Energie, Umwelt und Nachhaltigkeit
"Natur auf Zeit" soll gesetzlich verankert werden
Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) – Das klingt langweilig, ist es aber ganz und gar nicht! Denn hier geht es unter anderem um einen von vielen Betrieben lang ersehnten Schritt Richtung „Natur auf Zeit“. Ein kurzer Faktencheck mit der Einschätzung von RA Gregor Franßen von Kopp-Assenmacher & Nusser, Düsseldorf.
Die Novelle des BNatSchG, die nach der Beteiligung des Bundesrats zurzeit beim Bundestag in der Beratung ist, soll zur Umsetzung des 2019 vom Bundeskabinett verabschiedeten Aktionsprogramms Insektenschutz beitragen. Mit diesem Programm hat sich die Bundesregierung zur Aufgabe gemacht, das Insektensterben umfassend zu bekämpfen und eine Trendumkehr beim Rückgang der Insekten und ihrer Artenvielfalt hervorzurufen. Hierzu dienen etwa die im Gesetzentwurf (BNatSchG-E) vorgesehene Erweiterung der Liste gesetzlich geschützter Biotope um „artenreiches Grünland, Streuobstwiesen, Steinriegel und Trockenmauern“ (§ 30 Abs. 2 Nr. 7 BNatSchG-E), die geplante Beschränkung der Ausbringung von Biozidprodukten (§ 30a BNatSchG-E) und die beabsichtigte Eindämmung der sogenannten „Lichtverschmutzung“ (§ 41a BNatSchG-E).
Doch die Novelle schränkt nicht nur ein, sie eröffnet auch neue Möglichkeiten. Im geplanten neuen § 1 Abs. 7 BNatSchG-E heißt es: „Den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege können auch Maßnahmen dienen, die den Zustand von Biotopen und Arten durch Nutzung, Pflege oder das Ermöglichen ungelenkter Sukzession auf einer Fläche nur für einen begrenzten Zeitraum verbessern.“ Damit ist das Konzept „Natur auf Zeit“ angesprochen. Dieses Konzept bedeutet also, durch Nutzung, Pflege oder ungelenkte Sukzession den Zustand von Biotopen und Arten zu verbessern. Auf diese Weise will die Bundesregierung als übergreifenden Schutzansatz das Konzept eines dynamischen Naturschutzes anerkennen und aufwerten und zwar auch im Bereich des Artenschutzes. In einem neuen § 2 Abs. 7 BNatSchG-E will die Bundesregierung noch einmal an das „Natur auf Zeit“-Konzept anknüpfen. In dieser Vorschrift soll die besondere Bedeutung der Bereitschaft zur freiwilligen Mitwirkung und Zusammenarbeit im Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes betont werden. Soweit sich der Zustand von Biotopen und Arten aufgrund freiwilliger Maßnahmen verbessert, soll dieser Beitrag bei Entscheidungen der Naturschutzbehörden im Zusammenhang mit der Wiederaufnahme einer Nutzung oder einer sonstigen Änderung des Flächenzustands begünstigend berücksichtigt werden, auch um die zukünftige und allgemeine Kooperationsbereitschaft zu fördern.
Mit einer naturschutzrechtlichen Regelung für das „Natur auf Zeit“-Konzept könnte ein relevantes praktisches Problem bundesweit einheitlich gelöst werden. Denn zurzeit geht der Schuss oft nach hinten los, wenn ein Unternehmen eine bestimmte Fläche vorübergehend – häufig im Zusammenhang mit Stilllegungen, Umstrukturierungen oder Erweiterungen – der Natur zur Verfügung stellt: Je nachdem, wie sich das Grundstück in der Zwischenzeit entwickelt hat, ist es gar nicht so leicht, das Grundstück zu einem späteren Zeitpunkt unter teilweiser oder vollständiger Umgestaltung oder Entfernung von Flora und Fauna zu bebauen oder anders zu nutzen. Mitunter wird das langwierig und teuer, unter Umständen müssen Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf Drittflächen ergriffen werden. Das setzt einen Anreiz für die Unternehmen, durch geeignete Maßnahmen der Flächenbewirtschaftung eine intensive natürliche Sukzession und Entwicklung ausgeprägter Biotope zu verhindern oder zumindest zu begrenzen – was dem Natur- und Artenschutz abträglich ist.
Natürlich reicht der rein programmatische § 1 Abs. 7 BNatSchG-E noch nicht aus, um das Konzept „Natur auf Zeit“ praktisch handhabbar zu machen. Daher plant die Bundesregierung, in der Liste der Verordnungsermächtigungen des § 54 BNatSchG zwei neue Verordnungsermächtigungen zu ergänzen. Der geplante § 54 Abs. 10a BNatSchG-E soll eine Verordnungsermächtigung schaffen, um nähere Anforderungen an das Konzept „Natur auf Zeit“ auf Flächen mit einer zugelassenen Gewinnung mineralischer Rohstoffe zu regeln. Die geplante Verordnungsermächtigung im § 54 Abs. 10b BNatSchG-E bezieht sich auf Flächen mit einer zugelassenen gewerblichen, verkehrlichen oder baulichen Nutzung. Der „begrenzten Zeitraum“ im Sinne des § 1 Abs. 7 BNatSchG-E soll in beiden Regelungen auf mindestens ein Jahr bis höchstens zehn Jahre festgelegt werden. Die von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung zu regelnden Anforderungen müssen in allen Fällen entweder sicherstellen, dass nicht gegen Zugriffs- und Besitzverbote nach § 44 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG verstoßen wird, oder sie müssen im Interesse der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt oder zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt eine Ausnahme von den Zugriffs- und Besitzverboten des § 44 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG allgemein zulassen. Die Bundesregierung muss in der jeweiligen Rechtsverordnung regeln, dass und zu welchem Zeitpunkt „Natur auf Zeit“-Maßnahmen anzeigepflichtig sind, welche Unterlagen für die Anzeige vorzulegen sind und dass die Behörde die Durchführung der „Natur auf Zeit“-Maßnahme zeitlich befristen oder anderweitig beschränken kann. Zu den Anzeigeunterlagen können nach Vorstellung der Bundesregierung insbesondere ein Arteninventar und ein fachlicher Durchführungsplan gehören.
Die Bundesregierung will zunächst von der Verordnungsermächtigung des § 54 Abs. 10a BNatSchG-E für Flächen mit zugelassener Rohstoffgewinnung Gebrauch machen. 3 Jahre nach Ablauf einer solchen Rechtsverordnung sollen diese selbst und ihre gesetzlichen Grundlagen evaluiert werden. In dieser Evaluation sollen auch bereits typische Fallkonstellationen auf vorübergehend aus der Nutzung gefallenen Industriebrachen sowie auf planerisch bereits ausgewiesenen Flächen für eine zukünftig beabsichtigte gewerbliche, verkehrlichen oder baulichen Nutzung mit zum Gegenstand der Evaluierung gemacht werden. Auf Grundlage der Evaluation und anhand der bis dahin gewonnenen Praxiserfahrungen will die Bundesregierung anschließend entscheiden, ob auch von der Ermächtigungsgrundlage des § 54 Abs. 10b BNatSchG-E für Flächen mit zugelassener gewerblicher, verkehrlichen oder baulichen Nutzung Gebrauch gemacht werden soll, dies will sie nur dann tun, wenn die Evaluierung zu einer positiven naturschutzfachlichen Bewertung gelangt ist. Die Bundesregierung will sich deswegen vorrangig auf Flächen des Rohstoffabbaus fokussieren, weil diese zum einen aus naturschutzfachlicher Sicht ein besonderes Potential zur Schaffung eines ökologischen Mehrwertes auch durch zeitlich begrenzte Maßnahmen aufweisen und zum anderen aufgrund der relativen Gleichförmigkeit und Großflächigkeit der Nutzung und Homogenität der Flächen für eine Standardisierung der Vorgaben für „Natur auf Zeit“-Maßnahmen am ehesten geeignet erscheinen.
Die Novelle des BNatSchG könnte für viele Betriebe mit Blick auf den Aspekt der „Natur auf Zeit“ interessant sein. Was aber ändert sich künftig ganz praktisch, wenn die vorgestellten Regelungen gesetzt werden sollten? Im Ergebnis wohl nicht viel, jedenfalls weniger als mit ambitionierten Änderungen möglich gewesen wäre.
Bereits die programmatische Verankerung der „Natur auf Zeit“ in § 1 Abs. 7 BNatSchG-E ist denkbar vorsichtig formuliert. Die Bundesregierung hat formuliert, dass solche Maßnahmen den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege dienen „können“. Angesichts der Tatsache, dass „Natur auf Zeit“-Maßnahmen voraussetzen, dass der Zustand von Biotopen und Arten verbessert wird, ist dieser Vorbehalt, der in dem Wort „können“ zum Ausdruck kommt, nicht nachvollziehbar. Denn eine Verbesserung des Zustands von Biotopen und Arten dient ganz gewiss den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
Auch die Rechtswirkungen, mit denen die Bundesregierung künftig das „Natur auf Zeit“-Konzept im BNatSchG ausstatten will, sind vergleichsweise begrenzt. So wird der konkrete Rechtsrahmen für „Natur auf Zeit“-Maßnahmen zunächst auf Rechtsverordnungen gemäß § 54 Abs. 10a und Abs. 10b BNatSchG-E ausgegliedert und damit auf die Zukunft vertagt. Aber auch inhaltlich werden sich die Rechtsverordnungen ausschließlich mit Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Regelungen beschäftigen, nämlich den Zugriffs- und Besitzverboten des § 44 Abs. 1 und Abs. 2 BNatSchG. Das ist zwar durchaus positiv zu werten, weil insbesondere diese Verbote bei der Projektdurchführung erhebliche Probleme bereiten können – die in der Öffentlichkeit breit diskutierten Negativ-Beispiele dürften jedem anschaulich in Erinnerung sein. In der Praxis bietet eine Vorab-Ausnahme die größtmögliche Rechtssicherheit. Eine derartige Ausnahme von den Verboten des § 44 BNatSchG kann nach § 45 Abs. 7 BNatSchG insbesondere zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt oder im Interesse der maßgeblich günstigen Auswirkungen auf die Umwelt zugelassen werden, sofern keine zumutbaren Alternativen gegeben sind und sich der Erhaltungszustand der Population einer Art nicht verschlechtert. Diese Ausnahmevoraussetzungen könnten künftig durch Rechtsverordnungen nach § 54 Abs. 10a und Abs. 10b BNatSchG-E für „Natur auf Zeit“-Maßnahmen konkretisiert werden. Wie groß der praktische Nutzen dieser Regelungen allerdings sein wird, lässt sich erst beurteilen, wenn die Bundesregierung die Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 10a BNatSchG-E für Flächen der Bodenschatzgewinnung erlassen hat. Je umfangreicher und strenger die Anforderungen an die Anzeigeunterlagen und je größer also der Aufwand im Anzeigeverfahren sein wird, desto geringer wird der praktische Vorteil dieser Regelungen sein.
Jenseits dieser artenschutzrechtlichen Erleichterungen hat die BNatSchG-Novelle wenig bis nichts zu bieten. Insbesondere fehlt es an einer Privilegierung bei der Beseitigung von temporärer Natur auf Gewinnungs-, Gewerbe-, Verkehrs- und Bauflächen hinsichtlich der Eingriffsregelung des § 14 BNatSchG. Hier wäre mehr möglich gewesen. Das zeigt beispielsweise die in NRW geltende landesrechtliche Regelung des § 30 Abs. 2 Nr. 3 LNatSchG NRW (ebenso § 6 Abs. 1 Satz 1 NatSchG LSA für Sachsen-Anhalt). Nach dieser Regelung gelten „die Beseitigung von durch Sukzession oder Pflege entstandenen Biotopen oder Veränderungen des Landschaftsbilds auf Flächen, die in der Vergangenheit rechtmäßig baulich oder für verkehrliche Zwecke genutzt waren, bei Aufnahme einer neuen der Wiederaufnahme der ehemaligen Nutzung (Natur auf Zeit)“ in der Regel nicht als Eingriffe i.S.d. § 14 Abs. 1 BNatSchG. Wird – dem Regelfall entsprechend – ein Eingriff im Einzelfall verneint, besteht demnach keine Pflicht zur Durchführung von Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen oder zur Zahlung von Ersatzgeld (vgl. dazu § 15 BNatSchG). Wer also bei der Änderung oder Beseitigung von „Natur auf Zeit“ den Vorteil hat, mit artenschutzrechtlichen Zugriffs- und Besitzverboten nicht in Konflikt zu geraten, wird durch die BNatSchG-Novelle keine weitergehende Erleichterung zu erwarten haben. Hier sind nach wie vor nur die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft privilegiert (vgl. § 14 Abs. 2 und Abs. 3 BNatSchG). Im Übrigen können für Projekte andere Art nur landesrechtliche Vorschriften wie § 30 Abs. 2 Nr. 3 LNatSchG NRW helfen. Ansonsten bleibt es beim Aufwand, den der Vorhabenträger für Ausgleichs-bzw. Ersatzvornahmen zu betreiben hat.
Dieses Defizit vermag auch der geplante § 2 Abs. 7 BNatSchG-E nicht auszugleichen. Was genau unter der „begünstigenden Berücksichtigung“ freiwilliger, insbesondere auch „Natur auf Zeit“-Maßnahmen zu verstehen ist, lässt sich weder dem Gesetz noch seiner Begründung konkret entnehmen. Die Bundesregierung versteht darunter eine „entscheidungslenkende Vorgabe insbesondere für Ausnahmeverfahren in Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Abwägungsentscheidungen, etwa bei der Ermessensausübung und der Beurteilung der Zumutbarkeit von Alternativen oder zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses“. Damit bleibt zum einen unklar, welche naturschutzrechtlichen Entscheidungen im Einzelnen überhaupt gemeint sind. Zum anderen ist die von der Bundesregierung beabsichtigte entscheidungslenkende Wirkung aber nicht zwingend. Vielmehr steht die Entscheidung weiterhin im fachlichen Beurteilungs- und Wertungsspielraum bzw. im Ermessen der Behörde und kann damit auch zu Lasten des betreffenden Unternehmens ausgehen. Es bleibt daher weitgehend der jeweiligen Behörde im Einzelfall überlassen, inwieweit sie die von ihr zu treffende naturschutzrechtliche Entscheidung tatsächlich durch vorangegangene „Natur auf Zeit“-Anstrengungen des Vorhabenträgers beeinflussen lassen möchte. Dass die Bundesregierung selber insoweit skeptisch ist, zeigt der Umstand, dass sie zunächst nur eine Rechtsverordnung nach § 54 Abs. 10a BNatSchG-E für Flächen der Botschaftsgewinnung erlassen und im Übrigen zunächst die Evaluierung abwarten möchte. Der Vorhabenträger muss also von vornherein der zuständigen Behörde großes Vertrauen entgegenbringen, dass sie seine „Natur auf Zeit“-Anstrengungen bei einer späteren Umnutzung der betroffenen Fläche angemessen würdigt. Man darf skeptisch sein, dass sich Vorhabenträger dadurch „ermutigen“ lassen, wie es sich die Bundesregierung wünscht.
Es kann folgendes Fazit gezogen werden: Positiv ist, dass mit der geplanten Gesetzesänderung das Konzept der „Natur auf Zeit“ eine größere gesetzliche Anerkennung finden wird, als es aktuell der Fall ist. Praktisch vorteilhaft werden die durch die Ermächtigungsgrundlagen des § 54 Abs. 10a und Abs. 10b BNatSchG-E ermöglichten Rechtsverordnungen sein, durch die Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verboten zugelassen werden können. Der Erlass dieser Rechtsverordnungen bleibt abzuwarten, um beurteilen zu können, wie groß der praktische Nutzen insoweit tatsächlich sein wird. Negativ ist es zu bewerten, dass der Gesetzesentwurf insbesondere im Hinblick auf die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung der §§ 14 und 15 BNatSchG hinter landesrechtlichen Regelungen zurückbleibt, wie sie beispielsweise in Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt gibt. Bei der Wiederaufnahme einer Nutzung auf einer Fläche, auf der sich „Natur auf Zeit“ entwickelt hat, werden also weiterhin grundsätzlich Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen vorzunehmen sein (wenn hier nicht landesrechtliche Regelungen helfen), und das dürfte in der Tendenz eine abschreckende Wirkung für Unternehmen und Grundstückseigentümer haben. Die im neuen § 2 Abs. 7 BNatSchG-E vorgesehene „begünstigenden Berücksichtigung“, die in ihren konkreten Konturen völlig unscharf bleibt, dürfte zu wenig sein, um das Defizit auszugleichen. Für die Zukunft wäre es (weiterhin) wünschenswert, dass auch auf Bundesebene eine Privilegierung von „Natur auf Zeit“-Maßnahmen hinsichtlich der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung geschaffen wird, denn nur so lässt sich von vornherein für Unternehmen, Vorhabenträger und Grundstückseigentümer die Rechts- und Planungssicherheit erhöhen, die in der Regel wohl notwendig ist, damit „Natur auf Zeit“-Maßnahmen durchgeführt werden.
Autor: Dr. Jens Ferber, SIHK Hagen