Beweiswert einer AU nach Kündigung
Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und reicht dann gegen Ende der Kündigungsfrist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ein muss dies nicht zwangsläufig dazu führen, die AU-Bescheinigung als unglaubwürdig anzusehen. Dies entschied kürzlich das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG).
In dem konkreten Fall ging es um einen Arzt, der seit dem 1. Januar 2020 bei einer Reha-Klinik in Stralsund als Chefarzt angestellt war. Der Familienwohnsitz des Arbeitnehmers befand sich ca. 1000 km entfernt in Süddeutschland; in der Nähe der Arbeitsstätte unterhielt er eine Zweitwohnung.
Mit Schreiben vom 16. August 2021 kündigte der Arzt das Arbeitsverhältnis fristgerecht innerhalb der sechsmonatigen Kündigungsfrist zum 28. Februar 2022.
Am 9. Februar 2022, knapp drei Wochen vor Ende seines Beschäftigungsverhältnisses, meldete der Arzt sich krank und fuhr mit der Bahn zu seinem ca. zehn Stunden entfernten Familienwohnsitz. Einen Tag später stellte seine Ärztin ihm eine AU für den Zeitraum vom 9. Februar bis zum 21. Februar 2022 aus. Die AU bescheinigte dem Arzt Hypertonie, Kopfschmerzen, ein HWS-Syndrom und Myogelosen. Der Arzt nahm im Anschluss dann seinen Resturlaub.
Die Zeit vom 9. bis zum 21. Februar 2022 wurde vom ehemaligen Arbeitgeber anschließend nicht vergütet. Der Arbeitgeber brachte vor, dass der Arzt – wenn er denn krank gewesen wäre – nicht die ca. zehn Stunden zu seinem Familienwohnsitz hätte fahren können. Ein vernünftiger erkrankter Arbeitnehmer hätte einen Arzt in der Nähe konsultiert und nicht ein solche beschwerliche Reise auf sich genommen. Das pünktliche Ende der Erkrankung zum Beginn des Urlaubs sei ferner auffällig und erschüttere die Glaubwürdigkeit der AU-Bescheinigung.
Nachdem der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung vor dem Arbeitsgericht Stralsund (ArbG) geklagt hatte und dort erfolgreich war, bestätigte das LAG nun das Urteil des ArbG.
Zwar könne der Arbeitgeber Umstände darlegen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen und somit den Beweiswert der AU erschüttern, allerdings reiche der Vortrag, dass die AU gegen Ende der Kündigungsfrist eingereicht worden sei, nicht aus. Krankheiten könnten vielmehr auch gegen Ende der Kündigungsfrist auftreten. Auch eine etwa zehnstündige Bahnreise begründe keine Zweifel an der Richtigkeit der AU. Die Bahnreise erfordere weder Konzentration noch körperliche Anstrengung. Dazu stünde im Gegensatz die Tätigkeit als Chefarzt, wo der Arbeitnehmer während des gesamten Arbeitstages gefordert sei. Der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers habe folglich keinen Grund gegeben eine längere Bahnfahrt zu vermeiden und es war auch nicht geboten einen Notarzt oder eine Klinik aufzusuchen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13.07.2023, Az. 5 Sa 1/23).