DIHK veröffentlicht Zehn-Punkte Papier zur Energie-Krise
Angesichts der für die deutsche Wirtschaft dramatischen Energiekrise dringt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) auf eine schnelle Ausweitung des Energieangebots sowie Entlastungen für Unternehmen.
In einer Sondersitzung am 21. September hat die DIHK Vollversammlung mit großer Mehrheit dem Zehn-Punkte Papier zur Energie-Krise zugestimmt. Auch die Industrie- und Handelskammer Fulda war an der Abstimmung beteiligt und befürwortet die Krisen-Resolution der IHK-Organisation.
Folgende Punkte wurden aufgestellt:
- 1. Alle verfügbaren Kohle- und Ölkraftwerke in den Markt zurückholen
Sämtliche verfügbaren Stein- und Braunkohlekraftwerke sowie Ölkraftwerke müssen jetzt schnell zurück in den Markt geholt werden, um die Versorgung mit Strom zu erhöhen, Gaskraftwerke zu ersetzen und damit die Strompreise zu dämpfen. Mit dem Ersatzkraftwerke-Bereithaltungsgesetz hat die Bundesregierung zwar bereits die rechtliche Grundlage geschaffen, um zusätzliche Kraftwerkskapazitäten aus Kohle und Öl dem Strommarkt zur Verfügung zu stellen. Allerdings ist die tatsächliche Kapazitätsausweitung bisher aufgrund restriktiver Vorgaben und mangelnder Planungssicherheit sehr gering. Dabei könnten in kurzer Zeit 5,5 GW aus der Netzreserve und weitere 1,9 GW aus der Versorgungsreserve in den Markt zurückgeholt werden. Entscheidend ist jetzt ein schneller und unbürokratischer Weg für zusätzliche Kapazitäten über die gesamte Krisenzeit hinweg.Vereinzelt gibt es Stimmen in der Wirtschaft, die gegen eine Zurückholung von Kohlekraftwerken sind.
- 2. Verfügbare Kernkraftwerke bis zum Ende der Krise weiterbetreiben
Die Nutzung der Kernkraft zur Stromerzeugung ist in der Wirtschaft umstritten. Das Thema war seit 2011 mit dem Beschluss der damaligen Bundesregierung zur Abschaltung aller Anlagen geklärt. Ohne die aktuelle Krise wären die letzten drei Kraftwerke zum 31.12.2022 abgeschaltet worden. Angesichts der aktuellen Notsituation steht eine Mehrheit der Unternehmen hinter einer kurzfristigen Weiternutzung. Daher spricht sich die IHK-Organisation dafür aus, die sich am Netz befindlichen Kernkraftwerke für die Dauer der Krise weiter zu nutzen, um die Strompreise zu dämpfen, die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken zu verringern und die Versorgung und Systemstabilität in Deutschland zu sichern. Bis zum Winter 2023/2024 sollten zudem möglichst die rechtlichen, technischen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden, um die 2021 vom Netz gegangenen Kernkraftwerke wieder für die Zeit der Krise betreiben zu können.
- 3. Preisbremse für die Wirtschaft einführen
An den Märkten für Strom und Gas haben sich aufgrund der gedrosselten Gaslieferungen aus Russland, der andauernden Trockenheit, der Einspeicherverpflichtungen für Gas sowie der Probleme der französischen Kernkraftwerke extreme Preise gebildet. Die Wettbewerbsfähigkeit weiter Teile der deutschen Wirtschaft ist damit nicht mehr gegeben. Ein kurzfristiger Eingriff auf europäischer Ebene erscheint daher gerechtfertigt, solange er auf die Krise begrenzt bleibt und die Funktionsfähigkeit des Terminmarkts nicht beeinträchtigt.Nationale Alleingänge sind hingegen nicht zielführend: Sie gefährden die Versorgungssicherheit, weil Anbieter aus dem europäischen Ausland sich dann vom deutschen Staat subventioniert mit günstigem Strom und Gas versorgen könnten und diese Mengen dann hierzulande fehlen würden. Anders stellt sich die Situation bei der Abschöpfung von sog. Zufallsgewinnen dar. Auch hier wäre eine europäische Lösung sinnvoll, wobei die Umsetzung den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben sollte. Die IHK-Organisation schlägt daher vor, dass Betreiber von Anlagen mit Grenzkosten deutlich unterhalb der aktuellen Marktpreise in der Energiekrisenzeit eine moderate Solidaritätsabgabe leisten. Dabei müssen die Anreize erhalten bleiben, auch weiterhin in diese Technologien zu investieren und bestehende Terminmarktverträge dürfen nicht beeinträchtigt werden.Die damit erzielten Einnahmen sollen zur Entlastung der Wirtschaft in der Breite eingesetzt werden. Um die betroffenen Unternehmen im Sinne eines Preisdeckels wirksam zu entlasten, ist sowohl eine Orientierung an den Corona-Hilfen als auch ein vergünstigtes Grundkontingent für Strom und Gas denkbar. In jedem Fall muss die Hilfe unmittelbar bei den Betrieben ankommen sowie für die Dauer der Energiekrise geleistet werden – sie darf zudem nicht auf Symbolbeträge beschränkt bleiben. Andernfalls stehen viele deutsche Betriebe vor dem Aus. Das bisherige Energiekostendämpfungsprogramm war und ist in allen Belangen nicht ausreichend.Zudem sollten auch die Kosten für Prozessenergieträger (Dampf, Kühlwasser, Druckluft) anerkannt werden. Neben der Solidaritätsabgabe der Betreiber von Erzeugungsanlagen mit geringen Grenzkosten kann die Finanzierung auch aus Mitteln aus dem Transformations- und Klimaschutzfonds sowie aus den Rücklagen des EEG-Kontos und ggfs. Haushaltsmitteln erfolgen. Gleichzeitig muss die Bundesregierung alles dafür tun, Wettbewerbsnachteile Deutschlands bei den Energiekosten z. B. durch den französischen Industriestrompreis, auch mittel- bis langfristig auszugleichen. Zur Entlastung der Preise sollte zudem geprüft werden, ob alle Energietransportmöglichkeiten bereits voll ausgeschöpft werden und neue Möglichkeiten geschaffen werden können, um die Lage zu entspannen. Besonders wichtig ist, dass die LNG-Terminals schnellstmöglich errichtet werden. Auch über die funktionstüchtigen Jamal- und Transgas-Pipelines könnte zusätzliches Gas bezogen werden.Wenige Stimmen regen die Prüfung an, ob unter bestimmten Bedingungen für die vereinbarten Liefermengen der Pipeline Nord Stream 1 auch befristet die Pipeline Nord Stream 2 eingesetzt werden könnte. Die klare Mehrheit lehnt dies mit Blick auf die Gesamtlage weiterhin ab.
- 4. Strom- und Gaspreisumlagen in den Bundeshaushalt überführen und Zuschuss zu Netzentgelten einführen
Eine Übernahme der Stromumlagen (§19 StromNEV-, Offshore-Netz-, AblaV- und KWK-Umlage) in den Staatshaushalt würde die Wirtschaft entlasten und Bürokratie abbauen. Im Rahmen der Einigung über den Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde für den Zeitraum ab 2023 ein Zuschuss zu den Netzentgelten vereinbart, der Preiseffekte ausgleicht. Hier sollte eine schnelle Umsetzung erfolgen.Gleiches gilt für das ebenfalls im Kohlekompromiss verabredete Ausgleichsinstrument für die energieintensive Industrie. Unternehmen werden zusätzlich durch die neu eingeführten Umlagen auf Gasspeicher, Gasbeschaffung sowie die Anhebung der Regelenergieumlage belastet. In der Summe verteuert das den Gasverbrauch nochmals um über 3 ct/kWh. Bei der Gasbeschaffungsumlage und der Speicherumlage kommt hinzu, dass sie im Rhythmus von drei Monaten angepasst werden können und dadurch die Planungssicherheit beeinträchtigt wird. Die Umlagen sollten daher ebenfalls in den Staatshaushalt übernommen werden.Bei der Gasbeschaffungsumlage gibt es auch Stimmen in der Wirtschaft, die eine Umlage für den besseren Weg halten.
- 5. Stromsteuer und Energiesteuer auf Gas auf europäische Mindestsätze senken
Die europäische Energiesteuer-Richtlinie sieht lediglich Mindeststeuersätze für die verschiedenen Energieträger vor. Daher kann die Stromsteuer in Deutschland im Einklang mit europäischen Vorgaben von 2,05 auf 0,05 Cent pro Kilowattstunde abgesenkt werden. Die Wirtschaft wäre dadurch um circa drei Milliarden Euro entlastet. Auch für Betriebe mit Spitzenausgleich würde das eine bürokratische Entlastung darstellen. Die Energiesteuer für Gas sollte ebenfalls auf das europäische Mindestmaß gesenkt werden. Diese richtet sich nach der Verwendungsart und liegt national zwischen 0,15 und 0,55 Cent pro Kilowattstunde. Eine Reduktion auf 0,054 Cent pro Kilowattstunde bei betrieblicher Verwendung als Heizstoff bzw. 0,108 Cent pro Kilowattstunde für gewerbliche und industrielle Zwecke sollte umgesetzt werden.
- 6. Entlastungen bei den CO2-Handelssystemen schaffen
Der nationale und der europäische Emissionshandel sind und bleiben zentrale Elemente, um die Treibhausgasminderungsziele zu erreichen. Doch außergewöhnliche Krisensituationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Daher sollte das nationale Emissionshandelssystem (BEHG) bis mindestens Ende 2024 ausgesetzt und die Aufnahme von Kohle und Abfall in die nationale CO2-Bepreisung ebenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verschoben werden.Die aktuellen Beschaffungspreise sind so hoch, dass eine zusätzliche Lenkung nicht mehr stattfindet. Zudem sollte das BEHG so rasch wie möglich durch ein europäisches System ersetzt werden, um Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen im europäischen Binnenmarkt zu vermeiden. In Europa werden alle Kapazitäten zur Stromproduktion benötigt, um die Versorgung stabil zu halten. Dies führt zu einer steigenden Nachfrage nach Zertifikaten und damit zu steigenden Bereitstellungskosten europäischer Erzeuger. Dies belastet die Wirtschaft zusätzlich und sollte vermieden werden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, mit einer Anhebung der Zertifikatsmenge den hohen Preisen entgegenzuwirken. Diese können aus der Marktstabilitätsreserve in den Handel überführt werden. Damit würde der Emissionshandel weiterhin als zentrales Instrument der Treibhausgasreduktionfunktionsfähig bleiben, aber die aktuelle Energiepreiskrise nicht weiter befeuert werden.
- 7. Dauerhafte Ersatzversorgung Strom und Gas einführen sowie Liquidität der Energieversorger sichern
Immer mehr Unternehmen erhalten keine Angebote für die Belieferung mit Strom und/oder Gas mehr. Ohne Energie kann weder produziert, noch können Waren oder Dienstleistungen verkauft werden. Damit es nicht zu zahlreichen Unternehmensschließungen kommt, sollte die Bundesregierung rasch das Recht auf Ersatzversorgung auf alle Spannungsebenen und Druckstufen ausweiten. Hierbei ist eine dauerhafte Lösung notwendig, die nicht nach drei Monaten endet. Die Ersatzversorgung könnte beispielsweise über eine Belieferung zum jeweils aktuellen Spotmarktpreis umgesetzt werden. Damit Energieversorger wieder in der Lage sind, Terminangebote zu machen, muss das KfW-Programm zum Margining dringend einfacher gestaltet werden. Zudem können weitere Maßnahmen sinnvoll sein, um Absicherungskosten zu senken - insbesondere Bürgschaften, falls Abnehmer ausfallen.
- 8. Absicherungsinstrument im Stromsektor einführen
Für den Winter können Abschaltungen von großen Stromverbrauchern aufgrund von Gasknappheit, Mangel an kurzfristigen Alternativen, fehlenden Netzen und Problemen der Stromerzeugung europäischer Nachbarstaaten nicht ausgeschlossen werden. Ein geeignetes Absicherungsinstrument hat die Bundesregierung im Sommer auslaufen lassen: die Verordnung abschaltbare Lasten. Um ungeplante Abschaltungen zu verhindern, sollte die Bundesregierung dringend eine Nachfolgeregelung finden, die insbesondere die kritische Versorgungssituation in den südlichen Landesteilen in den Blick nimmt, sowie Netzbetreibern und betroffenen Unternehmen Rechtssicherheit bietet.
- 9. Zusätzliches Gasauktionsmodell einführen
Das von der Bundesregierung konzipierte Gasauktionsmodell ist aus Sicht des DIHKs sinnvoll - aber nicht ausreichend: Es kommt erst zum Einsatz, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen und eine Gasmangellage unmittelbar bevorsteht. Daher ist zusätzlich und kurzfristig ein Modell notwendig, das darauf abzielt, Gas für die Einspeicherung verfügbar zu machen. Größere Gasabnehmer bekommen so weitere Anreize, ihren Verbrauch zu reduzieren
und eine weitere Befüllung der Speicher zu ermöglichen. Solche Anreize können nicht über den Regelenergiemarkt angeboten werden und sollten für die Abnehmer direkt verfügbar sein. - 10. Heimische Ressourcen stärker nutzen
Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird nach wie vor durch zu viel Bürokratie und behindernde Vorschriften belastet. Dadurch kann heimische Energie nicht oder nur weniger effizient genutzt werden: Beispielsweise müssen Windkraftanlagen zu oft abgeschaltet werden, Genehmigungen für Geothermie sind zu aufwändig, Stromspeicher, die zur Systemstabilität beitragen können, werden nicht aufgebaut. Zudem wird der Wechsel von Gas auf andere Energieträger immer noch durch Genehmigungsverfahren behindert. Gesetzliche Ausnahmeregelungen müssen erweitert werden - etwa für Flüssiggas- oder Heizöltanks -, damit der Fuel-Switch in größerem Umfang möglich ist. Auch die Genehmigungen für neue Windparks und
Stromnetze sollten massiv beschleunigt werden.Parks, die sich bereits im Genehmigungsverfahren befinden, sollten unverzüglich ans Netz gehen. Zudem sollten neue PV-Freiflächenanlagen zumindest bis Ende 2026 privilegiert werden. Regulatorische Hürden für die stärkere Nutzung bestehender EE-Anlagen sollten ebenfalls kurzfristig beseitigt und die Eigenenergieversorgung gestärkt werden. Zudem sieht ein großer Teil der Wirtschaft in einer stärkeren Förderung von heimischen Gasen inklusive Schiefergas einen wichtigen Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage. Auch hierfür sollten gesetzliche Hürden abgebaut werden. Ebenso sollten die Auswirkungen des ab 2023 geltenden Ölembargos so gering wie möglich gehalten werden. Dazu zählen nicht nur die sichere Versorgung mit Kraftstoffen, Heizöl, etc. sondern auch die Sicherung von Raffineriestandorten.