Südamerika

Brasilien: Sympathie, Kommunikation und ausreichend Zeit sind entscheidend!

Endlich spricht man wieder über die riesigen Chancen, die Brasilien für deutsche Unternehmen bieten kann. Auch Gustavo Stüssi Neves spricht davon. Er gründete vor 40 Jahren eine Anwaltskanzlei, die heute mit ihren Standorten und ihrem Netzwerk zu den renommiertesten des Landes gehört und schon viele europäische Unternehmen auf dem brasilianischen Markt begleitet hat. In einem Interview mit der IHK Hannover erläutert Stüssi Neves, worauf sich Unternehmen in Brasilien einstellen sollten und wie sie Geschäftsbeziehungen erfolgreich aufbauen und erhalten können.
  • Dass man in Brasilien einen langen Atem braucht, hört man von Unternehmerinnen und Unternehmern, die in der IHK Hannover zusammenkommen, des Öfteren. Brasilien sei ein vielversprechender, aber kein einfacher Markt. Fakt ist, dass Brasilien für Deutschland wichtigster Handelspartner und Zielland für Investitionen in ganz Lateinamerika ist. Produktionsstandort, Absatzmarkt, Lieferland oder Kooperationspartner – die Möglichkeiten mit Brasilien „was zu machen“ sind vielfältig. Ebenso wie es das Land selbst. Erfolg und Misserfolg liegen dicht beieinander. Auf ein konjunkturelles Hoch und lebhafte Euphorie folgte schon so oft eine lange Flaute und Niedergeschlagenheit. Vielleicht wird Brasilien das ewige Land der Zukunft sein. Vielleicht wird Brasilien sich in den kommenden Jahren aber auch zu der schon so oft prophezeiten ernstzunehmende Wirtschaftsmacht entwickeln. Nobody knows. Den Brasilianern ist dies nicht so wichtig – sie haben Glauben an sich und an ihr Land – reagieren flexibel auf sich verändernde Rahmenbedingen, improvisieren und machen das Beste aus der Situation. „Jeitinho brasileiro“ – wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Deutschen Unternehmen fällt dies nicht so leicht. Insbesondere mittelständischen Unternehmen fehlte in der Vergangenheit oft der Mut den Schritt nach Brasilien zu gehen. Sie vermissten die Stabilität im Markt. Die Sicherheit, dass sich ihre Investitionen amortisieren würden. Der Rechtsrahmen schien ein ganz anderer, man hörte von einer instabilen Fiskalpolitik, Inflation, Streiks der Gewerkschaften, Kriminalität und Korruption. Kurzum: vielen Unternehmen erschien Brasilien schwieriger oder risikoreicher als andere Länder. Wie denken Sie darüber? Sie sind Brasilianer. Sie sind Jurist. Und Sie haben sehr viel Erfahrung in der Betreuung und Begleitung deutscher Unternehmen auf dem brasilianischen Markt. Ist Brasilien für deutsche Unternehmen wirklich ein so schwieriges Pflaster? Schwieriger als andere nicht-europäische Länder?
Ich bin Anwalt und kein Unternehmensberater. Was ich hier weitergeben kann, ist das, was ich in den mehr als 30 Jahren Berufserfahrung als Rechtsberater ausländischer Investoren von meinen Mandanten und aus dem Markt erfahren habe. Brasilien ist nicht das schwierigste Land, aber ein schwieriges Land, um Geschäfte zu machen. Viele Unternehmen lassen sich davon jedoch nicht abhalten, in schwierigen Ländern Geschäfte zu machen und dabei erfolgreich zu sein.
Es ist richtig, dass Brasilien wirtschaftlich nicht stabil ist. Nicht einmal wir Brasilianer sind uns sicher, ob uns nun eine blühende Zukunft winkt. Das Land mit seinen Eigenheiten zu akzeptieren und sich nicht durch euphorische Einschätzungen oder Versprechen für die Zukunft verleiten zu lassen, ist ein erster Schritt auf dem Weg zum Erfolg eines Geschäfts. Das ist zumindest das, was wir Brasilianer instinktiv tun, um damit umzugehen. Das ist in unsere DNA. Wir wissen, dass die Ausländer, insbesondere die Deutschen, genau andersherum gepolt sind. Anders als wir sind die Deutschen dafür Meister in Analyse, Planung, Strategie, Durchhaltevermögen usw. Die Akzeptanz Brasiliens, wie es ist, in Verbindung mit der deutschen Tugend der vorherigen Überprüfung der Durchführbarkeit des Geschäfts in Brasilien, ist die Einstiegskombination für dessen Erfolg. Nach Prüfung der Durchführbarkeit sollten Kenntnisse/Unterstützung vor Ort genutzt werden. Wenn zahllose andere ausländische mittlere und kleine Unternehmen in Brasilien Erfolg haben, gibt es keinen Grund, sich nicht auch zu dieser Gruppe zu gesellen. Folgen Sie nicht allein der Euphorie, sondern recherchieren Sie und planen Sie, investieren Sie in qualifizierte lokale Unterstützung, um den lokalen Markt zu verstehen und beziehen Sie Momente der Instabilität des Landes in die Planungen mit ein und lernen Sie, mit diesen zu leben und sich auf sie einzustellen.
  • Ich würde gerne mit Ihnen über die Kriterien für den Geschäftserfolg in Brasilien sprechen. Manche sagen, der Erfolg im Geschäft steht und fällt mit der Sympathie. Der Bedarf kann immanent sein, das Produkt ganz ausgezeichnet, die Dienstleistung genau zum richtigen Zeitpunkt kommen und der Preis viel mehr als nur wettbewerbsfähig – wenn die Chemie nicht stimmt, dann wird geschäftlich nicht viel passieren. Die wichtigsten Merkmale einer Geschäftsbeziehung? „Kontinuität, Verlässlichkeit und Freundschaft“ – würde ein Brasilianer sagen. Was meinen Sie dazu?
Die essenzielle Frage ist die Angemessenheit des Produkts für den lokalen Markt und der Preis. Die „Sympathie“ kann das Element sein, das den positiven oder negativen Unterschied macht.
  • Wenn Sympathien in Brasilien also so wichtig sind, stellt sich die Frage, wie man die Sympathien brasilianischer Geschäftsleute gewinnt?
Glauben Sie nicht, Ihr Produkt werde erschöpfend analysiert und mit anderen Produkten auf der Grundlage von Katalogen, technischen Klarstellungen usw. verglichen. Sympathie erlangt man hier mit Besuchen, gastronomischen Treffen, die sozialer Natur sein können, aber nicht müssen, und in denen die Argumente für das Produkt ergänzt und erläutert werden können, auch um Missverständnisse zu vermeiden. Dieses persönliche Element, das das Berufliche und Private ein wenig vermischt, ist es, was die Angemessenheit und Glaubwürdigkeit des Produkts ratifiziert und wird damit sicher zu einem wichtigen Differenzial. Sich zu sozialisieren, das Zusammenleben pflegen, ist Teil der Riten, die den Brasilianern gefallen und einen hohen Stellenwert haben. Im Rahmen des Möglichen sollte eine Verbindung entstehen, die über das rein Professionelle hinausgeht.
  • Kann man mit „Made in Germany“ heute noch Sympathien gewinnen? Ist deutsche Werksarbeit in Brasilien heute noch so viel wert, wie sie einst war?
„Made in Germany“ ist Synonym für Qualität und Verlässlichkeit. Es ist ein exzellenter Start. Sympathie ist ein weiterer, ergänzender Schritt.
  • Genauso können bestimmten Verhaltensweisen oder Äußerungen in der brasilianischen Geschäftswelt auf Missfallen stoßen. Gibt es typische Fettnäpfchen, in die deutsche Geschäftsleute regelmäßig stolpern oder kulturelle Unterschiede, für die Sie besonders sensibilisieren wollen?
Die direkte und objektive Form, wie die Dinge ausgesprochen werden, so loyal und konstruktiv sie auch sein mögen, werden oft als Konfrontation und/oder Kritik verstanden. Brasilianer sind weder besondere Freunde des Einen noch des Anderen. Brasilianer mögen es auch nicht, wenn sie den Eindruck haben, dass der andere alles – und besser – weiß.
  • Brasilianer und Brasilianerinnen machen auf viele deutsche Geschäftsleute Eindruck. Sie sind zumeist gut angezogen, sind charmant, freundlich und offen und haben scheinbar alle Humor und Wortwitz. Die Entspanntheit und Flexibilität, die man in Brasilien an den Tag legt, bringt deutsche Geschäftsleute aber immer wieder auch an ihre Grenzen: In Meetings, zum Beispiel. Nämlich dann, wenn man sich von der ursprünglichen Agenda weit entfernt hat, Punkt 6 nach Punkt 1 behandelt wird und man dann irgendwann zu Punkt 3 zurückspringt. Oder bei Terminabsprachen. Brasilianer planen und bearbeiten häufig parallel mehrere Projekte oder Vorgänge. Termine werden damit auch bereitwillig verschoben, wenn etwas Wichtiges dazwischenkommt. Dazwischenkommen kann in Brasilien aber übrigens auch immer der Verkehr. Das ist so etwas wie höhere Macht. Dann wird der Termin von 9 Uhr auf ein gemeinsames Arbeitsessen um 12 Uhr verschoben. Oder auf den Nachmittag. Schnell stellt sich dann auf deutscher Seite die Frage nach der Ernsthaftigkeit des Interesses. Was meinen Sie dazu? Was ist wirklich typisch brasilianisch, was ist auch gemäß brasilianischer Kultur als unhöflich zu betrachten und woran erkennt man ein wirkliches Interesse am Geschäft?
Organisation und Pünktlichkeit sind nicht Teil unserer DNA. So sehr dies der deutschen Kultur widerstrebt, sollten fehlende Organisation oder Unpünktlichkeit nicht als Mangel als Respekt, Arroganz oder fehlendes Interesse am Geschäft ausgelegt werden. Diese Dinge sind Teil der Kultur, auch wenn sie unangenehm sind. Keine Nachsicht zu zeigen, kann als allgemeine mangelnde Flexibilität oder übertriebene Strenge ausgelegt werden.
  • Brasilianer sind kein Freund von Konfrontationen. Gleichzeit sagen Sie in einem anderen Artikel, dass Kritik in Brasilien eine Art „Volkssport“ ist. Können Sie dies ein bisschen genauer ausführen?
Konfrontation und Kritik sind unterschiedliche Dinge, vermischen sich aber häufig. Die direkte und objektive Verteidigung in einer Diskussion wird häufig als Konfrontation verstanden, was auch wegen der emotionellen Komponente zu Missverständnissen führen kann. Die Sensibilität in Bezug auf individuelle oder kollektive Kritik bezieht sich auf alles, was unser Leben und unser Land betrifft. Wir selbst dürfen über das herziehen, was wir für unsere Fehler und Schwächen halten und können dies tun und gleichzeitig darüber sinnieren, was wir selbst besser machen können oder was wir unternehmen können, damit der andere sich verbessert. Diese Freiheit und Kritik an Brasilien und den Brasilianern ist aber uns vorbehalten, ein Ausländer sollte sich dessen selbst dann enthalten, wenn er Recht hat.
  • Bei all der Freundlichkeit und Vorsicht mit der Kritik, fällt es deutschen Unternehmen oft schwer Verbindlichkeit in Brasilien einzufordern. Ein „nein“ wird man selten hören; aber ein „vielleicht", "ich denke schon", "wieso nicht" kann oft als „nein“ gemeint sein. Selbst ein in unbestimmtem Ton geäußertes „Ja“ heißt manchmal „nein“. Ebenso kann „mañana“ in der Tat „in nächster Zeit“, „gar nicht“ oder auch tatsächlich „morgen“ bedeuten. Oft werden auch erst viel später Personen hinzugezogen, die dann die Entscheidungskompetenzen haben. Welche Empfehlungen haben Sie hier für deutsche Unternehmen parat? Sollte man in Brasilien einfach ein bisschen mehr Zeit kalkulieren, bis es zu einem Verhandlungsergebnis kommt? Und was können Sie uns zu den Hierarchien und der Organisationskultur sagen? Sind Titel in Brasilien wichtig?
Geschäfte erfordern in Brasilien im Allgemeinen mehr Zeit als an anderen Orten. Das bestätigen Statistiken und die Statements unserer Mandanten. Hierarchie hat nicht den gleichen Stellenwert wie in Deutschland, man ist sich aber bewusst, wer das Sagen hat. Wenn man die Mitarbeiter behandelt, dass sie sich als Teil der Gruppe fühlen – und nicht nur als jemand, der Aufgaben erfüllt – pflegen diese loyal zu sein und machen in Bezug auf das, was für das Unternehmen das Beste ist, normalerweise viel mehr als man von ihnen erwartet.
  • Kommuniziert wird in Brasilien am liebsten persönlich. Aufgrund der Entfernung ist dies aber nicht immer machbar. WhatsApp ist in Brasilien – im Gegensatz zu Deutschland – im Geschäftsleben durchaus akzeptiert, korrekt? E-Mails werden öfters auch mal nicht beantwortet. LinkedIn scheint hingegen in Brasilien gut zu funktionieren. Welche Beobachtungen machen Sie hier?
WhatsApp ist in unsere Geschäftskommunikation integriert. Man erhält auf einfache Fragen schnell Antwort, es besteht nicht das Risiko, dass die Leitung besetzt ist und man spricht direkt mit dem anderen ohne Vermittler. Unbeantwortete E-Mails sind nicht Teil der Geschäftswelt. Sie benötigen mehr Zeit, weil der Inhalt komplexer ist. LinkedIn ist definitiv das Instrument für die Geschäftswelt, mit dem Personen und Unternehmen sich für die unterschiedlichsten Zwecke, wie zum Beispiel der Suche nach neuen Mitarbeitern, einem größeren spezifischen Publikum präsentieren können.
  • Abschließend möchte ich noch einmal auf die am Anfang angesprochenen Ängste zurückkommen. Von Korruptionsvorfällen hört man in Brasilien immer wieder. Ist es eine berechtigte Angst, als deutsches Unternehmen hiermit in Kontakt zu kommen? Wenn dem so ist, wie kann man sich hiervor schützen?
Es wurde schon viel getan, aber es muss noch viel mehr getan werden, damit die Korruption in der Analyse der Investition im brasilianischen Markt keine Rolle mehr spielt. Man muss verstehen, in welchem Markt man tätig werden möchte, um die Risiken - Undurchführbarkeit oder Schwierigkeiten des Geschäfts – einschätzen zu können, wenn man sich an solchen Praktiken nicht beteiligen möchte. Was wir festhalten können, ist, dass es möglich ist, in Brasilien Erfolg zu haben, ohne auf Korrupt zurückzugreifen.
  • Und wie bewerten Sie die Befürchtungen mit Blick auf die Rechtssicherheit? Kein Problem, sofern man seine Verträge mit einem Experten, wie Sie es sind, einmal durchgeht? Oder gibt es bestimmte Bereiche im Handels- oder Gesellschaftsrecht, in denen ein bisschen mehr Sensibilität gefordert ist?
In der Geschäftswelt unter Privatleuten ist die Angemessenheit von Verträgen ebenso wichtig wie die Auswahl der Geschäftspartner. Die Anrufung der Gerichte ist in der Regel die letzte Option, weil Zeit Geld ist für denjenigen, der bei endlosen und kostenaufwändigen Streitigkeiten verliert. Die sensibelsten Fragen des Tagesgeschäfts sind nach wie vor die Bereiche Steuerrecht und Arbeitsrecht. Konservativ zu handeln und gut beraten zu werden, beseitigt die Risiken zwar nicht, reduziert sie aber erheblich. Es lohnt sich, in Prävention zu investieren.
  • Ein Sprichwort, ein Motto oder ein Rat von Ihnen an uns zum Schluss?
Brasilien so zu nehmen, wie es ist, heißt, zunächst zu lernen, wie das Land funktioniert, um anschließend Geschäfte in Brasilien zu machen. Und man sollte stets daran denken, für Geschäfte auf für deren Umsetzung/Erfolg angemessene Personen zurückzugreifen.

Stand: 11.06.2024