EU-Regulierungswelle steht bevor
Digitalisierung und Green Deal bringen Herausforderungen für den Handel.
Digitale Produkte haben in den letzten Jahren immer stärker in den Läden Einzug gehalten. In erster Linie stehen dabei IKT- und Elektronikprodukte. Digitale Produkte finden sich aber in immer mehr Sparten wie z.B. im Baumarkt, im Sportgeschäft oder im Spielzeugladen.
Hinzu kommt das gesteigerte Bewusstsein in Unternehmen und Gesellschaft für eine nachhaltige Entwicklung. Das fängt bei Chemikalien in Produkten an und geht bis zum Schutz der Wälder und Menschenrechte an den Produktionsstandorten.
Auch haben sich die Rollen und die Wege beim Vertrieb von Produkten in den letzten Jahren gewandelt. Anbieter aus Drittstaaten können Produkte digital direkt an Kunden verkaufen, Hersteller nutzen den Direktvertrieb, Einzelhändler importieren ihre Waren selbst aus den Herstellerländern und Plattformen sind zu wichtigen Playern im Vertriebsmarkt geworden. Vor allem der letzte Punkt hat zahlreiche Neuerungen bei gesetzlichen Regelungen notwendig gemacht, denn Plattformen unterliegen (bislang) einem Haftungsprivileg. Sie sind als „Vermittler“ nicht haftbar, wenn Anbieter auf ihrem Marktplatz Regeln missachten. Auch Fulfilment-Center haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen.
Alte Gesetze konnten an vielen Stellen nicht mehr für einen fairen Wettbewerb sorgen. Daher gibt es eine ganze Reihe von Gesetzesvorhaben, die schon beschlossen sind oder gerade verhandelt werden: So werden Digital Services Act und Digital Markets Act Plattformen ab Anfang 2024 stärker regulieren und u.a. stärkere Prüf- und Sorgfaltspflichten einführen. Das trifft mittelbar auch den Handel, der den Plattformen zukünftig mehr Informationen liefern muss, damit diese Pflichten erfüllt werden.
Weiterhin beschlossen ist die allgemeine Produktsicherheitsverordnung, die ab Herbst 2024 in allen EU-Mitgliedsstatten gilt. Mancher Einzelhändler wird nun sagen: Sicherheit von Produkten, was habe ich damit zu tun? Schon seit 2008 ist durch das New Legislative Frameworks (NLF) die Überwachung von Märkten und der Sicherheit von Produkten in einem abgestuften System organisiert. Die meisten Pflichten haben die Hersteller, die für Sicherheit der Produkte sorgen müssen. Importeure und Einzelhändler haben ebenfalls Pflichten und müssen z.B. prüfen, ob eine Bedienungsanleitung in Landessprache vorhanden ist. Bei Problemen sind sie verpflichtet. diese an die zuständigen Behörden bzw. das Safety-Business-Gateway zu melden. In der Praxis bedeutet das oft auch: Lieferanten erklären, an was sie sich halten müssen oder wie Produkte richtig zu kennzeichnen sind.
Die Logik des NLF zieht sich durch einige weitere Vorhaben der EU wie z.B. den Cyber Resilience Act, der die IT-Sicherheit von Produkten im Fokus hat oder auch die ab 2025 gültigen Regelungen zur Barrierefreiheit von bestimmten Produkten und barrierefreien E-Commerce-Seiten.
Im Umweltbereich heißt die große Überschrift in der EU „Green Deal“. Neben der Verpackungsverordnung wird auch die Batterieverordnung aktualisiert. Aktuell wird über das Right to Repair verhandelt. Der Handel ist hier vor allem betroffen, wenn er Produkte im EU-Binnenmarkt verkauft: Dann ist er in jedem Land im Rahmen der EPR (Extended Producer Responsibilty) für die Einhaltung der Vorschriften zuständig - die bisher übrigens in jedem EU-Staat unterschiedlich sind.
Im Chemikalienbereich sind REACH, CLP oder SCIP relevant, da sie die Produkte und ihre Kennzeichnung am Point of Sale betreffen. Schlussendlich hat der Händler ein Problem, wenn die Marktüberwachungsbehörde ein Produkt in seinem Laden bemängelt.
Auch bei Lieferketten wird schlussendlich der Händler mit sicherstellen müssen, dass die Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten oder das Lieferkettengesetz eingehalten wurden.
Zu guter Letzt sind auch noch Änderungen im Bereich der Umsatzsteuer und des Zollrechts geplant. Mit ViDA (VAT in the Digitale Age) soll durch ein digitales Meldesystem Umsatzsteuerbetrug bekämpft werden. Dazu sollen Unternehmen für grenzüberschreitende B2B-Umsätze innerhalb der EU nur noch elektronische Rechnungen in einem strukturierten Format erstellen dürfen. Die Bundesregierung möchte auch für nationale Umsätze zwischen Unternehmen die verpflichtende Ausstellung der sog. eRechnung ab 2025 einführen. Ende Mai hat die EU außerdem eine umfassende Zollrechtsreform angekündigt. Alle Sendungen sollen über eine digitale Zollplattform abgewickelt werden – im E-Commerce bereits ab 2028. Die Zollfreigrenze von 150 Euro soll abgeschafft werden und Plattformen sollen dafür sorgen, dass Zölle und Einfuhrumsatzsteuer beim Kauf entrichtet werden. Außerdem sollen sie als offizielle Einführer sicherstellen, dass die Produkte den EU-Umwelt-, Sicherheits- und Ethikstandards entsprechen.
Fazit: Neue Leitplanken sind in einem veränderten Umfeld wichtig und richtig, um einen fairen Wettbewerb zu gestalten. Sie dürfen aber nicht zu unnötigen Mehrbelastungen für Unternehmen führen. Die Bürokratiebelastungen sind bereits jetzt zu hoch. Um sich dem Ziel einer „besseren Rechtsetzung“ zu nähern, sollten regulative Maßnahmen miteinander verzahnt und aufeinander abgestimmt sein. Dadurch reduziert sich die Vielzahl von unterschiedlichen oder gar widersprüchlichen Regeln, vor denen die Betriebe stehen und der EU-Binnenmarkt wird gestärkt. Die DIHK stellt in ihren Stellungnahmen gegenüber der EU sicher, dass diese Punkte gehört werden. Gleichzeitig ist die DIHK bestrebt, Verbesserungsvorschläge einzubringen, damit existierende bürokratische Regelungen abgebaut werden.