BREXIT - Positionspapier

Gemeinsam mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau haben die baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern in enger Abstimmung das folgende 10-Punkte-Papier entwickelt.


BREXIT - Positionen
1. Übergeordnetes wirtschaftspolitische Ziel: Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenfreizügigkeit weitestmöglich erhalten.
Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist eine Lösung wünschenswert und zu unterstützen, die den Handel zwischen Baden-Württemberg und dem Vereinigten Königreich möglichst wenig einschränkt.
2. Übergeordnetes europapolitisches Ziel: den Binnenmarkt erhalten.
Mögliche "Zentrifugalkräfte" müssen vermieden werden, um den Zusammenhalt der verbleibenden EU-27 nicht zu gefährden. Ein „Rosinenpicken“ seitens des Vereinigten Königreichs wird daher klar abgelehnt. Denn der Zusammenhalt in einem Binnenmarkt in einer EU 27 ist für die Wirtschaft in Baden-Württemberg von zentraler Bedeutung; gerade auch vor dem Hintergrund der in vielen Teilen der Welt zunehmenden protektionistischen Tendenzen.
3. Unsicherheiten baldmöglichst reduzieren.
Wie werden sich nach einem Brexit die Zölle und Wechselkurse entwickeln? Welche neuen Einfuhrvorschriften und Produktstandards werden gelten? Werden Service-Mitarbeiter weiterhin problemlos im Vereinigten Königreich War-tung und Kundenbetreuung wahrnehmen können? Diese und viele weitere offene Fragen können Investitionen und Geschäfte verzögern, denn Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit.
4. Möglichst keine Zölle aufbauen:
Ein wesentliches Hemmnis in den Handelsbeziehungen wäre die Einführung von Zöllen (tarifäre Handelshemmnisse); Güter und Dienstleistungen wür-den unnötigerweise über die Zölle und die Zollabwicklungskosten verteuert.
5. Möglichst wenig unnötige Bürokratie:
Es gilt nicht-tarifäre Hemmnisse soweit als möglich zu vermeiden, auch sie verteuern und verkomplizieren den Waren- und Dienstleistungsverkehr und belasten den Liefer- und Produktionsablauf mit Bürokratie.
6. Möglichst reibungslose Beschäftigung von Fachkräften mit EU-Pass:
Mitarbeiter von Unternehmen sollten auch künftig keine speziellen Genehmigungen brauchen, um im jeweils anderen Land zu arbeiten. Neben langfristiger Beschäftigung gilt dies auch für kurzfristige Termine, z.B. bei Messen oder als Servicemitarbeiter.
7. Branchenspezifische Herausforderungen berücksichtigen:
Beispielhaft sind hier drei Schlüsselbranchen in Baden-Württemberg herausgegriffen:
  • Automobilbranche: Nach Angaben des Verbands der Automobilindustrie haben die deutschen Konzernmarken im Vereinigten Königsreich bei den Neuwagen einen Marktanteil von 50 %. Diese hochvernetzte Branche nutzt intensiv das Just-in-Time Verfahren. Jegliche Marktzugangshemmnisse würden die Produktion verzögern. Lieferantenbeziehungen müssen neu gestaltet werden. Unklare Regelungen mit unabsehbaren zeitlichen Grenzprocedere sind zu vermeiden.
  • Maschinenbau: Ein wichtiger Vorteil der EU für die baden-württembergischen Maschinenbauer besteht in gleichen Regeln und der Harmonisierung der Industrie-normen. Das Vereinigte Königreich sollte auch ohne die EU die jeweiligen Standards und Normen 1:1 übernehmen.
  • Gesundheitsindustrie / Pharma: Ziel muss es sein, dass der Austritt des Vereinigten Königreichs und der Umzug von EU-Agenturen die regulatorischen Kapazitäten, Prozesse und Zeitrahmen gerade im Bereich der Zulassung und Einführung neuer Medikamente nicht negativ beeinflusst. Für Medizinprodukte wird gefordert, dass Produkte mit CE-Kennzeichen relativ einfach auf dem britischen Markt zugelassen werden und umgekehrt.
Außer den genannten Branchen sehen sich auch andere Ausrüster, Metallerzeuger, Chemieunternehmen und viele weitere Wirtschaftszweige, auch das Handwerk, vergleichbaren Herausforderungen gegenüber. Sie alle wollen wir begleiten und ihre Interessen engagiert vertreten.
8. Sinnvolle Übergangsregelungen schaffen:
Zwischen dem Austritt des Vereinigten König-reichs aus der EU und einem neuen Handelsabkommen wird voraussichtlich eine Zwischen-phase entstehen. Die EU sollte frühzeitig auch diese Übergangs-Regularien klären. Viele Un-ternehmen arbeiten in hochkomplexen Wertschöpfungsnetzwerken und sind mittel- und langfristig auf tragfähige Forschungs- und Projektpartnerschaften angewiesen. Pragmatische aber auch eindeutige Übergangsregelungen sind aus Sicht der Wirtschaft notwendig.
9. Weiterhin impulsgebende europäische Investitionen gewährleisten:
Durch den geplanten Austritt des Vereinigten Königreichs müssen die Finanzbeziehungen der EU neu überdacht werden (erste Schätzung: 10 Mrd. Euro pro Jahr weniger durch den Ausfall des Nettobeitra-ges des Vereinigte Königreichs). Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau plädiert unverändert für eine EU, die in Zukunftsthemen wie Innovation und Digitalisierung investiert; gerade auch zur Unterstützung der KMU. Hierfür haben sich die diversen Pro-gramme der Forschungs- und Regionalpolitik als sehr sinnvoll erwiesen; die baden-württembergische Unternehmen profitieren in hohem Ausmaß von diesen Kooperationen und Strukturen.
10. Weiterentwicklung der EU auch im Sinne der Wirtschaftspolitik:
Der Brexit bewirkt eine Re-flexion über die Zukunft der EU. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau setzt sich dafür ein, dass die EU wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen stärkt (z.B. im Rahmen der Diskussionen über Wirtschafts- und Währungsunion, Unternehmenssteuer bzw. das Weißbuch zur Zukunft Europas der Europäischen Kommission). Je stärker die EU und die Mitgliedsstaaten wirtschaftlich aufgestellt sind, desto stärker wird der Standort Baden-Württemberg profitieren.


Weiterführende Informationen:
Aktuelle Infos rund um das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU veröffentlicht der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) in seinen "Brexit-News".