Deutsches Lieferkettengesetz: Anforderungen und Inhalte
Bundestag und Bundesrat haben dem Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten zugestimmt. Das Lieferkettengesetz (auch Sorgfaltspflichtengesetz genannt) wurde am 22. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt verkündet und tritt am 1. Januar 2023 in Kraft. Nachfolgend finden Sie einen Überblick über die Eckpunkte des Gesetzes und Aufgaben betroffener Unternehmen.
- Zielsetzung des Gesetzes
- Unmittelbar betroffene Unternehmen
- Definition der Lieferkette
- Eckpunkte des Lieferkettengesetzes
- Auswirkungen der Branchenzugehörigkeit
- Bußgelder und vergaberechtliche Sanktionen
- Grad der Betroffenheit als Lieferant
- Unmittelbarer oder mittelbarer Zulieferer
- Betroffenheit als unmittelbarer Zulieferer
- Betroffenheit als mittelbarer Zulieferer
- Das Europäische Lieferkettengesetz
Zielsetzung des Gesetzes
Durch das Lieferkettengesetz sollen Unternehmen zur globalen Achtung der Menschenrechte und des Umweltschutzes in ihrer Lieferkette verpflichtet werden.
Ausgangspunkt sind die Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen, wonach weltweit der Schutz der Menschenrechte in Form Nationaler Aktionspläne (NAP) umgesetzt werden soll. Der deutsche NAP setzte zunächst auf eine Umsetzung der Vorgaben durch Unternehmen auf freiwilliger Basis. Nachdem die Bundesregierung die Selbstregulierung der Wirtschaft als gescheitert angesehen hatte, wurden gesetzliche Regelungen erarbeitet. Der Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten (19/28649) wurde am 11. Juni 2021 in der vom Ausschuss für Arbeit und Soziales geänderten Fassung (19/30505) vom Bundestag angenommen. Der Bundesrat billigte den überarbeiteten Entwurf am 25. Juni 2021.
Nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten wurde das Lieferkettengesetz am 22. Juli 2021 im Bundesgesetzblatt (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 129 KB) verkündet.
Unmittelbar betroffene Unternehmen
Unmittelbar betroffen sind Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten, die mit ihre Hauptverwaltung, Hauptniederlassung oder ihren Sitz in Deutschland haben. Mitgezählt werden auch Leiharbeiter, wenn sie länger als sechs Monate im Betrieb beschäftigt sind. Die Sorgfaltspflichten gelten ebenfalls für deutsche Niederlassungen ausländischer Unternehmen.
Wichtig: Bis zum 30. Juni 2024 soll der erreichte Schutz der Menschenrechte in Lieferketten evaluiert werden, um die Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen - das kann beispielsweise auch eine mögliche Absenkung des Schwellenwertes der Größenklassen erfasster Unternehmen oder aber die Höhe der Bußgelder betreffen.
Definition der Lieferkette
Die Lieferkette im Sinne des Sorgfaltspflichtengesetzes bezieht sich auf alle Produkte und Dienstleistungen der unmittelbar betroffenen Unternehmen. Sie umfasst alle Schritte im In- und Ausland, die zur Herstellung der Produkte und zur Erbringung der Dienstleistungen erforderlich sind, angefangen von der Gewinnung der Rohstoffe bis hin zur Lieferung an den Endkunden und umfasst:
- das Handel des Unternehmens im eigenen Geschäftsbereich,
- das Handeln eines unmittelbaren Zulieferers und
- das Handeln eines mittelbaren Zuliefers.
Eckpunkte des Lieferkettengesetzes
Hauptbestandteil des neuen Gesetzes ist die Festlegung von menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten für die unmittelbar betroffenen Unternehmen. Diese Pflichten umfassen:
Pflicht zur Risikoanalyse
Unternehmen müssen die Risiken innerhalb ihrer Lieferkette ermitteln und bewerten, um auf dieser Grundlage Maßnahmen ergreifen zu können. Als relevante Risikofelder werden jene Teile in der Produktions- und Lieferkette benannt, die besonders hohe menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken bergen. Hierzu enthält das Lieferkettengesetz einen konkreten Katalog von menschenrechtlichen Risiken, in dem Fallkonstellationen wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit, Diskriminierung, Verstoß gegen die Vereinigungsfreiheit sowie problematische Anstellungs- und Arbeitsbedingungen aufgeführt sind. Risiken für die Umwelt werden von dem Gesetz abgedeckt, sofern sie zu Menschenrechtsverletzungen führen (z.B. vergiftetes Wasser) und wenn es darum geht, gefährliche Stoffe für Mensch und Umwelt (z.B. Quecksilber) zu verbieten.
In die Risikoanalyse sind auch die Geschäftsbereiche der unmittelbaren Zulieferer einzubeziehen.
Mittelbare Zulieferer bis hin zu Rohstofflieferanten sind in die Risikoanalyse bei substantiierter Kenntnis einzubeziehen. Zum Beispiel, wenn Unternehmen begründete Hinweise zu möglichen Menschenrechts- oder Umweltverletzungen vorliegen.
Ergreifen von Abhilfemaßnahmen
Als Konsequenz der Risikoanalyse müssen Unternehmen ein angemessenes Risikomanagement entlang der gesamten Lieferkette einführen. Dies beinhaltet die Benennung einer verantwortlichen Person innerhalb des Betriebes, die die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überwacht. Die Geschäftsleitung hat sich regelmäßig über die Arbeit dieser zuständigen Person zu informieren.
Um Verstößen gegen Sorgfaltspflichten vorzubeugen, müssen geeignete Abhilfe- oder präventive Maßnahmen getroffen werden. Das kann beipielsweise die Vereinbarung entsprechender vertraglicher Menschenrechtsklauseln mit dem Zulieferer sein. Ebenso müssen angemessene Maßnahmen zur Beendigung oder Minimierung einer bereits eingetretenen Verletzung (Abhilfemaßnahmen) getroffen werden.
Schlechte Bedingungen bei mittelbaren Zulieferern, d.h. in den tieferen Gliedern der Lieferkette, müssen betrachtet und angegangen werden, wenn Unternehmen darüber Kenntnis erlangen und tatsächliche Ansatzpunkte haben. Etwa durch Berichte über die schlechte Menschenrechtslage in der Produktionsregion, frühere Vorfälle bei dem Zulieferer oder die Zugehörigkeit zu einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken.
Beschwerdeverfahren
Das Lieferkettengesetz sieht die verbindliche Einführung eines Beschwerdesystems vor, das ohne Hürden zugänglich sein soll. Ferner sind die Voraussetzungen der Vertraulichkeit und des Datenschutzes zu wahren. Das Beschwerdeverfahren soll es direkt Betroffenen ebenso wie denjenigen, die Kenntnis von möglichen Verletzungen haben ermöglichen, auf menschenrechtliche oder umweltbezogene Risiken und Verstöße hinzuweisen.
Berichterstattungspflicht
Die betroffenen Unternehmen müssen jährlich einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten veröffentlichen und bei der zuständigen Behörde einreichen.
Dieser Bericht ist beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einzureichen. Das BAFA hat dazu eine digitale Eingabemaske für Unternehmen veröffentlicht, die nach dem Lieferkettengesetz berichtspflichtig sind. Dieser Fragenkatalog steht als Online-Eingabemaske auf der Webseite des BAFA zur Verfügung.
Auswirkungen der Branchenzugehörigkeit
Im Lieferkettengesetz werden Branchen genannt, in denen eher geringe menschenrechtliche Risiken angenommen werden. Dazu zählen unter anderem Unternehmen der Branchen Entsorgung, Forstwirtschaft, Immobilien sowie Wasserversorgung, da die Wertschöpfung in diesen Bereichen überwiegend in Deutschland stattfindet.
In den Branchen Baugewerbe, Landwirtschaft und Fischerei, Personal-, Reinigungs- und Sicherheitsdienstleistungen sowie Transport und Logistik wird ebenfalls eine geringe internationale Verflechtung, jedoch höhere menschenrechtliche Risiken als in der ersten Gruppe angenommen.
Starke menschenrechtliche Risiken werden bei Unternehmen angenommen, die ausschließlich aus dem europäischen Ausland importieren.
Sehr starke menschenrechtliche Risiken werden bei Unternehmen angenommen, die weltweit beschaffen.
Bußgelder und vergaberechtliche Sanktionen
Mit der Kontrolle und Durchsetzung des Lieferkettengesetzes wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) betraut.
Kommen Unternehmen ihren Pflichten zur Risikoanalyse, zur Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens, Präventionsmaßnahmen und dem wirksamen Abstellen von bekannten Menschenrechts- oder Umweltverstößen nicht nach, drohen schmerzhafte Bußgelder von bis zu acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes. Der umsatzbezogene Bußgeldrahmen gilt nur für Unternehmen mit mehr als 400 Millionen Euro Jahresumsatz. Ebenso können Unternehmen gegen die bereits ein hohes Bußgeld verhängt wurde, für bis zu drei Jahre von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.
Grad der Betroffenheit als Lieferant
Auch Zulieferer der unmittelbar betroffenen Unternehmen sind angehalten, sich mit den Neuerungen des Sorgfaltspflichtengesetzes zu beschäftigen. Hier ist es ratsam, dass sich Lieferanten zunächst anhand ihrer Kundenstruktur anschauen, wie viele der von ihnen belieferten Unternehmen aufgrund ihrer Mitarbeiterzahl (mehr als 3.000 bzw. mehr als 1.000 Beschäftigte) dem Lieferkettengesetz unterliegen und welchen Umsatzanteil die Lieferungen an diese Kunden am Gesamtumsatz ausmachen.
In einem weiteren Schritt lässt sich dann anhand der Branchenzugehörigkeit der Kundenunternehmen beurteilen, inwieweit man als Lieferant von dem Gesetz betroffen sein wird. Das Sorgfaltspflichtengesetz definiert je nach Branche eine unterschiedliche Betroffenheit.
Auch stellt sich die Frage, wie international die Kundenunternehmen aufgestellt ist. Sehr stark betroffen im Kontext von Menschenrechts- und Umweltstandards sind laut Sorgfaltspflichtengesetz Unternehmen, die aus dem außereuropäischen Ausland beliefert werden. Starke Betroffenheit wird bei einer Belieferung aus dem europäischen Ausland angenommen.
Eine ausführliche Analyse zu den Auswirkungen des Lieferkettengesetzes auf Zulieferer (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 164 KB) haben wir unter “Weitere Informationen” zusammengestellt.
Unmittelbarer oder mittelbarer Zulieferer
Das Sorgfaltspflichtengesetz unterscheidet in seinen Begriffsbestimmungen (§ 2) zwischen unmittelbaren und mittelbaren Zulieferern:
- “Unmittelbarer Zulieferer [...] ist ein Vertragspartner, dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes [des Kunden] oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung [des Kunden] notwendig sind.” (§ 2, Abs. 7)
- “Mittelbarer Zulieferer [...] ist jedes Unternehmen, das kein unmittelbarer Zulieferer ist und dessen Zulieferungen für die Herstellung des Produktes des Unternehmens oder zur Erbringung und Inanspruchnahme der betreffenden Dienstleistung notwendig sind.” (§ 2, Abs. 8)
Unmittelbare Zulieferer werden deutlich stärker betroffen sein, da der Gesetzgeber von einer größeren Möglichkeit zur Einflussnahme und Auferlegung von Sorgfaltspflichten durch das Kundenunternehmen ausgeht.
Betroffenheit als unmittelbarer Zulieferer
Die Betroffenheit der unmittelbaren Zulieferer ergibt sich aus den Anforderungen, die das Sorgfaltspflichtengesetz an die direkt dem Gesetz unterliegenden Unternehmen stellt. Explizit benannt werden die zu treffenden Maßnahmen in § 6, Abs. 4:
“Das Unternehmen muss angemessene Präventionsmaßnahmen gegenüber einem unmittelbaren Zulieferer verankern, insbesondere:
1. die Berücksichtigung der menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen bei der Auswahl eines unmittelbaren Zulieferers,
2. die vertragliche Zusicherung eines unmittelbaren Zulieferers, dass dieser die von der Geschäftsleitung des Unternehmens verlangten menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Vorgaben einhält und entlang der Lieferkette angemessen adressiert,
3. die Vereinbarung angemessener vertraglicher Kontrollmechanismen sowie die Durchführung von Schulungen und Weiterbildungen zur Durchsetzung der vertraglichen Zusicherungen des unmittelbaren Zulieferers nach Nummer 2,
4. die Durchführung risikobasierter Kontrollmaßnahmen auf Grundlage der vereinbarten Kontrollmechanismen nach Nummer 3, mit denen die Einhaltung der Menschenrechtsstrategie bei dem unmittelbaren Zulieferer überprüft wird.”
Den direkt dem Gesetz unterliegenden Unternehmen wird also auferlegt, Maßnahmen zur Prävention von Risiken in ihrer Lieferkette zu treffen, etwa durch vertragliche Vereinbarungen mit ihren unmittelbaren Zulieferern, in denen entsprechende Sorgfaltspflichten auch dem Zulieferer auferlegt werden, wonach Menschenrechte, Arbeitnehmerbelange und Umweltstandards einzuhalten sind. Auch ein Screening im Hinblick auf die Fähigkeit Sorgfaltspflichten einzuhalten, kann auf (bestehende und zukünftige) Lieferanten zukommen. Möglich ist auch, dass Lieferantenvereinbarungen auf einen „Verhaltenskodex“ verweisen, mit dem das Unternehmen seine Erwartungen an die Zusammenarbeit mit dem Zulieferer verbindlich beschreibt. Als vertragliche Sanktionen können Kündigungsrechte, Freistellungsansprüche und Schadensersatzansprüche (s. dazu auch in der Gesetzesbegründung, Besonderer Teil, S. 49) fixiert werden. Des Weiteren kann der Lieferant verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass Compliance-Standards und Sorgfaltspflichten auch in der nachgelagerten Lieferkette eingehalten werden.
Betroffenheit als mittelbarer Zulieferer
Bei mittelbaren Zulieferern sind aus Sicht des Sorgfaltspflichtengesetzes insbesondere
“strategisch relevante Zwischenhändler und Zulieferer”
von Bedeutung (Gesetzesbegründung, Besonderer Teil, S. 48).
Direkt dem Gesetz unterliegende Unternehmen müssen im Verhältnis zu ihren mittelbaren Zulieferern tätig werden, wenn
“substantiierte Kenntnis über eine mögliche Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht bei mittelbaren Zulieferern”
vorliegt (§ 9, Abs. 3). Dann sei gemäß anlassbezogen
“1. eine Risikoanalyse [...] durchzuführen,
2. angemessene Präventionsmaßnahmen [...] gegenüber dem Verursacher zu verankern,
3. ein Konzept zur Minimierung und Vermeidung der Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder umweltbezogenen Pflicht zu erstellen und umzusetzen und
4. gegebenenfalls entsprechend [die] Grundsatzerklärung [...] zu aktualisieren.”
Was sich hinter dem Begriff der substantiierten Kenntnis verbirgt, erläutert das Sorgfaltspflichtengesetz in der Gesetzesbegründung auf Seite 50. Diese sei gegeben,
“wenn dem Unternehmen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die eine menschenrechtliche oder umweltbezogene Verletzung bei einem mittelbaren Zulieferer möglich erscheinen lassen – etwa über das Beschwerdeverfahren gemäß § 8, über eigene Erkenntnisse, über die zuständige Behörde oder aber durch andere Informationsquellen. [...] Tatsächliche Anhaltspunkte können zum Beispiel Berichte über die schlechte Menschenrechtslage in der Produktionsregion, die Zugehörigkeit eines mittelbaren Zulieferers zu einer Branche mit besonderen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken sowie frühere Vorfälle beim mittelbaren Zulieferer sein. [...] Substantiierte ist die Kenntnis, wenn dem Unternehmen überprüfbare und ernst zu nehmende Informationen über eine mögliche menschenrechtliche oder umweltbezogene Verletzung bei mittelbaren Zulieferern vorliegen. Dies können auch Informationen über Risiken in einer bestimmten Region sein, in denen ein Unternehmen oder mehrere Zulieferer tätig sind.”
Das Europäische Lieferkettengesetz
Auch auf europäischer Ebene wird an einer Gesetzesinitiative zur Sorgfaltspflicht gearbeitet.
Am 10. März 2021 hat das Europäische Parlament einen Entschließungsantrag für eine europäische Richtlinie über die Sorgfaltspflichten und Rechenschaftspflicht von Unternehmen angenommen. Die EU-Kommission soll noch in diesem Jahr einen Vorschlag für die entsprechende Richtlinie vorlegen.