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Die Pandemie ist nicht unsere einzige Baustelle
Lieferengpässe, Preisexplosionen, Personalknappheit und andauernde Einschnitte durch Pandemiemaßnahmen belasten die mittelständischen Unternehmen aller Branchen. Über Erwartungen der Ostthüringer Wirtschaft für 2022 sprach die Redaktion mit IHK-Präsident Dr. Ralf-Uwe Bauer.
Immer mehr Arbeitsplätze bleiben derzeit unbesetzt. Sicherlich gibt es viele pandemiebedingte Ausfälle. Das größte Problem der Unternehmen ist aber der leergefegte Arbeitsmarkt und fehlender Berufsnachwuchs. Knapp die Hälfte der Unternehmen kann freigewordene Stellen langfristig nicht neu besetzen.
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- Herr Dr. Bauer, was fordert die Unternehmer Ostthüringens aktuell am meisten?
- Pandemiebekämpfung ohne wirtschaftliche Folgen wird es sicher nicht geben …
- Was muss unternommen werden, um den Aufwärtstrend von Energie- und Rohstoffpreisen zu stoppen?
- Ebenso ernst ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Immer häufiger fehlt Fachpersonal in den Unternehmen...
- Welche Erwartungen haben Sie an die Wirtschaftspolitik der neuen Bundesregierung?
Corona-Meldungen dominieren die Schlagzeilen. Wichtige Wirtschaftsthemen geraten dabei aus dem Blickfeld.
Herr Dr. Bauer, was fordert die Unternehmer Ostthüringens aktuell am meisten?
Wichtige Wirtschaftsthemen geraten immer mehr aus dem Blickfeld. Die Pandemie ist nicht unsere einzige Sorge. Steigende Energie- und Rohstoffpreise, Materialengpässe, fehlendes Fachpersonal und weiterhin zunehmende Bürokratie sind die Hauptrisikofaktoren, mit denen Unternehmen kämpfen. Die Pandemie, oder besser gesagt, die damit verbundenen Maßnahmen sowohl weltweit als auch im eigenen Land, verschärft die Situation zusätzlich.
Pandemiebekämpfung ohne wirtschaftliche Folgen wird es sicher nicht geben …
Klar, Pandemie-Bekämpfung ist wichtig und wir Unternehmer werden auch künftig unseren Beitrag leisten. Dabei haben trotz Staatshilfen noch längst nicht alle ihre Verluste aus diesen zwei Corona-Jahren kompensiert. Zu wiederholen, was sich schon einmal nicht bewährt hat, ist keine Lösung. Manche Maßnahmen greifen nicht, sind zu kostspielig und bieten keine Planungssicherheit, weder für Unternehmen, noch für ihre Beschäftigten – vor allem für die mit Kindern. Wir hatten und haben immer noch kein professionelles Krisenmanagement mit klaren Regeln und Konzepten - bundeseinheitlich, umsetzbar, zu Ende gedacht, rechtssicher und staatlich durchfinanziert. Wir brauchen dringend einen klaren politischen Ansatz um aus dem stetigen Kreislauf der Beschränkungen und damit verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen herauszukommen.
Was muss unternommen werden, um den Aufwärtstrend von Energie- und Rohstoffpreisen zu stoppen?
Die Kosten für Energie und Rohstoffe sind oft existenziell wichtige Standortfaktoren mit gravierenden Folgen für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Die neue Bundesregierung muss die Stromkosten in Deutschland wieder auf ein wettbewerbsfähiges Niveau bringen. Derzeit sehen sich die Unternehmen mit Preissteigerungen bis zum Vierfachen konfrontiert. Ein Trend, der sich mit dem geplanten fast gleichzeitigen Atomkraft- und Kohleausstieg nochmals verschärfen wird.
Die geplante Abschaffung der EEG-Umlage beim Strompreis ist ein wichtiger Impuls, muss aber mit weiterem Abbau der staatlichen Strompreisbestandteile verbunden werden. Netz- und Speicherausbau müssen schneller erfolgen. Schließlich können Wind und Sonne nur Strom bereitstellen, wenn der Wind weht und die Sonne scheint. Eine stabile Grundlast in der Energieversorgung ist existenziell für unsere Industrie und Infrastruktur, für die ganze Gesellschaft. Das wird viel zu oft ausgeblendet bei den Diskussionen über „grünen“ und „grauen“ Strom.
Ebenso ernst ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Immer häufiger fehlt Fachpersonal in den Unternehmen...
Die Lage ist wirklich ernst. In der Industrie schätzen rund 70 Prozent der Unternehmer den Fachkräftemangel als größtes Konjunkturrisiko ein, in der Baubranche sind es sogar über 90 Prozent.
Da wo Arbeitsplätze Dauerhaft nicht mehr besetzt werden können, müssen Roboter übernehmen. Unternehmen setzen auch deshalb auf Automatisierung und digitale Prozesse. Doch nicht überall ist das möglich und vor allem nicht ohne entsprechend qualifizierte Fachleute. Erfreulich ist, dass die Anstrengungen bei der Berufsorientierung Früchte tragen. So hat sich 2021 die Lage auf dem Ausbildungsmarkt etwas stabilisiert und es wurden fast wieder so viele neue Ausbildungsverträge abgeschlossen wie vor der Pandemie. Intensivere Unterstützung brauchen die Unternehmen bei der Gewinnung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland, zum Beispiel durch unbürokratische Abläufe sowie verlässliche Rahmenbedingungen für eine gezielte Einwanderung von Fachkräften.
Die gesellschaftliche Rolle der Unternehmer muss mehr gewürdigt werden. Im Koalitionsvertrag sehen die Mitglieder der Vollversammlung die Bedeutung der Wirtschaft und ganz besonders der Industrie nicht berücksichtigt.
Welche Erwartungen haben Sie an die Wirtschaftspolitik der neuen Bundesregierung?
Das haben wir in der IHK-Vollversammlung intensiv diskutiert. Die wohl wichtigste Erwartung: Die gesellschaftliche Rolle der Unternehmer muss mehr gewürdigt werden. Im Koalitionsvertrag sehen die Mitglieder der Vollversammlung die Bedeutung der Wirtschaft und ganz besonders der Industrie nicht berücksichtigt. Nur mit einer starken, zukunfts- und wettbewerbsfähigen Wirtschaft sind Klimaziele zu erreichen. Die Industriestrategie wird jedoch nur im Blick auf den Green Deal geplant. Die weltweite Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrieunternehmen wird den Energie- und Klimaschutzzielen untergeordnet. Alle Gesetzesvorschläge auf ihre Klimaschutzwirkung auszurichten, wird die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft erheblich verschlechtern. Bisher ist auch nicht erkennbar, wie die neue Bundesregierung die Unternehmen bei Bürokratie entlasten wird.
Die Pläne der Ampel-Koalition, viele Bereiche des öffentlichen Lebens und der Verwaltung grundlegend zu modernisieren und zu digitalisieren, begrüßten Unternehmer ausdrücklich. Bürokratielasten und mangelnde Effizienz von Verwaltungsprozessen sind vehemente Kritikpunkte. Die Wirtschaft fordert schon lange von allen öffentlichen Stellen, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu verschlanken, transparent, schnell und digital zu gestalten. Dazu gehört zuerst, Aufgaben, Prozesse und Strukturen kritisch zu hinterfragen, statt schlechte Bürokratie zu digitalisieren. Wir als IHK haben die Pandemiezeit genutzt, um Prozesse schneller und digitaler zu gestalten.
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