Ein Blick auf Erfolge, Hindernisse und Lösungen

Frauen an der Spitze

Obwohl Frauen eine bedeutende Rolle im Bildungssystem spielen, oft sehr gut qualifiziert sind und eben auch knapp die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland weiblich ist, sind Frauen in Aufsichts- und Führungspositionen weiterhin unterrepräsentiert.
Laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden waren zuletzt nur knapp 29 Prozent der Beschäftigten mit Aufsichts- und Führungsfunktionen Frauen. Damit belegt Deutschland im europäischen Vergleich ein Platz im unteren Drittel – weit abgeschlagen hinter den Spitzenreitern Lettland (45 Prozent), Polen (42,9 Prozent) und Schweden (41,7 Prozent). Das zeigt: Auch wenn die Regierung in den vergangenen Jahren Schritte unternommen hat, um die Situation zu verbessern, unter anderem mit dem 2015 in Kraft getretenen Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, ist die Umsetzung in der Praxis nach wie vor eine Herausforderung. Die Wirtschaftsraum-Redaktion hat bei zwei Frauen in Führungspositionen aus der Region nachgefragt und mit ihnen unter anderem über Chancen, den Umgang mit Krisen und Herausforderungen gesprochen.

Kerstin Oberhaus (Diplom-Biologin)

Standortleiterin des Industrieparks Wolfgang der Evonik Operations GmbH, Hanau
Kerstin Oberhaus © Evonik Industries AG
Unternehmen engagieren sich, die Karrierechancen für Frauen zu verbessern – dennoch sind ihre Aufstiegsmöglichkeiten häufig eingeschränkt. Das kennt auch Kerstin Oberhaus. „Es ist wichtig, immer sichtbar zu sein mit den eigenen Aufgaben und Erfolgen“, sagt sie und ergänzt: „Frauen müssen viel selbstbewusster auftreten und mehr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten setzen. Das heißt auch, sie sollen nicht warten, bis sie gefragt werden, sondern immer den Hut in den Ring werfen, wenn sich interessante Projekte oder Positionen ergeben. Der Aufbau von Netzwerken ist auch nicht zu unterschätzen.“
Die Diplom-Bioloin ist seit Ende der 90er-Jahre in einem stark männerdominierten Umfeld in der Chemie und in einem eher technischen Aufgabenbereich tätig und damit oftmals die einzige Frau in der Runde. „Ich hatte den Eindruck, mehr unter Beobachtung zu stehen und beweisen zu müssen, dass ich den Aufgaben gewachsen bin. Also die Extra- Meile gehen zu müssen“, sagt Oberhaus. Sie musste lernen einzufordern, was anderen eher selbstverständlich zugestanden werde. Rückblickend sagt sie aber auch: „Ich hatte das Glück, dass mich auf meinem frühen Karriereweg einige männliche Vorgesetzte unterstützt und gefördert haben. Diese Kollegen sind heute noch wichtige Sparringspartner für mich.“
Seit 2018 ist Kerstin Oberhaus nun Standortleiterin des Industrieparks Wolfgang von Evonik in Hanau. Bei ihrer Führung achtet sie darauf, so zu führen, wie sie selbst geführt werden möchte. „Allerdings könnte es auch sein, dass mein eigenes Bedürfnis nach gestalterischem selbstständigem Arbeiten mit Freiräumen nicht jedem entgegenkommt. Dann muss ich mich darauf einstellen, damit der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin den optimalen Raum bekommt, wie er oder sie am besten arbeitet und – nennen wir es in vollem Respekt – ,funktioniert‘, sagt sie. Deswegen sei es bei richtiger Führung so wichtig, den anderen sowie seine und ihre Erwartungen und Bedürfnisse zu kennen. „Ich mag verschiedene Charaktere in meinem Team und finde es sehr bereichernd, wenn auch anstrengender, mit unterschiedlichen Ansätzen, Sichtweisen und Temperamenten um die beste Lösung ,zu ringen‘. Ich habe daher auch sehr gerne international gearbeitet.“ „Jobfreunde“ wiederum haben sie geerdet und ermutigt – und wenn sie auf dem Holzweg war, auch kritisiert.
Frauen im Arbeitsleben – ein immer weniger gesellschaftspolitisches Thema, hofft Kerstin Oberhaus. „Gender- Pay-Gap und die gleichen Aufstiegschancen müssen aber weiterhin eingefordert werden in der gesellschaftspolitischen Diskussion. Ebenso wie an Rahmenbedingungen gearbeitet werden muss, damit sich Mütter und Väter gleichberechtigt um die Familie kümmern können.“

Franziska Lösel (BA Internationale Betriebswirtschaftslehre, IHK geprüfte Versicherungsfachfrau)

Geschäftsführende Gesellschafterin der Kinzigtal-Maklergesellschaft mbH
Dass weiblichen Unternehmerinnen mehr zugetraut wird, das wünscht sich Franziska Lösel. Die geprüfte Versicherungsfachfrau hat selbst mit unter 30 die Unternehmensnachfolge angetreten und erlebt es noch immer, dass ihr Fachwissen auf Herz und Nieren geprüft wird, bevor eine Zusammenarbeit starten kann. „Meinen männlichen Kollegen passiert dies sehr selten. Ebenso wird kein Mann gefragt, wie er denn sein Unternehmen und die Familie unter einen Hut bringt, während der Frau oft unterstellt wird, dass sie für ihre beruflichen Wünsche oder ihr berufliches Weiterkommen die Familie vernachlässigt.“
Seit einigen Jahren engagiert sich Lösel auch bei den Wirtschaftsjunioren Hanau-Gelnhausen-Schlüchtern, die den Nachwuchs fördern und miteinander vernetzen. Der weibliche Führungsnachwuchs ist dort generell gut vertreten. „Das schreibe ich der Situation zu, dass Frauen generell einen größeren Fokus auf die Vernetzung legen und gerne im Team arbeiten. Unter weiblichen Führungskräften finden sich weniger Einzelkämpfer, dies ist zumindest mein Eindruck.“ Was den weiblichen Führungsnachwuchs per se angeht, sieht sie aber noch Luft nach oben. „Ich möchte gar nicht sagen, dass die Wirtschaft nur männlichen oder nur weiblichen Führungsnachwuchs braucht. Vielmehr wird eine ausgewogene Mischung benötigt, weil sich die Herangehensweise und der Umgang mit Problemen und Herausforderungen stark unterscheidet.“ Die Erfahrungen, die sie bisher in ihrem Berufsleben gemacht hat, haben sie gelehrt, „dass weibliche Führungskräfte bedachter und empathischer an eine Sache herangehen.“ Das ist nicht immer ein Vorteil: „Das kann ein Hindernis sein, wenn der Gegenüber diese Eigenschaften ausnutzt oder diese Eigenschaften als Schwäche sieht. Manchmal wird eine klare direkte unverblümte Ansage benötigt, die jedoch eher von männlichen Führungskräften, weil Frauen niemandem auf die Füße treten wollen.“ Ausnahmen würden hier aber die Regel bestätigen.
Als selbstständige Versicherungsfachfrau muss sie „verkaufen“. Das machen Frauen definitiv anders, ist Lösel überzeugt. „Sie verkaufen emotionaler und meistens ohne Druck.“ Sie sieht sich auch in erster Linie nicht als Verkäuferin, sondern als Beraterin. „Der Verkauf ist dann ein Resultat aus dem Vertrauen meiner Kunden in meine Beratung und Analyse der individuellen Absicherungssituation. Der Prozess ist somit zwar länger, aber in meinen Augen nachhaltiger, weil Kunden nicht zu unbedachten Entscheidungen gedrängt werden, und das wird ja leider gerade der Versicherungsbranche oft nachgesagt.“
Autorin: Julia Oppenländer
Veröffentlichung: März 2024