einmal komplett umzukrempeln. Und diese kommen alle gleichzeitig auf den Markt! Das hat vieles verändert, im Alltag der Menschen wie auch im Berufsleben. Genau das wird auch im Bereich der Mobilität der Fall sein.
War Mobilität nicht schon seit Erfindung des Fahrrades permanent im Wandel?
Früher gab es natürlich auch schon neue Errungenschaften, denken wir an das ABS-System oder den Sicherheitsgurt. Doch diese Neuerungen kamen zeitlich versetzt nacheinander auf den Markt und waren rückblickend eher kleine Bausteine in der Veränderung der Mobilität an sich. Jetzt aber sind es viele Komponenten, die jede für sich schon einen relativ disruptiven Charakter haben. Allein beim Thema Softwareentwicklung – der absoluten Nummer Eins aller Automobilkonzerne derzeit – muss stark nachgeholt werden, um den Anschluss weltweit nicht zu verlieren. Jede Werkstatt muss das abbilden können. Das ist eine große Aufgabe, die viele Kräfte bindet. Aber sie ist nötig, um zukunftsfähig zu sein.
In der Pandemie sind mit Homeoffice und Remote-Arbeitsmöglichkeiten unsere Wohn- und Arbeitswelt weiter verschmolzen. Was bedeutet das für die weitere Entwicklung der Mobilität im urbanen und ländlichen Raum?
Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen der Stunde sind Klimaschutz und demografischer Wandel. Bei der Dekarbonisierung steht die deutsche Autoindustrie außerhalb jeder Konkurrenz sehr gut da. Die Elektromobilität wird uns einen großen Schritt ermöglichen – vorausgesetzt, dass erneuerbare Energien ausgebaut werden, um mit grünem Strom laden zu können. Gerade das automatisierte Fahren wird älteren und körperlich eingeschränkten Menschen, die ländlich leben, ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Mobilität ist somit auch soziale Teilhabe. Wer diese Möglichkeit nicht hat, weil es die Services beispielsweise nur im urbanen Raum gibt, wird abgehängt. Eine Frage ist also auch: Wie können wir mit neuer Technologie Menschen ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben?
Ihr vierter Punkt, das Car-Sharing, ist aktuell eher in Großstädten möglich.
Mobility Sharing bleibt sicherlich vor allem in den urbanen Räumen wichtig. Die Mikromobilität mit den Elektrorollen, die an jeder Ecke verfügbar sind, hat uns einen großen Schritt weitergebracht. Jeder Roller, der bewegt wird, und jedes Fahrzeug, das deswegen nicht bewegt wird, ist gut für die Umwelt, für den Verkehrsfluss und die begrenzten Parkmöglichkeiten. Das Thema wild abgestellter E-Roller muss allerdings stärker in den Fokus rücken und stellt derzeit ein Problem dar.
Allerdings tragen laut Studien des Umweltbundesamtes die seit Sommer 2019 in Deutschland zugelassenen E-Scooter bislang nicht zur Verkehrswende bei, da sie vor allem von Fußgängern und Radfahrern genutzt werden, also kaum jemand vom Auto auf den Roller umsteigt.
Das ist tatsächlich ein großes Problem, hat aber aus meiner Sicht viel damit zu tun, dass das Angebot noch nicht niedrigschwellig genug ist. Die meisten Autofahrer in der Stadt sind diejenigen, die im Umland wohnen. Großstädter besitzen seltener ein Auto. Die Frage ist also, wie Menschen aus der Peripherie dazu gebracht werden können, nicht mehr mit dem eigenen Auto in die Stadt zu fahren. Das würde sicherlich über regulatorische Bedingungen funktionieren – idealerweise jedoch über ein verbessertes Angebot oder über technologische Errungenschaften, die Wege bequemer und erschwinglicher machen.
Auch bei den neuen Antriebstechnologien hat das Umdenken sehr lange gedauert. Von Elektromobilität wurde schon vor zehn, 20 Jahren gesprochen, doch erst jetzt hat sie ihren Durchbruch: 2021 wurden mit rund 356.000 mehr Pkw mit reinem Elektroantrieb zugelassen als je zuvor. Was sind die Herausforderungen für neue Antriebstechnologien, um zukunftsfähig zu werden?
Genau genommen gab es Elektromobilität sogar schon vor 130 Jahren! Die ersten Fahrzeuge überhaupt waren Elektrofahrzeuge, der erste Porsche beispielsweise. Der entscheidende Punkt war die Verfügbarkeit. Benzin gab es damals an jeder Apotheke, Strom jedoch nicht unterbrechungsfrei. Das war unter anderem der Grund, sich gegen Strom und für den Verbrenner zu entscheiden. Hätte man damals schon das Energiesystem von heute gehabt, bin ich mir sicher, würden wir seit 130 Jahren elektrisch fahren. Aktuell stellt sich die Frage nach der Verfügbarkeit von Ladeinfrastruktur erneut – oder nach wie vor. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine flächendeckende Ladeinfrastruktur ein Anreiz dafür ist, sich ein Elektrofahrzeug zu kaufen. Solange die nicht gewährleistet ist, muss durch Förderung reguliert werden.
Und in Zeiten, in denen Benzin immer teurer wird, relativiert sich auch der hohe Anschaffungspreis.
Richtig. Und da auch Elektrofahrzeuge in Massenfertigung gehen, wird sich der Kaufpreis weiter anpassen.
Wird Wasserstoff als Antriebsform künftig wichtiger?
Für den Pkw-Bereich ist diese Technologie derzeit schwierig, hier hat sich die batteriebetriebene Elektromobilität bereits durchgesetzt. Beim Schwerlastverkehr wird Wasserstoff ein Thema werden, denn für Lkws ist es ein Problem, wegen einer zwei Tonnen schweren Batterie zwei Tonnen weniger Zuladung zu haben. Auch für den Flugverkehr wird Wasserstoff eine Rolle spielen. Vor allem aber für die Dekarbonisierung der Industrie, zum Beispiel in der Stahlherstellung und für Produktionsprozesse in der Fahrzeugherstellung. Da sind wir als Region mit einer Reihe von Akteuren, die sich diesem Thema widmen, gut aufgestellt.
Und inwiefern werden autonome Fahrzeuge im Straßenbild eine Rolle spielen?
Autonom fahrende Fahrzeuge, also ohne Lenkrad und Eingriffsmöglichkeiten für die Passagiere, gibt es auf der Straße bisher nicht, das wird auch noch etwas dauern. Wir treffen im Straßenverkehr derzeit sehr häufig auf das assistierte Fahren mit Tempomat oder Spurhalteassistent. Teilautomatisiertes Fahren, wo der Tempomat mit Abstandsregelung und Spurhalteassistent gleichzeitig genutzt wird, gibt es ebenfalls häufig im Straßenverkehr. Vollautomatisiertes Fahren ist die Zukunft und soll in Fahrzeugen der zukünftigen Generationen massentauglich werden. Assistenzsysteme regulieren bereits das Fahren, schützen uns vor Verkehrsunfällen und unterstützen uns immer mehr, ohne dass wir es konkret bemerken. Anne Klesse
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