Neuer Pessimismus
Die konjunkturelle Stabilität der letzten Quartale scheint vorbei. Der Krieg in der Ukraine hat die Erholung nach der Corona-Pandemie endgültig beendet – die Erwartungen gehen deutlich zurück. Das Konjunkturklima im IHK-Bezirk Halle-Dessau verschlechtert sich auf aktuell ‑5,4 Punkte und liegt erstmals seit Ende 2020 wieder unterhalb der Nulllinie.
Die Geschäftslage über alle Branchen hinweg ist mit 26,6 Prozentpunkten gegenüber dem Vorquartal verschlechtert, aber noch besser als im Vorjahresquartal, das stark vom Pandemiegeschehen beeinträchtigt war. Der Saldo der Geschäftserwartungen fällt deutlich ab und liegt mit -37,3 Prozentpunkten wieder auf einem sehr schlechten Niveau.
Die Eintrübung zeigt sich in allen Branchenbereichen – ungeachtet direkter Betroffenheit von Krieg und Sanktionen. Vereinzelt wird sie von Erholungseffekten im Zusammenhang mit der Entspannung der Coronalage etwas kompensiert. Die in den Vorquartalen ohnehin bereits angespannte Verfügbarkeit von Rohstoffen und Vorprodukten hat sich durch den Krieg nun weiter verstärkt. Auch wenn die außenwirtschaftlichen Verflechtungen mit Russland und der Ukraine insgesamt relativ gering sind, bestehen bei einzelnen Gütergruppen signifikante Abhängigkeiten.
Während die direkten Auswirkungen des Krieges auf die Konjunktur bisher vorwiegend auf die Industrie begrenzt sind, zeigen sich in allen Branchen erhebliche indirekte Effekte. Die massive Steigerung bei den Energiekosten und die Verknappung der Handelsgüter sorgen für einen hohen Kostendruck auf die Unternehmen, wodurch sich deren Gewinnlage überwiegend verschlechtert. Die in den Vorquartalen leicht entspannte Finanzlage trübt entsprechend aktuell wieder ein: 27 Prozent der Unternehmen berichten von Eigenkapitalrückgang und 16 Prozent von Liquiditätsengpässen.
Industrie: Starke Verunsicherung
Das Geschäftsklima in der Industrie sinkt aktuell auf nunmehr 5,3 Punkte ab. Insbesondere die Geschäftserwartungen gehen deutlich zurück. Der Krieg in der Ukraine hat hier vielfach die Hoffnung zerstört, die langsame Erholung durch die Abmilderung der Pandemie könnte sich weiter fortsetzen.
Dabei ändert sich bisher noch kaum etwas am übergeordneten Lagebild in der Industrie: Die Geschäftslage ist – trotz eines leichten Rückganges – mit 37,6 Prozentpunkten weiterhin solide positiv. Die Unternehmen berichten von guter Umsatzentwicklung, stabilen Auftragseingängen und einer hohen Auslastung. Lediglich die aufgrund der Kostensteigerungen anhaltend negative Gewinnentwicklung trübt das Bild.
Die Geschäftserwartungen allerdings zeugen von einer starken Verunsicherung der Industrieunternehmen. Der Saldo ist mit -27,0 Prozentpunkten so pessimistisch wie seit zwei Jahren nicht mehr. Zum einen wird mit sinkenden Absätzen gerechnet, zum anderen sollen die Preise in den meisten Unternehmen weiter steigen, was wiederum auch den Absatz beeinflussen dürfte. Die Pläne für Beschäftigung und Investitionen werden dementsprechend ebenfalls zurückgenommen. Die Zurückhaltung sorgt hier jeweils für per Saldo leicht negative Werte.
Die Verunsicherung trifft dabei alle Bereiche der Industrie, Unterschiede gibt es aber noch in der aktuellen Lageentwicklung: Die Produzenten von Vorleistungsgütern und Investitionsgütern verzeichnen noch eine solide Lagebewertung, allerdings kontrastiert durch tiefrote Geschäftserwartungen. Insbesondere die Aussicht steigender Energiepreise oder möglicher Energieengpässe im Rahmen der Russlandsanktionen sorgen hier für Pessimismus. Die Produzenten von Ver- und Gebrauchsgütern melden dagegen aktuell eine deutlichere Eintrübung des Geschäftsklimas. Dahinter stehen ebenfalls sehr negative Geschäftserwartungen und hoher Kostendruck. Allerdings verzeichnen die Hersteller bereits heute größere Rückgänge bei den Auftragseingängen.
Baugewerbe: Preisentwicklung unkalkulierbar
Im Baugewerbe gibt es gegenläufige Entwicklungen: Einer Lageaufhellung stehen getrübte Aussichten gegenüber. Das im Ergebnis unveränderte Geschäftsklima von 10,9 Punkten signalisiert damit gleichsam „trügerische Stabilität“. Die Geschäftslage ist aktuell deutlich über dem schlechten Vorjahresquartal. Grund für die gute Lage sind vor allem steigende Auftragseingänge und eine hohe Auftragsreichweite. Allerdings verschlechtert sich die Gewinnlage deutlich. Dementsprechend fällt die Bewertung der Geschäftserwartungen für ein erstes Quartal sehr pessimistisch aus. Der anhaltende Kostendruck wird zu Preiserhöhungen führen müssen – immerhin 85 Prozent der Bauunternehmen planen damit.
Dienstleistungen: Erholung bleibt stecken
Das Dienstleistungsgewerbe zeigte zuletzt vorsichtige Zeichen der Erholung von den Corona-Einbrüchen. Insbesondere die unternehmensnahen Dienstleister fassten wieder Tritt und neuen Mut. Diese Entwicklung scheint aber angesichts der Kostenentwicklung und der gestiegenen Unsicherheit vorerst beendet zu sein. Das Geschäftsklima sinkt auf aktuell -7,9 Punkte und liegt wieder auf dem Niveau des Vorjahresquartals. Die Geschäftslage geht nach den Zuwächsen in den beiden Vorquartalen wieder etwas zurück. Die Erwartungen brechen deutlich ein und sind wieder sehr pessimistisch. Die Unternehmen gehen von sinkenden Umsätzen aus.
Handel: Corona-Erholung nur von kurzer Dauer
Im Handel zeigt sich eine deutliche Spaltung: Einer guten Lage steht eine große Verunsicherung bei den Erwartungen gegenüber, die insgesamt dazu führt, dass das Geschäftsklima absinkt. Mit ‑15,5 Punkten fällt es deutlich unter die Nulllinie. Die Geschäftslage kann dabei leicht zulegen. Umsatzzuwächse und eine stabile Gewinnentwicklung stützen die aktuelle Stimmung. Insbesondere der Einzelhandel mit positiven Corona-Nachholeffekten prägt diese Entwicklung. Die Geschäftserwartungen allerdings zeigen, dass die Händler keine fortgesetzte Erholung erwarten: Mit -59,1 Prozentpunkten ist der Saldo hier fast so negativ wie zum Beginn der Corona-Krise Anfang 2020.
Verkehrsgewerbe: Vielfältige Blockaden
Das Geschäftsklima sinkt deutlich auf -35,4 Punkte ab. Dabei gehen sowohl die Einschätzungen der Lage als auch die Bewertung der Aussichten zurück. Es werden rückläufige Umsätze und Auftragseingänge sowie eine deutlich verschlechterte Gewinnlage angegeben. Der starke Anstieg der Kraftstoffpreise seit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat viele Verkehrsunternehmen in Bedrängnis gebracht. Die Geschäftserwartungen stehen denn auch unter dem Eindruck der hohen Kosten und fallen auf -55,4 Prozentpunkte. Sie liegen damit nahe dem historischen Tiefstwert im ersten Quartal 2020. Über drei Viertel der Verkehrsunternehmen planen mit weiteren Preissteigerungen und erwarten leicht sinkende Umsätze.