Interview

„Wir packen vieles gleichzeitig an”

Kaweh Mansoori ist Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum. Im Interview erklärt er, warum ihn die Verödung von Innenstädten umtreibt, wie die Mobilität im Rhein-Main-Gebiet verbessert werden soll – und welche Vorschläge er zum Baurecht vorlegen will.
Text: Birgit Arens und Frank Achenbach
IHK: Herr Minister, der Fachkräftemangel treibt viele Unternehmen um. Schwierig ist die Lage auch, weil bezahlbarer Wohnraum fehlt. Was wollen Sie tun, damit mehr bezahlbare Wohnungen gebaut werden?
Kaweeh Mansoori: In der Tat ist das Thema bezahlbares Wohnen ein zentraler Standortfaktor. Wir haben viele Leute, die wichtigen, systemrelevanten Berufen nachgehen, gute Arbeit machen und sich am Ende des Monats die Mieten in dieser Form nicht leisten können. Aber es geht um Miete und um Wohneigentum. Wir haben als neue Landesregierung mit dem Hessengeld zum Beispiel eine Maßnahme auf den Weg gebracht, um die Eigentumsbildung zu erleichtern. Insgesamt müssen wir dafür sorgen, dass preisgünstiger gebaut werden kann. Für mich hat Priorität, die Bauwirtschaft anzukurbeln und dafür zu sorgen, dass bezahlbare Wohnungen entstehen. Steigende Materialkosten, Zinsentwicklung und Baulandknappheit sind nur einige Hürden. Um die baurechtlichen Bedingungen insbesondere für den Wohnungsbau zu verbessern und die Bautätigkeit „anzukurbeln“, haben wir mehrere wichtige Initiativen gestartet. So wollen wir beispielsweise mit der Kommission Innovation im Bau das Baurecht modernisieren und entschlacken.
IHK: In etlichen Innenstädten und Ortskernen gibt es die Sorge der Verödung. Die IHKs versuchen, zur Belebung der Zentren beizutragen, etwa durch die Initiative Heimat shoppen, für die Sie in Hessen Schirmherr sind. Wo sehen Sie Möglichkeiten, hier etwas zum Positiven zu wenden?
Kaweeh Mansoori: Die Situation in den Innenstädten treibt mich massiv um. Wir haben in dem gemeinsamen Bündnis, an dem die IHKs beteiligt sind, klar formuliert: Es geht nicht nur um die Innenstadt als Wirtschaftsfaktor oder Handelsplatz, sondern um Begegnungsräume, wo sich unterschiedlichste Menschen treffen. Ich halte das für essenziell für unsere freiheitliche Demokratie. Es gibt vielfältige Initiativen, teilweise zusammen mit den IHKs, wie das Programm „Zukunft Innenstadt“ oder der Wettbewerb „Ab in die Mitte“, die niedrigschwellig Innovation fördern und kreative Ideen anregen. Schon mit kleinen Maßnahmen ist es möglich, öffentliche Räume enorm aufzuwerten. In dem Bündnis sprechen wir auch darüber, wie die Förderprogramme des Landes angepasst werden müssen und wo man in Zukunft Schwerpunkte setzt. Wir sammeln in ergebnisoffenen Prozessen kluge Ideen, wie es weitergeht. Ich glaube, allen Akteuren ist bewusst, dass es für eine Gesellschaft nicht gut ist, wenn unterschiedliche Menschen sich nicht mehr begegnen, sondern unter sich bleiben.
Es geht nicht nur um die Stadt als Handelsplatz, sondern um Begegnungsräume.

Kaweeh Mansoori

IHK: Wird es eine weitere Förderungsrunde für das Programm „Zukunft Innenstadt“ vonseiten des Landes geben?
Kaweeh Mansoori: Wichtig ist, dass wir nicht nur Pläne machen, sondern am Ende auch etwas umsetzen. Es geht darum, klar zu identifizieren, was wir konkret machen wollen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, dass wir Modellregionen zum Ausprobieren etablieren. Die Veränderung in den Innenstädten hat teilweise mit verändertem Kaufverhalten und Online-Shopping zu tun. Auf Handelsseite geht es darum, Mehrwerte zu schaffen. Ich bin im Austausch mit dem Handelsverband, der sich Konzepte überlegt, um etwa ein bestimmtes Segment in einem Raum zu stärken, um einen echten Qualitätsvorsprung gegenüber dem Online-Shopping zu schaffen. Wenn es sich lohnt, weil ich da etwas bekomme, das es online gar nicht gibt, dann spielt auch der Preis nicht die zentrale Rolle.
IHK: Im Rhein-Main-Gebiet ist es weder für Personen noch für Waren immer einfach, zügig und verlässlich von A nach B zu kommen. Wie wollen Sie die hessische Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig aufstellen?
Kaweeh Mansoori: Ich bin selbst in einer Flächenkommune groß geworden. In meinem Ortsteil ist der Bus sonntags viermal in die Kreisstadt Gießen gefahren. Jetzt lebe ich mitten in der Stadt Frankfurt. Da werde ich alle vier Minuten von der U 4 abgeholt. Die Lebenswirklichkeiten sind sehr unterschiedlich in Hessen. Aber alle Menschen haben einen Anspruch darauf, mobil zu sein. Und für die unterschiedlichen Bedarfe etwas anzubieten, das braucht eben auch eine Vielfalt in der Verkehrspolitik. Beim Auto wird es eher darum gehen, nachhaltigen Antriebstechnologien eine stärkere Chance zu geben, indem wir zum Beispiel die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität stärker ausbauen. Je dichter besiedelt das Gebiet ist, desto stärker ist die Bedeutung des ÖPNVs, auch die der Schiene. Da spielen Preis und Verlässlichkeit eine große Rolle. Ich bin glühender Verfechter des Deutschlandtickets. Da werden zum ersten Mal Bus und Bahn aus der Perspektive der Fahrgäste gedacht, die nicht mehr überlegen müssen, gilt mein Ticket oder gilt es nicht? Wichtig ist vor allem, dass wir in der Infrastruktur Verlässlichkeit bieten. Moderne Individualmobilität da, wo wir nicht in der Taktzahl mit Bussen und Bahnen fahren können, Zwischenangebote wie Bürgerbusse und Ruf-Taxis und einen guten, attraktiven, eng getakteten ÖPNV im dicht besiedelten Gebiet, so wird, glaube ich, das Verkehrsthema gelöst.
Keine Metropole der Welt kann gut organisiert werden, was die Verkehrsströme betrifft, ohne dass sie einen Ringverkehr um die Kernstadt hat.

Kaweeh Mansoori

IHK: Wird das Geld auch für neue Projekte reichen? Die Regionaltangente West (RTW) ist zwar schon teilweise finanziert, aber es gibt ja noch andere Projekte.
Kaweeh Mansoori: In der Finanzierung der Straßeninfrastruktur gilt weiterhin der Grundsatz Sanierung vor Neubau. Aber wir werden nicht gänzlich am Neubau von Infrastruktur vorbei- kommen. Aus meiner Sicht ist die RTW ausfinanziert. Wir treiben jetzt das Planungsrecht für die Regionaltangente Ost (RTO) voran. Keine Metropole der Welt kann gut organisiert werden, was die Verkehrsströme betrifft, ohne dass sie einen Ringverkehr um die Kernstadt hat. Das Zentrum zu umfahren, ist notwendig, um die Pendlerströme von der Straße auf die Schiene zu bekommen. Deswegen sind das wichtige Investitionen, und viele Zukunftsprojekte werden auch dazu beitragen, an anderen Stellen wieder neue Kapazitäten zu schaffen. Die Kernidee etwa hinter dem Fernbahntunnel in Frankfurt ist ja, dass wir ein stückweit den Fernverkehr und den Nahverkehr voneinander trennen können und auf beiden Infrastrukturen für mehr Verlässlichkeit sorgen, weil unterschiedliche Geschwindigkeiten dann nicht auf der gleichen Struktur aufeinandertreffen. Das kann dann zum Beispiel Raum für eine Südtangente schaffen.
Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage hat die Bauwirtschaft eine große Chance, insgesamt die Konjunktur zu verbessern.

Kaweeh Mansoori

IHK: Sie haben sich selbst als Radikal-Pragmatiker bezeichnet. Was ist so wichtig, dass Sie damit gleich beginnen möchten?
Kaweeh Mansoori: Wir packen vieles gleichzeitig an, weil es gleiche Prioritäten hat. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage hat die Bauwirtschaft eine große Chance, insgesamt die Konjunktur zu verbessern. Deswegen haben wir ganz schnell die Kommission Innovation im Bau eingesetzt. Ich glaube an den Effekt von einfacherem Baurecht und wir werden dafür zeitnah erste Vorschläge auf den Tisch legen. Ich habe auch früh die gleichzeitige Entbürokratisierung des Tariftreue- und Vergaberechts in Hessen und die Verbindung mit guter Arbeit und fairen Löhnen verknüpft. Da werde ich den Gesetzentwurf noch in diesem Jahr präsentieren. Das Ziel ist, dass die Eintrittshürden für Unternehmen leichter werden, dass die Bürokratie abgebaut wird, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes kleiner wird und wir dort, wo das Gesetz Anwendung findet, insgesamt für fairen Wettbewerb sorgen. Es kann nicht sein, dass Bauunternehmen in Hessen Steuern zahlen und diese Bauaufträge finanzieren, sich aber anschließend nicht darauf bewerben können, weil sie immer unterboten werden von anderen, die sich nicht an die Löhne halten, die hier bei uns bezahlt werden. Das zusammenzubringen ist Ziel des Gesetzes und das sind zwei gewichtige Beispiele, wo wir in diesem Jahr noch Antworten geben.
Zur Person: Seit dem 18. Januar 2024 ist der Jurist Kaweh Mansoori hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum sowie stellvertretender Ministerpräsident. Der 36-jährige gebürtige Gießener ist seit 2019 Vorsitzender des SPD-Bezirks Hessen-Süd.
Das Gespräch führten Birgit Arens, Magazinverantwortliche der IHK Offenbach, und Frank Achenbach, Mitglied der Geschäftsführung der IHK Offenbach und Federführer Standortpolitik des HIHK.
Dieser Artikel ist erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 5/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie seit Oktober 2023 auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit