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„Bürokratieabbau und Digitalisierung gehen Hand in Hand“
Sandra Schubert und ihr Team von der Clearingstelle wollen neue Bürokratielasten vermeiden. Wie gelingt das?
Frau Schubert, Sie und Ihr Team sind angetreten, um Bürokratie für den Mittelstand in Niedersachsen zu vermeiden. Was war Ihr bisher größter Erfolg?
Sandra Schubert ist Geschäftsführerin der Clearingstelle des Landes Niedersachsen. Zuvor war die 36-Jährige als Rechtsanwältin auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, eCommerce und Vertragsrechts tätig.
© Iris Klöpper
Der größte Erfolg ist, dass wir seitens der Landesregierung als kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen werden. Die Frage nach den Erfolgen wird mir oft gestellt, allerdings lassen sich unsere Erfolge kaum in Kennzahlen abbilden und das macht die Beantwortung schwer. Das liegt an unserer komplexen Zielsetzung. Wir sind beratend tätig und geben Empfehlungen dazu ab, wie die beabsichtigte Regelung der Landesregierung im Hinblick auf bürokratische Lasten mittelstandsfreundlicher ausgestaltet werden könnte. Das heißt, dass die federführenden Ressorts in den Ministerien sich bereits frühzeitig mit den möglichen Belastungen für den Mittelstand auseinandersetzen. Damit wird transparent, welche Vielzahl an Schritten und Anforderungen sich für den Mittelstand aus der jeweiligen Norm ergeben. Das gab es vorher so nicht und insofern ist das ein großer Schritt nach vorn. Natürlich wäre es ein großer Erfolg, wenn unsere Empfehlungen nach Abgabe der Stellungnahmen komplett übernommen würden und entsprechend bürokratische Lasten verhindert werden könnten. Allerdings haben wir, nachdem wir die Stellungnahmen abgegeben haben, keinen Einfluss mehr darauf, welche unserer Empfehlungen tatsächlich übernommen werden. Es kann also vorkommen, dass wir eine Stellungnahme abgeben, mit der wir Bürokratiebelastungen identifizieren und Alternativen darstellen – aber keine der Empfehlungen übernommen wird.
Der größte Erfolg ist, dass wir als kompetenter Gesprächspartner wahrgenommen werden.
Und woran kann das liegen?
Zum Beispiel daran, dass das Ziel einer neuen Gesetzgebung als so wichtig eingestuft wird, und die Abwägung ergibt, dass die Bürokratiebelastungen vor dem Hintergrund des Ziels zurücktreten müssen. Ein Beispiel dafür ist die Änderung der Niedersächsischen Bauverordnung mit der Pflicht zur Installation von Photovoltaik-Anlagen auf Dächern von Gewerbeneubauten. Zweck der Norm ist es, den Klimaschutz voranzutreiben. Wir haben die damit einhergehenden Lasten für Unternehmen aufgezeigt. Die Entscheidung, was im Endeffekt schwerer wiegt, entzieht sich unserem Einflussbereich.
Die Ministerien sind also nicht verpflichtet, Ihre Vorschläge aufzugreifen?
Nein. Aber wenn von unseren Empfehlungen abgewichen wird, muss das gemäß Paragraf 31a der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Landesregierung und Ministerien in Niedersachsen (GGO) in die Kabinettsvorlage aufgenommen werden. So werden alle, die am Rechtsetzungsverfahren beteiligt sind, informiert, also auch der Landtag. Für uns als Clearingstelle ist es natürlich immer sehr interessant zu erfahren, woran es lag, wenn einzelne Punkte nicht übernommen werden. Deshalb gehen wir mit den jeweils verantwortlichen Ressorts immer in eine Nachlese. Nur so können wir daran wachsen und lernen, beispielsweise bestimmte strukturelle Thematiken bei der nächsten Stellungnahme zu berücksichtigen. Manchmal sind auch bundesweite Vorgaben ein Hinderungsgrund. Deshalb wird nicht umgehend eine Bundesratsinitiative gestartet, aber wir können anregen, dass die Problemstellungen berücksichtigt werden, wenn die entsprechende Regelung des Bundes auf der Agenda steht.
Bei Ihren Stellungnahmen beteiligen Sie auch die Beiratsmitglieder, darunter die IHK Niedersachsen. Wie läuft ein Clearingverfahren ab?
Immer dann, wenn ein neues Gesetz oder eine neue Verordnung eine erhebliche Mittelstandsrelevanz aufweist, wird der Staatssekretärsbesprechung mit dem Referentenentwurf ein Beschlussvorschlag zur Einleitung eines Clearingverfahrens vorgelegt. Wenn entschieden wird, ein Clearingverfahren in Auftrag zu geben, übermittelt uns das zuständige Fachressort den Referentenentwurf und setzt uns eine Frist zur Erarbeitung und Abgabe einer Stellungnahme. Das Clearingverfahren soll in der Regel drei bis sechs Wochen dauern. In dieser Zeit übermitteln wir den Beiratsmitgliedern den Entwurf und bitten diese um ihre Positionen im Hinblick auf bürokratische Lasten. Parallel arbeiten wir uns in das Thema ein, recherchieren unter anderem bei Expertinnen und Experten und identifizieren Fragestellungen, auf die wir tiefer eingehen möchten. Zum Beispiel beschäftigen wir uns immer wieder mit der Frage, inwiefern es möglich ist, mittels Digitalisierung Prozesse zu vereinfachen, um bürokratische Lasten zu reduzieren. Sobald die Stellungnahmen der Beiratsmitglieder eingehen, bündeln wir diese und stellen gemeinsame und abweichende Positionen dar. Ebenso bilden wir unsere eigene Auffassung unter Berücksichtigung unserer Rechercheergebnisse ab und erarbeiten unser Votum, mit dem wir auf bürokratieärmere und mittelstandsfreundlichere Regelungsalternativen hinweisen. Nach circa sechs Wochen, nachdem wir unsere Stellungnahme bei dem zuständigen Fachressort eingereicht haben, folgt dann die Nachlese.
Die Stellungnahmen zu neuen Gesetzen und Vorgaben der Landesregierung kommen von den Verbänden. Beziehen Sie auch direkt Unternehmen ein?
Einmal haben wir über ein Beiratsmitglied eine kleine Umfrage gestartet und perspektivisch würden wir das gerne ausbauen oder auch Planspiele durchführen – was in den drei bis sechs Wochen eines Clearingverfahrens allerdings ein recht sportliches Ziel ist. Aber unser Anspruch ist es eben, verständlich und transparent abzubilden, welche Abläufe sich – auch aus den unterschiedlichen Regelungen und ihrem Zusammenspiel untereinander – im Tagesgeschäft der Unternehmen ergeben. Grundsätzlich bearbeiten wir als Clearingstelle des Landes Niedersachsen allerdings neue, bei den Unternehmen in der Regel noch nicht bekannte Regelungen. Wir sind also nicht direkte Ansprechpartnerin, wenn es um bestehende Bürokratielasten geht. Dafür ist die Stabsstelle Bürokratieabbau aus dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung eingerichtet worden. Dort können Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger bürokratische Hürden melden. Die Clearingstelle und die Stabsstelle Bürokratieabbau stehen natürlich in engem Kontakt und Austausch. Denn natürlich können wir aus den Einwendungen, die bei der Stabsstelle eingehen, auch mit Blick auf geplante Regelungen etwas lernen. Außerdem berichten wir regelmäßig in verschiedensten Gremiensitzungen unserer Beiratsmitglieder und anderer Organisationen über unsere Tätigkeit und suchen den Austausch zum Thema Bürokratie. So ist es uns möglich, ein Stimmungsbild der Wirtschaft und der KMU einzufangen.
Komplexe und über Jahre gelernte Vorgänge zu ändern, braucht Zeit.
Leicht verständliche Sprache bei gesetzlichen Vorgaben, digitale Antrags- und Kommunikationsmöglichkeiten: In Ihrem Job geht es im Grunde um Vereinfachung. Warum ist das in den Ministerien nicht längst eine Selbstverständlichkeit?
Man darf nicht vergessen, dass komplexe und über Jahre gelernte Vorgänge zu ändern sind. Das braucht Zeit. Zumal auch die federführenden Ressorts unterschiedliche Interessen in Einklang bringen und gegeneinander abwiegen müssen. Hinzu kommt, dass Bürokratie nicht per se schlecht ist. Wir benötigen festgelegte Kompetenzen, Strukturen und Vorgänge, um unser gesellschaftliches Miteinander organisieren zu können. An mancher Stelle könnte es aber bestimmt einfacher und schneller gehen. Höchste Priorität sollten beispielsweise digitale Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Staat sowie Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen haben. Deshalb ist es auch so wichtig, die Digitalisierung voranzutreiben: Bürokratieabbau und -vermeidung und Digitalisierung gehen Hand in Hand.
Interview: Sandra Bengsch
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