Mittel- und Südamerika

Brasilien im Fokus globaler wirtschaftlicher Aufmerksamkeit

Spätestens seit der Corona-Pandemie ist in Deutschland „De-Risking", also Risikominimierung, angesagt. Es geht darum wirtschaftliche Abhängigkeiten von autoritären Regimen, insbesondere von China, zu minimieren, Risiken zu streuen und neue Handelspartner zu gewinnen. Die Länder in Mittel- und Südamerika könnten solche neuen Handelspartner sein. Doch diese scheinen sich zuletzt mehr an China zu orientieren als an Deutschland und der Europäischen Union.
Macht Brasilien, sicherlich ein Favorit auf Deutschlands Liste der Wunschkandidaten, das auch?
Als Deutschland sich an Brasilien wandte, um Munition für die Ukraine zurückzukaufen, bekam man eine Abfuhr. Doch der neuen Seidenstraßen-Initiative – dem Projekt unter dem China seit 2013 mit über 150 Staaten weltweit Abkommen für Infrastrukturprojekte geschlossen hat – hat die Regierung Lula ebenso jüngst eine Absage erteilt. China sei zwar ein wichtiger, aber kein verlässlicher Wirtschaftspartner. Investitionen würden angekündigt und verliefen dann im Sand. Nahrungsmittel, Öl und Erze aus Brasilien wären zwar in China gerne gesehen – so gerne, dass China mit der führenden Volkswirtschaft Lateinamerikas ein Handelsdefizit verzeichnet – doch für brasilianische Technologieprodukte würde China den Markt nicht öffnen. Und bei all den Investitionen, die China in Brasilien tätige, würde dann auch noch kaum ein Technologietransfer stattfinden. Eine Chance für Deutschland?
Brasilien gehört seit über einem Jahrzehnt zu den zehn größten Empfängern ausländischer Direktinvestitionen weltweit. Im letzten Jahr bedeutete das, laut aktuellem Bericht der UNCTAD, mit 997,6 Milliarden US Dollar Platz fünf. Deutschland beteiligte sich daran allerdings nur mit rund 23,6 Milliarden US Dollar. Dabei hatte man in Brasilien angesichts des in den letzten zwei Jahren signalisierten Interesses der deutschen Wirtschaftspolitik eigentlich mit etwas anderem gerechnet.
Deutschland ist nämlich innerhalb der Europäischen Union Brasiliens wichtigster Importpartner und zumindest in Südamerika ist Brasilien für deutsche Unternehmen ebenfalls die Nummer eins. Die Geschäftschancen für deutsche Unternehmen in Brasilien sind groß – das weiß eigentlich jeder, der sich mit dem Land etwas näher beschäftigt hat: Brasilien ist mit rund 216 Millionen die größte Volkswirtschaft Lateinamerikas. Mit dem Bergbau, der Bauindustrie, der Lebensmittelproduktion, der Metallurgie, Erdölderivaten und Biokraftstoffen sowie der Chemieindustrie verfügt das Land über eine solides industrielles Fundament. Wasserkraft macht hier über die Hälfte der Energieversorgung aus – der Ausbau von Wind- und Solarenergie schreitet voran und auch beim Thema Grüner Wasserstoff spielt Brasilien weit vorne mit. Als einer der weltweit größten Argrarproduzenten und -Exporteure kann man zudem mit einem effizienten und modernen Agrarsektor aufwarten, der auch für den deutschen Maschinenbau großes Potenzial birgt. Im Bereich der Elektrifizierung gibt es Milliardenprojekte und nach langem Stillstand kommt plötzlich auch Bewegung in Brasiliens Infrastruktursektor: Bei den kürzlich erfolgten Ausschreibungen gab es erstmals seit Jahren wieder lebhafte Bieterrunden.
Aber auch in anderen Sektoren bemüht Brasilien sich die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern – hier spielt das Programm für Investitionspartnerschaften (PPI) eine genauso entscheide Rolle, wie einige wichtige Wirtschaftsreformen in der Fiskal- und Steuerpolitik, dem Rentensystem und dem Arbeitsmarkt. Nach dem die Rating-Agentur Moody’s das Länderrisiko Brasilien im Oktober auf Ba1 heraufgestuft hat, fehlt Brasilien zudem nur noch ein Upgrade, um den sogenannten Investment-Grade wiederzuerlangen, den man im Jahr 2015 verloren hatte. Und auch wenn der deutsch-brasilianischen Investitionsförderungs- und -schutzvertrag (IFV) nicht in Kraft ist, sieht der Bund Investitionen deutscher Unternehmen in Brasilien grundsätzlich auf Basis der nationalen Rechtsordnung als garantiefähig an und bietet hier zusätzlich im Rahmen einer Diversifizierungsstrategie vergünstigte Konditionen für staatliche Investitionsgarantien. Ähnliche Angebote hat man von Seiten der Bundesrepublik für deutsche Exporteure parat: Staatliche Exportkreditversicherung des Bundes sind für Brasilien auf jeden Fall möglich.
Es gibt demnach ausreichend Potenzial und aber auch Werkzeuge, die ein Engagement deutscher Unternehmen in Brasilien aussichtsreich erscheinen lassen. Ausgereizt wird allerdings beides nicht und damit ist an Chinas Vorherrschaft in Brasilien aktuell absolut nicht, noch nicht einmal ansatzweise, zu rütteln.
Wie begründet sich die Zurückhaltung deutscher Unternehmen in Brasilien? Politisch und kulturell würde das Umfeld für deutsche Unternehmen in Brasilien eigentlich stimmen, sagen Experten. Fehlende Marktkenntnis also? Mangelnde Kontakte? Dem Bündel an bürokratischen, steuerlichen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Hindernissen, die Unternehmen erst einmal zu überwinden haben, wenn sie auf dem brasilianischen Markt Fuß fassen wollen? Dem sogenannten Custo Brasil? Hat man Bedenken in Bezug auf Korruption? Fehlen qualifizierte Arbeitskräfte? Oder ist das Problem, wie der Lateinamerika Ausschuss der Deutschen Wirtschaft (LADW) es sieht, eher die geringe Integration Lateinamerikas? Laut dem LADW würden nämlich nur 15 Prozent des Außenhandels unter den lateinamerikanischen Staaten selbst abgewickelt werden. Um hohe Investitionen zu rechtfertigen, müssten Märkte regional integriert sein. Da kann selbst ein Markt mit der Größe von Brasilien zu klein sein. (Latin America Brief, 27. März 2024).
Welche Gründe deutsche Unternehmen auch immer für ihre Zurückhaltung haben mögen, das EU-Mercosur-Abkommen dürfte einige von ihnen beseitigen. Für 91 Prozent aller zwischen der EU und dem Mercosur gehandelten Waren sollten die Zölle nach jetzigem Verhandlungsstand dann über einen Zeitraum von maximal 15 Jahren nach und nach abgeschafft werden, sichere Rahmenbedingungen für gegenseitigen Handel und Investitionen etabliert und die Exportsteuern der Mercosur-Staaten eliminiert sein. Die Handelsbeziehungen mit Brasilien würden erheblich davon profitieren – mit einem Exportwachstum von 33 Milliarden Dollar (74,1 %) aus Richtung der Europäischen Union, schätzt das Institut der Deutschen Wirtschaft. Die EU-Importe würden voraussichtlich um gute 10 Milliarden Dollar (21,5 %) höher ausfallen als ohne das Abkommen.
Gestern begann der G20-Gipfel in Brasilien. Dort soll auch das Freihandelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Südamerikas zur Sprache kommen. Die EU-Kommissionschefin sieht die Ziellinie vor sich. Auch Brasiliens Präsident Lula da Silva kündigt kürzlich auf der Weltbühne der Vereinten Nationen an, dass man bereit sei, die Vereinbarung zu treffen.

IHK Angebot: Arbeitsfrühstück im Rahmen des Gesprächskreises Mittel- und Südamerika am 3. Dezember
Auf der Auftaktsitzung des Gesprächskreises Mittel- und Südamerika am 3. Dezember steht Brasilien im Fokus. Im Rahmen eines gemeinsamen Arbeitsfrühstücks mit Axel Zeidler, Botschafter a.D. und ehemaliger Generalkonsul in São Paulo, Dr. Claudia Bärmann Bernard, Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in São Paulo, Fernando Berzoini Smith, Timbo Trading S/A und Gustavo Stüssi Neves, Stüssi-Neves Advogados diskutieren Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Region über die Status quo und Zukunft der deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen. Anschließend können mit den anwesenden Fachexperten zu den Themen Markteintritt- und Marktbearbeitung, Recht, Zoll, Einfuhr & Steuern individuelle Beratungsgespräche geführt werden. Die Details zu Ablauf, Programm und Anmeldung finden Sie auf der Eventwebseite.
Stand: 19.11.2024