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Unternehmen ermutigen, statt sie einzuschränken
Interview mit Sibylle Thierer. Die Vizepräsidentin der IHK Nordschwarzwald vertritt die deutschen Unternehmen in Brüssel als ehrenamtliches Mitglied des Eurochambres-Präsidiums.
Welche Bedeutung hat die Europawahl für die deutsche und europäische Wirtschaft?
Sie ist wichtiger als viele meinen! Die EU wirkt oft so weit weg, aber die meisten wirtschaftspolitischen Entscheidungen werden mittlerweile in Brüssel getroffen. Daher ist die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments wichtig – es braucht Abgeordnete, die ein Verständnis für die Wirtschaft, die Unternehmen und die Menschen in Europa haben. Schauen Sie sich mein Unternehmen an: Die Häfele Gruppe wurde 1923 gegründet. Mittlerweile sind wir ein international tätiges Unternehmen, das über 80 Prozent des Umsatzes im Ausland erwirtschaftet. Innerhalb der EU helfen gemeinsame Regeln; der Binnenmarkt erleichtert vieles. Bei den Europawahlen geht es darum, Erreichtes zu behalten und weiterzuentwickeln.
Vor welchen konkreten Herausforderungen stehen deutsche Unternehmen im europäischen Kontext?
Wir haben nach wie vor angespannte Lieferketten und hohe Energiepreise. Dazu kommt noch der Fachkräftemangel. Aber besonders die wachsende Bürokratie ist ein Faktor, der kleine und mittelständische Unternehmen fordert. Diese zunehmenden Belastungen führen nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten EU zu einem großen Druck auf die Unternehmen. Die EU schwächt sich durch ihre kleinteiligen Regulierungen mehr und mehr selbst und büßt so an Wettbewerbsfähigkeit ein. In der nächsten Legislatur muss daher die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Märkten außerhalb der EU das oberste Ziel sein.
Was erwarten die deutschen Unternehmen von der EU, damit Innovation, Forschung und digitale Transformation gestärkt werden können und insgesamt ein förderliches Umfeld für wirtschaftliches Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit entsteht?
Da gibt es viele Ansatzpunkte: Die EU könnte den Zugang zu Innovationsförderprogrammen erleichtern, Genehmigungsverfahren für Pilotprojekte beschleunigen und im Rahmen von sogenannten Sandboxes Raum für das Austesten von neuen Technologien ermöglichen. Ich denke generell, dass man den Unternehmen einfach mehr Vertrauen entgegenbringen und sie ermutigen sollte, anstatt sie mit überbordender Regulierung einzuschränken. Denn Unternehmen möchten von sich aus innovativ sein, um auf dem Markt zu bestehen und von den Kunden geschätzt zu werden. Letztendlich regelt der Markt das schon selbst. Wenn jedoch durch zu kleinteilige Vorgaben diese Innovationskraft aufgehalten wird, dann werden die Unternehmen und schließlich die Wirtschaft schwerfällig. Von daher liebe EU, ein bisschen weniger Regulierung wäre schön.
Welche Weichen müssen jetzt gestellt werden, damit die Unternehmen besser auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes und des Fachkräftemangels reagieren können?
Die EU hat einige Initiativen in Bezug auf Fachkräfte ins Leben gerufen: Mehr Weiterbildungen, um Mitarbeitende zu schulen sowie einen Talent-Pool, der helfen soll, ausländische Fachkräfte anzuwerben. Und das ist genau der Knackpunkt, bei dem aber die EU nicht helfen kann: Deutsche Unternehmen, Deutschland als Wohnort, müssen attraktiver für Mitarbeitende aus anderen Ländern werden, aus der EU und von jenseits der EU. Dazu braucht es eine Willkommenskultur, die sich durch die Gesellschaft zieht: Durch Behörden, die Visa und Anmeldungen erleichtern, Bildungsträger, die Schulungen und Sprachkurse anbieten und Unternehmen und Gemeinden, die sich Gedanken machen, wie Neuankömmlinge Teil des Teams und der Gemeinschaft vor Ort werden können. Nur, wenn Menschen sich zuhause fühlen, werden sie auch bleiben.
Es fragte: Mascha Dinter
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