Herausforderung Brückenzustand

Brückenbestand

Der Umfang der Brückeninfrastruktur in Deutschland ist enorm. Im Schienennetz der Deutschen Bahn AG befinden sich rund 26.000 Brücken, knapp 2.100 davon in Niedersachsen. Im Bundesfernstraßennetz gibt es über 40.000 Bücken, wobei diese oft aus mehreren Teilbauwerken bestehen, die sich auf über 52.000 summieren. In der Zuständigkeit des Landes Niedersachsen liegen 2.700 Brückenteilbauwerke an Bundesstraßen und 2.100 Brücken an Landesstraßen. Hinzu komm eine erhebliche Anzahl Brücken an Kreis- und Gemeindestraßen. Der Erhalt dieser Infrastruktur kommt aufgrund ihrer Wirkung als Nadelöhr eine besondere Bedeutung zu.

Intensive Erhaltungsanstrengungen in den vergangenen Jahren

Der Erhaltungszustand der Verkehrsinfrastruktur ist seit dem sogenannten Pählmann-Bericht aus dem Jahr 2000 und der nachfolgenden Daehrekommission aus dem Jahr 2012 wesentlich stärker in den Blickpunkt der Betrachtungen gerückt. Im Ergebnis kam es zu einer Neubewer- tung der Investitionen in Verkehrswege mit der Maßgabe, dass Erhaltungs-investitionen massiv erhöht werden und Priorität vor Ausbauinvestitionen erhalten sollen. Die zur Verfügung stehenden Mittel für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur sind seitdem deutlich gestiegen, wobei dies allerdings primär für die Verkehrsinfrastruktur in Bundesverantwortung gilt.
Darüber hinaus wurde stärker auf eine systematische Betrachtung der Erhaltungs- anstrengungen gesetzt. Seit 2009 wird mit der Leistungs- und Finanzierungs- vereinbarung (LuFV) zwischen der Deutschen Bahn und dem Bund die Finanzierung der Bahninfrastruktur nicht mehr mit Einzelmaßnahmen, sondern auf Basis eines Programms vereinbart. Die LuFV II (2015 – 2019) wird als größtes Infrastruktur- Modernisierungsprogramm in der Geschichte bezeichnet. Das Investitionsvolumen betrug 28 Mrd. Euro. Für Brücken waren davon 3 Mrd. Euro vorgesehen, mit denen 900 Brücken erneuert werden konnten. Im Rahmen der LuFV III (2020 bis 2029) sollen sogar über 86 Mrd. Euro investiert werden.
Bei der Straßeninfrastruktur des Bundes wird seit Jahren die Priorisierung der Erneuerungs- maßnahmen auf Basis insbesondere der Bewertung von Bauwerkszustand und Tragfähigkeit durchgeführt. Seit 2016 ist die alleinige Fokussierung auf kritische Einzelbauwerke durch das sogenannte „Brückenmodernisierungsnetz“ für Autobahnen ergänzt worden. Dafür wurde rund die Hälfte des Autobahnnetzes als Kernnetz definiert, dessen Brücken systematisch bis 2030 saniert werden sollen. Im übrigen Autobahnnetz sollen nur vordringliche
Einzelbauwerke erneuert werden.

Brückenzustand bleibt kritisch

Der Investitionshochlauf und die stärkere Fokussierung haben durchaus positive Effekte auf den Erhaltungszustand der Infrastruktur erzielen können. Richtig ist auch die immer wieder betonte Aussage, dass Zustandsnoten noch keine hinreichende Aussage für die zeitliche Dringlichkeit der Erneuerung darstellen und dass bei kontinuierlicher Erneuerung immer ein gewisser Prozentsatz schlecht bewerteter Infrastruktur vorhanden sein wird.
Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass der Infrastrukturzustand und insbesondere der Brückenzustand inzwischen so kritisch sind, dass erheblicher zusätzlicher Handlungsbedarf besteht. Sperrungen, Teilsperrungen, Tonnagebegrenzungen und Geschwindigkeitsbegren- zungen bzw. Langsamfahrstellen führen, immer häufiger zu Verzögerungen und Umwegfahrten. Die Routensuche für Schwerverkehrsfahrten wird immer problematischer und teilweise sind inzwischen Fahrten gar nicht mehr möglich. Neben diesen täglich sichtbaren Effekten zeigt sich aber auch anhand der Daten, vor welchen Herausforder- ungen wir stehen.
Bei der Deutschen Bahn ist die Gesamtzustandsnote, also die mittlere Note über alle Brücken von 2,03 im Jahr 2017 auf 2,13 im Jahr 2022 gesunken. Der Anteil der Brücken in der schlechtesten Zustandskategorie stieg in diesem Zeitraum von 4,0 auf 4,4 Prozent – und dies trotz der besonderen Anstrengungen im Rahmen der LuFV II und LuFV III.

Zustandkategorien Brücken

Für das Jahr 2022 wird im Bericht zur LuFV festgestellt, dass für 277 Bauwerke eine Verbesserung der Zustandsnote erreicht werden konnte, während gleichzeitig 763 Bauwerke herabgestuft werden mussten.³
Bei der Straßeninfrastruktur sind knapp 13 Prozent der Autobahnbrücken bezogen auf die Brückenfläche und über 9 Prozent der Bundesstraßenbrücken in den beiden schlechtesten Zustandsnoten „nicht ausreichend“ und „ungenügend“⁴ eingestuft. Auch wenn die Daten aufgrund unterschiedlicher Kategorisierungen nicht direkt vergleichbar sind, zeigt dies, dass der Handlungsbedarf bei Straßenbrücken sogar noch höher ist als bei der Bahn. Auch ein weiterer Indikator, der Traglast- index, zeigt, dass die Dimension des Problems erheblich ist. Der Traglastindex bringt die erforderliche Brückentragfähigkeit mit der vorhandenen ins Verhältnis. Rund 17 Prozent der Brückenflächen auf Bundesautobahnen und 13 Prozent auf Bundesstraßen sind im schlechtesten Traglastindex V eingestuft. Hier ist in den meisten Fällen ein baldiger Handlungsbedarf vorhanden.

Traglasteinstufung

Bei den Landesstraßen in Niedersachsen zeigt sich anders als bei Bundesstraßen ein negativer Trend bei der Entwicklung der Zustandsnoten. Während die Anzahl der Teilbauwerke mit sehr gutem Erhaltungszustand stark abnahm, stiegen die Anzahl der Brücken in den beiden schlechtesten Kategorien leicht an.


Altersstruktur der Brücken ist problematisch

Eine Ursache des kritischen Erhaltungszustandes der Brücken stellt deren Altersstruktur dar. Die durchschnittliche Eisenbahnbrücke ist bei deutlich steigender Tendenz inzwischen 75 Jahre alt. Von 2.064 Bahnbrücken in Niedersachsen sind 883 älter als 100 Jahre und 499 über 120 Jahre alt. Bei den Bundesfernstraßen liegt ein Löwenanteil bei Brücken aus den 70er Jahren. Ein zweiter Peak ist insbesondere bei den Autobahnen Anfang der 2000er Jahre aufgrund der Baumaßnahmen im Zuge der Deutschen Einheit zu sehen. Auch wenn das Alter kein hinreichender Indikator für die Notwendigkeit von Sanierungsmaßnahmen ist, so besteht dennoch besonders bei der Straßeninfrastruktur ein klarer Zusammenhang. Da heute deutlich höhere Achslasten und zulässige Gesamtmassen vorherrschen, der Güterverkehr massiv angestiegen ist und die physikalische Gesetzmäßigkeit gilt, dass die Straßenbelastung exponentiell zum Fahrzeuggewicht ansteigt, werden die Brücken insbesondere aus den 70er Jahren und älter im wahrsten Sinne des Wortes kaputtgefahren.

Umfangreiche Ersatzneubaumaßnahmen notwendig

In der LuFV III der Bahn, die von 2020 bis 2029 gilt, wurde vereinbart, dass in diesem Zeitraum mindestens 1.200 Brücken der Deutschen Bahn vollständig oder teilerneuert werden sollen. Betrachtet man die bisherigen jährlichen Fertigstellungen, so fällt ein deutlicher Rückgang seit 2018 auf. Wurde 2018 ein Höchststand von 278 erneuerten Brücken erreicht, fiel dieser Wert im Jahr 2022 auf 76 (siehe Abb.). Begründet wurde dies u. a. mit einer „temporär angespannten Lage am Markt für Brückenbautechnik“ bei gleichzeitig „steigender Komplexität der Vorhaben aufgrund des Anstiegs der Brückenfläche je Vorhaben“. Vor dem aktuellen Hintergrund von Fachkräftemangel, Baukostensteigerungen und generell hohen Planungszeiträumen ist zu bezweifeln, dass es sich lediglich um temporäre Hindernisse handelt. Entsprechend werden zusätzliche Anstrengungen erforderlich sein, um das vorgesehene Ziel zu erreichen.

Brückenerneuerung Bahn
Erneuerung Autobahnbrücken
Finanzmittel Autobahnbrücken
In der Straßenverkehrsinfrastruktur wird im Rahmen des Programms zur Brückenmodernisierung ein Gesamtbedarf von 8.083 zu modernisierender Autobahnbrücken (Teilbauwerke) und von 3.030 Bundesstraßenbrücken festgestellt.⁵ Der besondere Bedarf bei Autobahnen hängt mit der wesentlich höheren Belastung durch schweren Güterverkehr zusammen. Wie bereits ausgeführt, erfolgt bei Autobahnen eine Priorisierung auf das bereits beschriebene „Brückenmodernisierungsnetz“, mit insgesamt 3.946 zu modernisierenden Brücken. Auch wenn es nachvollziehbar ist, ein Hauptnetz zu definieren und dieses vorrangig zu ertüchtigen, dürfen allerdings die übrigen Autobahnbrücken aufgrund ihrer Bedeutung für die Wirtschaft nicht vergessen werden.
Betrachtet man auch hier die Entwicklung der Fertigstellungen von Brücken (siehe Abb.), so zeigt sich, dass eine erhebliche Steigerung erforderlich ist, um auch nur die Brücken des Brückenmodernisierungsnetzes zu sanieren. Gleichzeitig sind die notwendigen Mittel deutlich zu erhöhen. Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten massiven Baukostensteigerungen wird allerdings der bisher geschätzte höhere Mittelbedarf, der auch noch nicht haushälterisch gesichert ist, bei weitem nicht reichen.
Die Niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr hat für die in ihrem Zuständigkeitsbereich liegende Bundes- und Landesstraßen den Erneuerungsbedarf definiert. Demnach sind in Niedersachsen 50 Brücken so stark beeinträchtigt, dass ihr Neubau bis zum Jahr 2025 begonnen werden muss. 100 weitere Brücken müssen bis 2030 im Bau sein. Nachfolgend müssen noch weitere 800 Brücken ersetzt werden, um Verkehrssperrungen zu vermeiden.
Die Dimension des Problems wird deutlicher, wenn man ins Detail schaut. Allein auf dem Schnellwegsystem in Hannover, dem Rückgrat des Straßenverkehrs in der Region Hannover, sind zehn Brücken in so kritischem Zustand, dass ihr Ersatzneubau vorgezogen werden muss. Die Auswirkungen sieht man bereits heute an der Brücke über die Hildesheimer Straße und am Weidetorkreisel, die nur einspurig und stark beschränkt nutzbar sind. Da aber auf allen Schnellwegen verteilt kritische Bauwerke stehen und die Realisierung eines Neubaus, wie sich am Südschnellweg zeigt, langwierig und sehr konfliktbelastet ist (siehe nächstes Kapitel), ist bisher keinesfalls gesichert, dass der Ausfall von Teilen des Schnellwegsystems verhindert werden kann.

Karte Zustand Straßenbrücken

³ Quelle DB Netze: Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung: Infrastrukturzustands- und -entwicklungsbericht 2022, April 2023
⁴ Es ist anzumerken, dass diese Zustandsnoten nicht zwingend eine Nutzungseinschränkung bedeuten. Allerdings ist es „ein Indikator dafür, dass in näherer Zukunft Instandsetzungsarbeiten zu planen sind.“ (Bundesanstalt für Straßenwesen (bast)) „Zustandsnoten für Brücken“): Hierbei kann es sich aber auch um
einfache Maßnahmen wie Sanierungen von Geländern handeln.
⁵ BMDV „Brücken an Bundesfernstraßen Bilanz und Ausblick“, 10.03.2022