Existenzen im Gastgewerbe gefährdet

IHK Ostthüringen: Bürokratie überlastet Unternehmen – Forderung für Praxis-Check vor Einführung neuer Gesetze
Es wird noch Monate dauern bis sich Thüringens Gastronomie wieder von der Corona-Pandemie erholt hat. „Die Lage ist dramatisch. Trotz erster Lockerungen liegen wir bei weitem hinter den Umsätzen des Vorjahres. Die Unsicherheit bei vielen Gästen ist groß, nicht zuletzt wegen der vorgeschriebenen Erfassung von Daten aller Gäste sowie der strengen Abstandsregeln zwischen den Tischen.
Wirtschaftliches Handeln ist mehr als zuvor gefordert. Für uns heißt das, den Normalbetrieb einzuschränken mit geänderten Öffnungszeiten und Rückfahren der Angebote“, erklärt Monika Lips, Vorsitzende des Ostthüringer IHK-Tourismusausschusses und Inhaberin des Hotels „Zwergschlösschen“ in Gera.
Monika Lips verweist auf die im Tourismusausschuss unlängst diskutierte DIHK-Studie zu den Bürokratiekosten im Gastgewerbe: Sie zeigt, welcher Handlungsbedarf jetzt erst recht in Sachen Bürokratieabbau für alle Branchen besteht.“
Demnach müssen Hoteliers und Gastronomen über die Corona-Anforderungen hinaus 2,5 Prozent ihres Jahresumsatzes aufwenden, um die Vorgaben der staatlichen Bürokratie zu erfüllen. Die Unternehmen der Branche leisten durchschnittlich 14 „Überstunden“ pro Woche, um 100 bis 125 komplexe Vorschriften etwa zur Kassenrichtlinie, Hygieneüberwachung, Datenschutzgrundverordnung oder der Kontrolle ortsfester und ortsveränderlicher Geräte durch Elektriker zu erfüllen. Das Erschreckende: Von den genannten über 100 zu beachtenden Vorschriften sind nur rund 43 Prozent branchenspezifisch. Die übrigen 57 Prozent der Verpflichtungen in Bezug auf Personal, Betriebsführung, Steuern und Sozialabgaben, sind auch relevant für andere Branchen. Somit würde die Umsetzung der Vorschläge für Bürokratieentlastungsmaßnahmen zu einem umfassenden Reduktionsprogramm beitragen.
Nach Berechnungen der IHK-Organisation schultern damit allein die steuerpflichtigen Unternehmen des Gastgewerbes jährlich Bürokratiekosten zwischen 12.000 und 60.000 Euro.
Unternehmen vermissen bei Politik Bezug zur Realität
Angesichts der Studienergebnisse fordert die IHK Ostthüringen die Politik auf, die 2.720 Ostthüringer Unternehmen im Gastgewerbe von unnötigen und aufwendigen Informations- und Meldepflichten zu befreien und den Erfüllungsaufwand zu reduzieren.
„Das Hotel- und Gaststättengewerbe akzeptiert dabei durchaus den Sinn und Zweck einzelner Regelungen“, sagt Monika Lips. Trotzdem vermissen die Betriebe bei mehr als der Hälfte der bestehenden Verpflichtungen einen Bezug zu den realen Geschäftsprozessen. „So müssen laut Hygienevorschrift Gastro-Unternehmer zum Beispiel die Temperaturen von Kühlschränken täglich per Hand in ein Formular eintragen und ein Jahr aufbewahren – selbst dann, wenn sie über ein automatisches und digitales Mess-System verfügen“, so Lips, der für so viel Sinnlosigkeit die Worte fehlen. „Auch für die Schankanlage muss ein eigenes Buch geführt werden, ebenso für den Fettabscheider. Die getrennte Müllentsorgung muss dokumentiert werden, ebenso Lüftungswartungen und Reinigungen. Alle relevanten Geräte müssen umfangreich beschrieben werden – selbst die Brotschneidemaschine. Mitarbeiter müssen eingewiesen und diese Einweisung ebenfalls wieder dokumentiert werden. Dazu kommen ständig wachsende bauliche Anforderungen an Lärm- und Brandschutz, Beschilderung und Warnsysteme. Jedes Stromkabel benötigt eine Abnahme, jeder Stecker muss regelmäßig geprüft werden“, zählt Monika Lips auf.
Freude am Beruf muss bleiben
Ein Relikt aus der Kaiserzeit seien auch die umständlichen Meldezettel in Hotels und Gaststätten, die die Gäste genauso wie vor 100 Jahren aus Papier ausfüllen müssen. Sie gehörten abgeschafft, weil sie nicht helfen, Kriminalität zu bekämpfen. „Das Absurde dabei: Da niemand nachprüft, ob die Angaben korrekt sind, ist die Aussage des Scheins gleich null. Aber die Bürokratie will es so, also wird der Meldeschein dem Gast vorgelegt, ausgefüllt, abgeheftet und jahrelang aufbewahrt“, so die Hotelchefin. Sie selbst sei nicht berechtigt, sich Ausweispapiere von deutschen Gästen vorlegen zu lassen. Große Hotels setzen inzwischen auf digitale Lösungen beispielsweise nach dem Prinzip der Kundenauthentifizierung. Doch für kleine Pensionen oder Hotels seien diese in der Anschaffung und Unterhaltung zu teuer.
Ebenso verstehe ihr Koch nicht, warum er die Speisen, jede Beilage, jede Soße aufwendig dokumentieren soll. Spontan ein Saisongericht zubereiten, geht inzwischen nicht mehr. Ihm nehme das die Freude am Kochen und raube die Zeit zum Kreieren. Diese Dokumentationen füllen inzwischen im Hotel viele Hefter und sind lediglich dem Gast auf Verlangen zu zeigen, doch bisher wollte noch kein Gast Einsicht nehmen. Beim Gaststättenbesuch will der Gast, der aus gesundheitlichen Gründen die Zusammensetzung des Gerichts genauer kennen muss, den Koch selbst befragen.
Ausufernde Vorschriften kosten viel Zeit und Geld – neue Gesetze im Praxis-Check testen
Die IHK-Organisation schlägt deshalb einen verbindlichen Praxis-Check für neue Gesetze vor. "Neue Verpflichtungen müssten nach dem Prinzip geschaffen werden: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Dazu gehört, neue Vorschriften und deren praktische Umsetzung einfach, verständlich und umsetzbar zu gestalten", fordert die Ausschussvorsitzende.
„Wir bringen unterschiedlichste Menschen zusammen und begleiten sie ihr ganzes Leben von der Tauffeier über Geburtstage und Jubiläen bis zur Trauerfeier. Es sind nicht die Überstunden, die uns die Kraft rauben, es sind Themen, von denen wir dachten, dass wir ihnen in unserem Beruf nie begegnen würden. Die ausufernde Bürokratie kostet viel Geld und viel Zeit. Zeit, die fehlt, sich um die Gäste, neue Ideen und Umsatzziele zu kümmern. Das muss ein Ende haben, damit unsere Branche eine Zukunft hat“, betont Monika Lips. Damit einher gehe der Respekt und die Wertschätzung für den Gastronomen. Berufe in der Gastronomie würden oft unterschätzt. Es stecke mehr dahinter, als Mahlzeiten und Getränke auszutragen.
Gastrobranche hat Nachwuchs- und Nachfolgeproblem
Und gerade deshalb habe die Gastrobranche nicht nur ein Nachwuchs-, sondern auch ein Nachfolgeproblem. Viele, die nach der Wende Anfang der neunziger Jahre in ihr Hotel oder Restaurant investiert haben, sind jetzt auf der Suche nach einem Nachfolger. Nur ein kleiner Teil der Familienbetriebe kann ihr Unternehmen an die nächste Generation weitergeben. Noch schlechter sieht es nach den Erfahrungen der Mitglieder des IHK-Ausschusses mit Übernahmeinteressenten außerhalb der Familie aus.
18.06.2020, ba