Beziehungsmanagement

Guter Nachbar, gute Firma

Wie von jedem guten Bürger wird auch vom „Corporate Citizen“ erwartet, sich für eine lebenswerte Gemeinschaft einzusetzen. Für viele Firmen ist unternehmerische Verantwortung gelebte Praxis. Je strategischer gesellschaftliches Engagement ausgerichtet ist, desto positiver wirkt sich das aufs Image und die wirtschaftliche Performance aus. Mehr noch: Wer langfristig in gute Beziehungen zum Umfeld investiert, vergrößert Handlungsspielräume, wie das Beispiel von Merck zeigt.
Autorin: Veronika Heibing, 7. März 2020
Wenn in Darmstadt an einem Mittwochmorgen um 10 Uhr die Sirene losgeht, handelt es sich wahrscheinlich um einen Probealarm. Den gibt es genau zu dieser Zeit viermal im Jahr – meist am ersten Mittwoch im Quartal. Oft heult an diesen Tagen auch die Sirene auf dem Werksgelände von Merck mit. Um die eigenen Mitarbeiter und die Anwohner auf den Ernstfall vorzubereiten und um ihnen ein Gefühl der Sicherheit zu geben. Was es im Fall der Fälle zu tun gilt, erklärt das Unternehmen unter anderem in einer Störfallbroschüre, die alle drei Jahre in der Nachbarschaft verteilt wird. Für einen Chemie- und Pharmakonzern wie Merck schreibt das die Störfallverordnung vor. In dem Bericht ist aufgelistet, mit welchen Stoffen auf dem Werksgelände gearbeitet wird. Und hier stehen Empfehlungen, wie man sich als Anwohner verhalten sollte, wenn bestimmte Stoffe versehentlich in die Umwelt gelangen. Wer Fragen hat, kann außerdem jederzeit die Nummer des „Umfeldtelefons“ wählen.
Ohne Akzeptanz der Öffentlichkeit könnte ein Industrieunternehmen wie Merck sich nicht mitten in der Stadt entwickeln. Gute Beziehungen zum Umfeld zu pflegen, ist entscheidend für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg. Vertrauensbildende Maßnahmen wie die Sirenenprobe, die Störfallbroschüre oder das Umfeldtelefon gehören daher zur Strategie von Merck, sich als verlässlicher Teil der Gemeinschaft zu positionieren. „Wir sind uns bewusst, dass sich unsere Geschäftstätigkeit auf unsere Umwelt und die Menschen um uns herum auswirkt. Darum gehört verantwortungsvolles Handeln zu unserer Unternehmenskultur“, sagt Dirk Sulzmann. Als Head of Community Relations kümmert er sich um die Beziehungen zur Nachbarschaft.
„Ein guter Nachbar beantwortet alle Fragen. Wenn Menschen bei uns anrufen, sind wir häufig gar nicht die Verantwortlichen für deren Anliegen. Trotzdem nehmen wir uns der Sache an und sind für die Leute da“, sagt der Kommunikationsexperte. So meldete sich einmal ein Anwohner, weil es furchtbar stinken würde und das ja nur von Merck kommen könne. Kann eigentlich nicht sein, dachte sich Dirk Sulzmann. Trotzdem schickte er die Werksfeuerwehr hin, um nachzuschauen. Es waren die Fahrbahnmarkierungen, die gerade bei Straßenbauarbeiten aufgebracht wurden. Mit Merck hatte das nichts zu tun. Dass sein Problem ernst genommen wurde, wird dem Anwohner jedoch positiv in Erinnerung bleiben.

Unterschiedliche Dialogformate anbieten

Verantwortungsvoll handeln – dazu gehört für Merck: genau hinschauen, zuhören, besser machen. Ein strategisches Beziehungsmanagement identifiziert systematisch alle relevanten Umfeldfaktoren und deren Auswirkungen auf das Geschäft. Dazu wertet das Team Umfeldbeziehungen von Merck die lokale Medienberichterstattung aus, beobachtet politische und soziale Trends und versucht frühzeitig Herausforderungen und Risiken zu erkennen. „Besonders wichtig ist uns der Dialog mit den verschiedenen Anspruchsgruppen aus dem lokalen und regionalen Umfeld“, erklärt Dirk Sulzmann. Zu diesen zählen Mitarbeiter, Geschäftspartner, Investoren, Behörden, Verbände, NGOs, die lokale Politik, die Anwohner, aber auch die Familie Merck. Um sie möglichst gezielt zu erreichen, setzt das Unternehmen auf viele unterschiedliche Dialogformate. Mit der Politik tauscht sich Merck etwa auf Fraktionsabenden aus. Vergangenes Jahr konnten sich zudem alle Parlamentarier beim ersten Stadtverordneten-Abend ein Bild vom Forschungs- und Entwicklungsstandort in Darmstadt machen. Einmal im Jahr werden außerdem Vertreter des Regierungspräsidiums, der Stadt sowie von Interessengruppen und Vereinen der einzelnen Stadtteile zur „Rahmenplanung“ eingeladen. Merck gibt hier einen Einblick in aktuelle Themen. Interessant ist das laut Dirk Sulzmann auch Genehmigungsanträge für Erweiterungsflächen, neue Gebäude oder einen Umbau auf dem Schreibtisch liegen. Was dann aus den Projekten wird, bekommen sie aber oft gar nicht mehr mit. Bei der Rahmenplanung wird ihnen das gezeigt.
Ein weiteres Dialogforum bildet das Bürgergespräch: „Auch hier informieren wir über unsere Geschäftsentwicklung und beantworten Fragen. Viele unserer Nachbarn sind Kollegen, die mittlerweile in Rente sind. Sie interessieren sich dafür, wie es ihrem ehemaligen Arbeitgeber geht“, sagt Dirk Sulzmann. „Hier geben wir auch frühzeitig Auskunft zu anstehenden Projekten wie der neuen Membranfabrik, die wir bauen wollen.“ Manchmal gibt es statt des Bürgergesprächs einen Tag der offenen Tür. Aber auch so kann man als Anwohner nach Anmeldung eine Werksführung erhalten. Nach Bedarf werden Bürgersprechstunden angeboten. Bei Projekten mit Konfliktpotenzial wie Neu- oder Umbauvorhaben richtet Merck zusätzlich kurzfristige Dialogformate ein. Ein solches Projekt war der Umbau der Frankfurter Straße, der die zwei Teile des Werksgeländes auf beiden Seiten der Straße verbinden sollte und eine veränderte Verkehrsführung mit sich brachte. Vor allem Bürger des Stadtteils Arheilgen kritisierten die Pläne heftig, weil sie von den Baumaßnahmen unmittelbar betroffen waren. „Wir haben uns mit Ständen und Merck-Fähnchen auf die Straße gestellt. Wir haben den Austausch gesucht und waren sehr offen für Ideen“, sagt Dirk Sulzmann. Bei solchen Formaten kämen oft tolle Vorschläge, selbst wenn die Stimmung anfangs nicht immer positiv sei. So auch im Fall der Frankfurter Straße: „Die Idee, neue Radwege für die Anwohner bei der Planung zu berücksichtigen, haben wir aufgenommen. Indem wir unsere Nachbarn eingebunden haben, konnten wir die Akzeptanz für das Projekt deutlich steigern.“
Bei allen Dialogformaten gehe es darum, einen Einblick in die Tätigkeit und die Innovationskraft zu geben und zu zeigen: Hey, schaut her, wir wollen nichts Böses. „Wir investieren weiter in den Standort, weil in Darmstadt viel Zukunft steckt. Wir haben hier seit 350 Jahren unseren Stammsitz und verstehen uns als Darmstädter“, sagt Dirk Sulzmann, der selbst mit seiner Familie in der Wissenschaftsstadt lebt. Wichtig sei, dass man sich nicht nur in der Not ums Umfeld kümmert, sondern sich stets als aktives Mitglied der Gemeinschaft einbringt. Nur so könne man dauerhafte Verbindungen eingehen.

Gesellschaftliches Engagement rechnet sich

Deshalb setzt Merck nicht nur auf Formate für den Austausch. „Gemeinnützige Aktivitäten haben einen langanhaltenden, positiven Effekt – besonders, wenn unsere Mitarbeiter involviert sind“, weiß Dirk Sulzmann. Zu diesen Aktivitäten gehört etwa die Merck-Rest-Cent-Aktion, an der sich ein großer Teil der Mitarbeiter beteiligt. Sie verzichten auf Centbeträge ihrer monatlichen Entgeltabrechnung, das Unternehmen verdoppelt alljährlich diesen Betrag. Zweimal im Jahr wird die gesammelte Summe an gemeinnützige Organisationen und Initiativen aus Südhessen ausgeschüttet. In 30 Jahren sind dadurch mehr als 1,3 Millionen Euro für 337 Organisationen zusammengekommen. „Mit unserem Engagement tragen wir dazu bei, die Solidargemeinschaft zu erhalten“, sagt Dirk Sulzmann.
Für seine zahlreichen regionalen Sponsoring-Aktivitäten ist Merck bekannt. Das Unternehmen ist Premiumpartner des SV Darmstadt 98. Zu den Lilien gesellen sich rund 250 Sportveranstaltungen, Vereine und Teams aus und um Darmstadt, die gefördert werden, darunter das Sport- und Spielfest im Herrengarten. Leuchtturmprojekt im Bildungsbereich ist unter anderem die Kooperation mit „Jugend forscht“: Merck ist jedes Jahr Gastgeber des Landeswettbewerbs Hessen. Auch das kulturelle Engagement ist breit aufgestellt. Der Konzern ist unter anderem Hauptsponsor des Schlossgrabenfests und der Merck-Sommerperlen in der Centralstation.
Förderung von Kultur, Bildung, Sport oder im sozialen Bereich – allein für Sponsoring-Aktivitäten im Umfeld wird jährlich ein einstelliger Millionenbetrag ausgegeben. Bringt das am Ende auch was fürs Unternehmen? „Ja“, sagt Dirk Sulzmann. Alle drei Jahre lässt er eine Umfeldstudie über einen externen Dienstleister durchführen. Die repräsentative Telefonbefragung schaut, wie die geschäftliche und die gesellschaftliche Tätigkeit von Merck in der Region wahrgenommen werden. „Die Umfrage zeigt, dass kleinere Fördermaßnahmen schnell wieder vergessen werden, wohingegen größere das ganze Jahr über präsent sind“, so Dirk Sulzmann. Besonders spannend findet er, dass etwa der Umbau der Frankfurter Straße als eins von zwei Positivbeispielen für das gesellschaftliche Engagement des Unternehmens genannt wurde. „Das zeigt, dass es uns durch unseren dialogischen Ansatz gelingt, Projekte, die zu Beginn eher kritisch gesehen werden, ins Positive zu kehren.“ In Summe, freut sich Dirk Sulzmann, wird Merck als offener und ehrlicher Arbeitgeber und als guter Nachbar wahrgenommen.
Ein positives Image durch soziales Engagement rechnet sich. Das zeigen auch Studien, beispielsweise eine aktuelle Untersuchung der Boston Consulting Group: Mehr als 300 Unternehmen wurden nach deren sozialem und umweltpolitischem Engagement befragt sowie 200 repräsentative Personen aus 20 Unternehmen. Die Ergebnisse lassen auf eine klare Verbindung zwischen sozialem Engagement und Performance schließen. Je mehr sich ein Unternehmen in die Gemeinschaft einbringt, desto besser schneidet auch seine Wirtschaftsleistung ab, so die Studie. Das liege auch daran, dass Unternehmen das Risiko negativer Ereignisse wie Rufmordkampagnen verringern. Zudem belohnen Kunden das soziale Engagement mit Vertrauen und Loyalität, heißt es weiter.
Um dahin zu gelangen, als vertrauensvoller und verantwortungsbewusster Partner wahrgenommen zu werden, ist es schon die halbe Miete, ein gern gesehener Ansprechpartner im Umfeld zu sein, ist Dirk Sulzmann überzeugt. „Du willst Verständnis für dein Unternehmen schaffen? Damit die Leute das annehmen können, musst du ihnen das Gefühl vermitteln, selbst immer mittendrin zu sein.“ Stadtteilfestival, Dialogforen – bei gesellschaftlichen Aktivitäten in der Nachbarschaft ist Dirk Sulzmann immer dabei. Denn Vertrauen, das weiß man bei Merck, wird zu Menschen aufgebaut, nicht zu gesichtslosen Konzernen.

5 Tipps von Dirk Sulzmann für gute Umfeldbeziehungen

1. Wer sind meine Nachbarn?

Analysieren Sie Ihre Zielgruppen und finden Sie heraus, wo deren Interessen liegen. Vergessen Sie dabei die lokale Politik und Presse, aber auch Ihre Mitarbeiter nicht.

2. Konfliktpotenziale erkennen

Insbesondere das produzierende Gewerbe mit Nähe zu Wohngebieten hat hohes Konfliktpotenzial. Doch auch für andere Unternehmen lohnt sich strategisches Umfeldmanagement, denn spätestens bei Umbau- oder Erweiterungsmaßnahmen kann es zu Konflikten kommen. Schauen Sie genau hin, welche Auswirkungen Ihre Geschäftstätigkeit auf andere hat oder haben könnte.

3. In den Dialog treten

Bauen Sie über verschiedene Formate Kontakte zu Ihren Zielgruppen auf und schaffen Sie Verständnis für das, was Sie machen. Nehmen Sie auch selbst an gesellschaftlichen Aktivitäten wie Stadtteilfesten oder -foren teil. Eine Person sollte das Gesicht des Unternehmens im Nachbarschaftsdialog sein.

4. Handlungsspielräume prüfen

Von Beschwerden über Verbesserungsvorschläge bis hin zu Kooperationsanfragen erhalten Sie im Gespräch mit Anwohnern und Interessengruppen Hinweise, wie Ihr Unternehmen wahrgenommen wird und wo Handlungsbedarf besteht.

5. Professionell kommunizieren

Wenn Sie mit Ihren Botschaften überzeugen wollen, brauchen Sie überzeugendes Infomaterial. Insbesondere gute Bilder kosten, sind aber kein rausgeschmissenes Geld. Engagieren Sie für die Beziehungen zur Presse einen Medienprofi. Gerade bei Bauvorhaben ist eine gute Berichterstattung wichtig.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit