Ein Jahr Welcome Center Südlicher Oberrhein: Bedarf steigt deutlich

Das Büro des Welcome Centers befindet sich im Gebäude der Freiburger Handwerkskammer. An den Schreibtischen sitzen Dr. Sophie Figueredo-Hardy, Justyna Gawron und Olga Kuchendaeva – sie telefonieren, machen Videocalls oder beraten persönlich. Die drei Frauen beherrschen neben Deutsch sieben weitere Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Russisch und Polnisch – und sie wissen aus eigener Erfahrung, wie mühsam es für Ausländer:innen sein kann, in Deutschland beruflich Fuß zu fassen.
„Seit wir mit dem Welcome Center vor einem Jahr an den Start gegangen sind, ist klar, dass wir gebraucht werden“, sagt Figueredo-Hardy, „wir bekommen regelmäßig E-Mails, in denen uns gedankt wird“. Sowohl internationale Fachkräfte als auch kleine und mittelständische Unternehmen aus der Region – die beiden Zielgruppen des Welcome Centers – zeigen ein großes Interesse an dem Know-how der noch jungen Beratungsstelle. Und die Nachfrage steigt: Fanden zwischen Mai und Dezember 2023 insgesamt 169 Erstberatungen statt – wovon 55 Prozent auf ausländische Fachkräfte und 45 Prozent auf Unternehmen entfielen –, ist diese Marke in diesem Jahr schon in den ersten vier Monaten erreicht worden. Die steigende Nachfrage erklären sich die drei Referentinnen mit dem zunehmenden Bekanntheitsgrad des Welcome Centers, aber auch mit den offenen Fragen rund um das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG).
„Vor wenigen Tagen erhielt eine junge Frau aus Aserbaidschan endlich ihr Visum“
Durch die FEG-Reform, die ab November 2023 bis Juni 2024 schrittweise umgesetzt wird, gibt es bei der Fachkräftegewinnung im Ausland in mancher Hinsicht rechtliche Erleichterungen. Aber insgesamt bleibt es kompliziert. Ob ein Bewerber oder eine Bewerberin einreisen darf, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Person muss unter anderem einen im Herkunftsland staatlich anerkannten, mindestens zweijährigen Berufsabschluss vorweisen können. „Ist das geklärt, schauen wir, welche Optionen für die Person in Frage kommen“, sagt Kuchendaeva.
„Vor wenigen Tagen erhielt eine junge Frau aus Aserbaidschan endlich ihr Visum“, vermeldet Figueredo-Hardy eine Erfolgsgeschichte, „sie arbeitet jetzt bei einem Finanzberater in der Region“. Ein Drittel der Fachkräfte, die das Welcome Center berät, sind Frauen. Fast alle Bewerberinnen und Bewerber kommen aus Ländern außerhalb der EU. Von den insgesamt 43 Herkunftsländern sind derzeit die Ukraine (14 Prozent), die Türkei (9) und Indien (4) am stärksten vertreten. „Manche Menschen, die am südlichen Oberrhein arbeiten wollen, haben Freunde oder Verwandte hier“, sagt Figueredo-Hardy. Außerdem sei die Region wegen ihrer attraktiven Grenzlage gefragt. „Und für einige der Lateinamerikaner, die ich berate, spielt auch das warme Wetter bei uns eine Rolle.“
Bis eine ausländische Fachkraft von den Behörden eine Einreiseerlaubnis erhält, vergehen im Durchschnitt drei bis vier Monate – allerdings nur im beschleunigten Verfahren über die Ausländerbehörden oder die Botschaften. Das reguläre Verfahren kann sich bis zu einem Jahr hinziehen. „Wir sind auch dafür da, den Unternehmen eine realistische Erwartungshaltung zu vermitteln, damit sie planen können“, sagt Gawron.
Mit der Ankunft der Fachkraft aus dem Ausland hört die Betreuung nicht auf. Im zweiten Schritt geht es um Integration. Erst vor kurzem habe sich ein Spediteur an das Welcome Center gewandt mit der Frage: „Was kann ich tun, dass die Fachkräfte auch bleiben?“ „Eine Willkommenskultur ist absolut wichtig“, sagt Gawron. Die Unternehmer müssten für die unterschiedlichen Bedürfnisse der neuen Mitarbeitenden sensibilisiert werden. „Bis sich jemand angekommen fühlt, kann es dauern.“ Die Trennung von der Familie und Freunden, der Verlust von Status und Identität führe bei vielen Neuankömmlingen zu einer „Migrationskrise“, sagt Gawron, die Islam- und Kulturwissenschaften studiert hat. All das sollte mit berücksichtigt werden.
Nach der Einreise berät das Welcome Center beide Zielgruppen zu integrationsrelevanten Themen, so etwa zu Deutschkursen und dem deutschen Schulsystem. Und die in unserer Region sehr herausfordernde Wohnungssuche sei für Migrant:innen oft noch schwieriger als für Einheimische, sagt Gawron. Hier könne ein Unternehmen unterstützen, indem es seine Kontakte nutze.
„Längst fehlt es nicht mehr nur an Fachkräften, sondern auch an Helfern“
Bisher kamen die meisten Anfragen an das Welcome Center aus Industrie und Handel. Im laufenden Jahr möchte die Beratungsstelle mehr Betriebe im Handwerk erreichen. Handwerksbetrieben fehle in der Regel die Erfahrung mit Fachkräften aus dem Ausland, sagt Kuchendaeva. Erschwerend kommt hinzu: In den meisten Nicht-EU-Ländern werden handwerkliche Fähigkeiten oft ohne Ausbildung erlernt. Doch für ungelernte Handwerker:innen gibt es im FEG keine Schlupflöcher. „Diese Menschen haben keine Chance, bei uns langfristig reinzukommen“, sagt Kuchendaeva. 
Es bestehe dringender Handlungsbedarf, sagt Simon Kaiser, Geschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein und zuständig für die Ausbildung- und Weiterbildung im Kammerbezirk. „Wenn wir im globalen Wettbewerb um Fachkräfte nicht völlig den Anschluss verlieren wollen, müssen wir unsere Standards senken“, sagt Kaiser. „Bereits heute attestieren eine ganze Reihe an Studien dem Standort Deutschland, dass er es gerade qualifizierten Zuwanderern unnötig schwer macht.“  Die formelle Anerkennung eines Berufsabschlusses spiele für deutsche Arbeitgeber häufig gar keine Rolle. „Längst fehlt es nicht mehr nur an Fachkräften, sondern auch an Helfern“, so Kaiser. „Das Risiko, dass ein Zuwanderer am Ende arbeitslos ist und durch das Sozialsystem unterstützt werden muss, ist also denkbar gering.“
Über das Welcome Center Südlicher Oberrhein:
Das Welcome Center Südlicher Oberrhein ist ein Gemeinschaftsprojekt von IHK Südlicher Oberrhein und Handwerkskammer Freiburg, gefördert vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg. Es ist eines von insgesamt zwölf Welcome Centern in Baden-Württemberg.
(3.5.2024)