Verzicht auf fossile Energieträger

"Es ist schließlich die Welt unserer Kinder"

Wenn es um Energiesparen und Nachhaltigkeit geht, macht dem in Linsengericht ansässigen Unternehmen De Beer Breidenbach so schnell niemand etwas vor. Spätestens mit Fertigstellung des neuen Werkes Ende vergangenen Jahres ist man dort einen großen Schritt weitergekommen in Richtung Verzicht auf fossile Energieträger.
Obstbäume mit heimischen Apfelsorten, Beerensträucher und Rasenflächen für Insekten: Dass Biodiversität hier eine Rolle spielt, wird schon bei der Ankunft bei der De Beer Breidenbach GmbH in Linsengericht deutlich. Das frisch errichtete und bezogene Gebäude fügt sich mit seiner naturnahen Außenanlage schonmal ganz gut in die umgehenden Felder am Waldrand ein. Genau das war Geschäftsführerin Wilma Koolen-Hermkens von Anfang an bei den Planungen für den Neubau wichtig: Nachhaltig sollte es sein und vor allem energiesparend. Doch der Weg dahin war kein einfacher.
1951 von Wolfgang Breidenbach gegründet und 2006 von seinem niederländischen Kunden, der De Beer-Gruppe, übernommen, hat sich das Spritzgussunternehmen mit seiner Kernkompetenz im Weichkunststoff-Bereich in den vergangenen 72 Jahren einen Namen gemacht. Zunächst zählten unter anderem Hohlreifen für die Marke Playmobil zur Produktpalette, inzwischen sind es vor allem Kunststoffteile im Sanitärbereich. 2017 tritt schließlich Wilma Koolen-Hermkens ihren Job als Geschäftsführerin von De Beer Breidenbach am Standort in Linsengericht an. Doch schon nach wenigen Monaten kontaktiert sie die beiden Gesellschafter und sagt ihnen deutlich: „Jungs, so geht das nicht!“ Mit „das“ meint die gebürtige Niederländerin das in die Jahre gekommene Firmengebäude. „Das war wie eine Strickdecke“, erinnert sie sich. 1979 gekauft, musste dieses parallel zu den Geschäften mitwachsen – nach und nach wurde immer weiter angebaut. Irgendwann trotzdem zu klein geworden, mietete die Firmenleitung in mehr als einem Kilometer Entfernung eine weitere Halle als Fertigteile-Lager und Unterkunft für den Werkzeugbau. „Das war auf Dauer nicht effizient, auch mit Blick auf Umweltaspekte“, so Koolen-Hermkens. „Werkzeuge und Teile mussten schließlich immer von einem zum anderen Standort gefahren werden.“

Energieexperte unterstützt Planungen

Das Werk von De Beer Breidenbach in Linsengericht © IHK Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern
2019 beginnen deshalb – gemeinsam mit einem Energieexperten – die Planungen für einen Neubau; der Spatenstich ist für den 4. April 2020 angesetzt. Doch statt Baulärm tritt plötzlich ungewohnte Ruhe im Unternehmen ein: Die Corona-Pandemie sorgt dafür, dass die Baupläne auf Eis liegen, auch die Aufträge brechen reihenweise weg. Es ist zum Glück ein kurzes Tief für das Unternehmen, wie die Geschäftsführerin rückblickend sagen kann. „Schon im August 2020 hatte sich der Markt wieder stabilisiert. Weil sie nicht in den Urlaub gefahren sind, haben viele Leute ihre eigenen vier Wände renoviert.“ Das füllt die Auftragsbücher in Linsengericht – und sorgt für die Wiederaufnahme der Neubau-Pläne.
Mit angepasstem Konzept wird am 7. Juli 2021 schließlich Spatenstich gefeiert, mitten in der Pandemie. Nach etwas mehr als einem Jahr ist im November 2022 der Neubau fertig – energiesparend und nachhaltig. „Wir nutzen in dem neuen Gebäude weder Öl noch Gas, nichtmal als Redundanz“, sagt Wilma Koolen-Hermkens. Stattdessen gehen 1044 Solarzellen auf dem Dach in Betrieb. Dazu kommen zwei Wasserkreisläufe im Gebäude. Einer mit 16 Grad als Kühlung, der andere mit etwa 30 Grad als Abwärme. „Das nutzen wir einerseits, um die Werkzeuge zu temperieren und zu kühlen. Andererseits speisen wir das in unsere Boden-Heizung – auch hier zum Kühlen oder Wärmen“, so die Geschäftsführerin.
Den Vorstand zu überzeugen, komplett auf fossile Energieträger zu verzichten, sei nicht schwer gewesen. „Ich habe schon davor oft gesagt, dass das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger bei unseren Kunden wird, auch wenn es aktuell noch oft Lippenbekenntnisse sind. Und wenn wir hier in Deutschland mit den Niedriglohnländern mithalten wollen, müssen wir finanziell effizienter arbeiten. Das geht einerseits mit weniger Personal, oder eben mit Sparen bei den Energiekosten.“
Das neue Haus ist eine Fabrik für die Zukunft und da können eben auch Azubis sagen: Da sehe ich meine Zukunft!
Spätestens mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ist bei De Beer Breidenbach klar, dass man den richtigen Schritt gegangen ist. „Mark de Beer meinte zu mir: ‚Ich hör dich noch sagen, kein Öl, kein Gas. Und wir haben alle gesagt, das ist schon ein bisschen dreist‘“, erinnert sich die Geschäftsführerin. Aber sie sei von Anfang an unterstützt worden. Beide Vorstände hätten verstanden, dass genau dahin investiert werden muss. „Es ist schließlich unsere Welt und die Welt unserer Kinder, sagten die beiden damals. Und heute, in Zeiten von steigenden Energiekosten, freuen sich natürlich alle darüber.“

Es gibt weitere Pläne

Und die Geschäftsführerin hat sogar weitere Pläne. „Zwar will ich noch ein bisschen finanziellen Speck bekommen, aber ansonsten ist ein Wärmetauscher angedacht. Das mit 600.000 Litern Wasser gefüllte Becken, was wir für unsere Sprinkleranlage haben, würde ich gerne als Wärmespeicher nutzen.“ Außerdem sollen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit zertifiziert werden. „Den ISO kann man allerdings erst machen, wen man ein Jahr seine Daten gesammelt hat.“
Komplett auf zugelieferten Strom verzichten, kann das Unternehmen mit seinen rund 90 Mitarbeitern allerdings noch nicht – vor allem im Winter. Dennoch ist die Niederländerin äußerst zufrieden mit dem bisher erreichten, bedeutet es doch grundsätzlich, dass das Unternehmen endlich wieder wachsen kann. „Die nachhaltige Ausrichtung ist außerdem ein Werbefaktor, unter anderem für Auszubildende.“ Natürlich sei Nähe wichtig, ebenso der Ruf, „aber das neue Haus ist eine Fabrik für die Zukunft und da können eben auch Azubis sagen: Da sehe ich meine Zukunft!“
Autorin: Julia Oppenländer
Veröffentlichung: Juli 2023 (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 4664 KB)