EU-Lieferkettengesetz: Überblick über die Kerninhalte
Das geplante EU-Lieferkettengesetz hat am 15. März 2024 bei der Abstimmung der EU-Botschafter die nötige Mehrheit erhalten. Damit ist es höchstwahrscheinlich, dass das Gesetz noch vor den Europawahlen Anfang Juni 2024 vom EU-Parlament verabschiedet wird.
- Einführung und aktueller Stand
- Welche Unternehmen sind direkt betroffen?
- Zeitrahmen der Umsetzung
- Welche Unternehmen sind indirekt betroffen?
- Besondere Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
- Was kommt auf Unternehmen zu?
- Die Sorgfaltspflichten im Einzelnen
- Zu ergreifende Abhilfemaßnahmen
- Sanktionen und zivilrechtliche Haftung
- Klimaübergangspläne
Einführung und aktueller Stand
Am 15. März 2024 hat der Ausschuss der Ständigen Vertreter (COREPER) einem Kompromisstext zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), dem europäischen Lieferkettengesetz, zugestimmt. Dieser Kompromisstext weicht von der im Trilog erzielten vorläufigen politischen Einigung ab, insbesondere wurde der persönliche Anwendungsbereich reduziert. Der neue Kompromisstext muss nun vom Rat der Europäischen Union förmlich verabschieden werden. Danach wird er im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments diskutiert, um voraussichtlich im April 2024 im Plenum des Europäischen Parlaments angenommen zu werden. Die CSDDD wird dabei voraussichtlich zu einer Überarbeitung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) führen.
Welche Unternehmen sind direkt betroffen?
Direkt von der CSDDD betroffen sind Unternehmen mit Sitz in der EU mit mindestens 1.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von mindestens 450 Millionen Euro . Für sie gilt eine Übergangsfrist von fünf Jahren.
Um ein Level Playing Field mit ausländischen Unternehmen zu schaffen, sind auch Unternehmen mit Sitz in Drittstaaten von dem EU-Gesetz erfasst: Unternehmen mit mindestens 450 Millionen Euro Nettoumsatz in der EU fallen ebenfalls unter die EU-Richtlinie.
Zeitrahmen der Umsetzung
Die Umsetzung erfolgt stufenweise:
- Das Gesetz soll nach einer dreijährigen Frist zunächst für Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro weltweitem Nettoumsatz gelten.
- Nach vier Jahren sollen dann Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern und 900 Millionen Euro Umsatz in den Anwendungsbereich fallen. Nach fünf Jahren sind Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern und mehr als 450 Millionen Euro weltweitem Nettoumsatz erfasst.
Welche Unternehmen sind indirekt betroffen?
Das Gesetz wird Unternehmen verpflichten, Sorgfaltspflichten praktisch entlang der gesamten Wertschöpfungskette auszuüben. Unternehmen sollen soweit wie möglich sicherstellen, dass in ihren Wertschöpfungsketten keine Verletzungen von Menschenrechten oder Umweltpflichten stattfinden. Dabei müssen bei den vorgelagerten Tätigkeiten zur Herstellung des Produktes oder Erbringung der Dienstleitung sowohl direkte als auch indirekte Geschäftspartner in den Blick genommen und kontrolliert werden. Bei nachgelagerten Tätigkeiten beschränkt sich die Kontrolle auf direkte Geschäftspartner.
Besondere Unterstützung für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
Ist der Tier1-Lieferant eines direkt betroffenen Unternehmens ein KMU, muss dieses “gezielte und angemessene Unterstützung” durch den Auftraggeber erhalten, um die vertraglichen Bestimmungen zur Sicherung der Sorgfaltspflichten einhalten zu können. Denkbar ist die Kostenübernahme für den Beitritt zu einer geeigneten Industrieinitiative oder für die Überprüfung durch unabhängige Dritte.
Was kommt auf Unternehmen zu?
- Der Richtlinienvorschlag begründet einen risikobasierten Ansatz und eine Bemühenspflicht: Unternehmen können zunächst die Risiken identifizieren, die am schwerwiegendsten sind oder am wahrscheinlichsten eintreten werden. Unternehmen können auch die Reihenfolge, in der sie diese Risiken abmildern, nach Schwere und Wahrscheinlichkeit ordnen. Unternehmen müssen sich angemessen bemühen, negative Auswirkungen zu verhindern/abzustellen.
- Unternehmen müssen Sorgfaltspflichten in ihre Unternehmenspolitik und Risikomanagementsysteme integrieren. Ein Verhaltenskodex muss erstellt werden.
- Sorgfaltspflichten müssen entlang der sogenannten „Aktivitätskette“ und unter Berücksichtigung direkter und indirekter Geschäftspartner ausgeübt werden. Die Aktivitätskette umfasst alle vorgelagerten Aktivitäten zur Herstellung eines Produkts und Teile der nachgelagerten Aktivitäten wie Vertrieb, Lagerung und Transport im Auftrag des Unternehmens.
- Zu beachtende Menschenrechts- und Umweltabkommen: Die Liste der Abkommen und geschützten Rechtspositionen (z. B. Verbot von Kinderarbeit, Verbot von Zwangsarbeit, angemessene Löhne, Verbot der Ungleichbehandlung in der Beschäftigung) ist umfassender als die des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.
- Unternehmen sollen einen Beschwerde-Mechanismus implementieren. So können direkt betroffene Personen sowie Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO) eine Verletzung oder den Verdacht einer Verletzung der Sorgfaltspflichten melden.
Die Sorgfaltspflichten im Einzelnen
In einem ersten Schritt müssen Unternehmen potenzielle negative oder tatsächliche negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt im Rahmen der eigenen Geschäftstätigkeit, bei Tochterunternehmen und in der Aktivitätskette ermitteln. Werden potenzielle negative Auswirkungen ermittelt, müssen Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Abschwächung dieser potenziellen negativen Auswirkungen eingeleitet werden.
Werden tatsächliche negative Auswirkungen im Rahmen der eigenen Geschäftstätigkeit und der der Tochtergesellschaften ermittelt, so müssen diese abgestellt werden. Werden tatsächliche negative Auswirkungen bei Geschäftspartnern festgestellt, so müssen diese abgestellt oder minimiert werden, wenn sofortiges Abstellen nicht möglich ist. Wenn Unternehmen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt oder die Menschenrechte durch Geschäftspartner dauerhaft nicht verhindern oder abstellen können, müssen sie die Geschäftsbeziehungen beenden (ultima ratio). Dies gilt nicht für den Fall, dass die negativen Auswirkungen der Beendigung schwerer wiegen als die Auswirkungen auf die Menschenrechte oder die Umwelt.
Unternehmen müssen ihre Tätigkeiten und Maßnahmen im Rahmen der Sorgfaltspflicht mindestens alle zwölf Monate bewerten und auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen. Unternehmen müssen jährlich über ihre Tätigkeiten berichten.
Zu ergreifende Abhilfemaßnahmen
Der Gesetzentwurf sieht unterschiedliche Abhilfemaßnahmen vor. Darunter fallen zum Beispiel die Entwicklung und Umsetzung eines Präventionsaktionsplans oder Korrekturmaßnahmenplans mit klar festgelegten Zeitplänen und Indikatoren zur Messung der Verbesserung; Vertragsklauseln; Vertragskaskaden; Unterstützung von Geschäftspartnern; Investitionen in Produktionsstätten, Produktionsprozesse, operationelle Prozesse und die Infrastruktur; die Anpassung von Geschäftsplänen und Unternehmensstrategien; die Anpassung des Produktdesigns, der Einkaufspraxis sowie des Vertriebs.
Sanktionen und zivilrechtliche Haftung
Jeder Mitgliedstaat muss eine nationale Aufsichtsbehörde benennen, die überwacht, ob die Unternehmen den Verpflichtungen nachkommen. Finanzielle Sanktionen können bis zu fünf Prozent des globalen Nettoumsatzes eines Unternehmens betragen.
Der Gesetzentwurf sieht eine zivilrechtliche Haftung bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Verletzung der Sorgfaltspflicht vor, wenn ein Schaden eingetreten ist. Unternehmen sollen aber nicht für Schäden haften, die ausschließlich von Geschäftspartnern verursacht wurden.
Klimaübergangspläne
Unternehmen müssen außerdem einen Plan festlegen und umsetzen, mit dem sie sicherstellen, dass das Geschäftsmodell und die Strategie des Unternehmens mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5°C gemäß dem Übereinkommen von Paris vereinbar sind. Wenn der Klimawandel als ein Hauptrisiko oder eine Hauptauswirkung der Unternehmenstätigkeit ermittelt wurde, müssen Unternehmen Emissionsreduktionsziele in ihrem Plan aufnehmen.