Bürokratieabbau

»Für jedes neue Gesetz sollen zwei entschlackt werden»

Manfred Pentz ist hessischer Minister für Entbürokratisierung – der erste auf Landesebene in Deutschland. Im Interview erklärt er, wie Unternehmen bei Steuer und Bürokratie entlastet werden sollen – und wo er den Finger in die Wunde legen will.
Text: Patrick Körber
Porträt von Manfred Pentz
Manfred Pentz, Hessischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Entbürokratisierung © Salome Roessler / lensandlight
IHK: Herr Minister, in der neuen Landesregierung sind Sie unter anderem Minister für Entbürokratisierung. An welcher Bürokratie stört sich denn der Privatmann Manfred Pentz?
Manfred Pentz: Da gibt es einiges. Zum Beispiel, wenn man bei bestimmten Vorgängen, seien es Heiratsanmeldungen oder die Beantragung eines Erbscheins, von Behörde zu Behörde gehen muss. Da reicht nicht allein der Personalausweis oder Reisepass. Auch die Geburtsurkunde ist nicht genug. Man muss auch noch einen Auszug aus dem Geburtenregister vorlegen, den aber nur das Standesamt des Geburtsortes ausstellen kann. Und wenn das gar in einem anderen Bundesland liegt und man persönlich vorbeikommen muss, ist das keinem mehr vermittelbar. Zumal die Öffnungszeiten von Behörden ja meist in der Arbeitszeit von Bürgern liegen.
IHK: Im Koalitionsvertrag steht, dass die Landesregierung ein ambitioniertes Paket für Bürokratieabbau und Planungsbeschleunigung« auflegen will. Jetzt sind viele Regelungen Bundesrecht und nicht in der Hoheit des Landes. Was wollen Sie konkret hierzu im Landesrecht ändern und wie nehmen Sie Einfluss auf den Bund?
Manfred Pentz: Wir haben in meinem Ministerium ein kleines, aber schlagkräftiges Team, um die Entbürokratisierung anzugehen. In einem ersten Schritt geht es darum, Themen zu sammeln und zu kategorisieren. Dazu wollen wir mit den verschiedenen Ebenen wie etwa den Kommunen, aber auch Interessenvertretungen, wie den IHKs und Handwerkskammern, zusammenarbeiten, um schnell zu einer Einschätzung zu kommen, wie man die Entbürokratisierung konkret gestalten kann und was das Land dabei tun kann. Dazu soll es eine Task Force mit den Kommunen geben. Ein kleines Beispiel: Für jedes neue Gesetz sollen künftig zwei bestehende entschlackt werden oder ganz entfallen. Spielraum sehe ich etwa bei einzelnen Regelungen von Genehmigungsverfahren, bei Landesförderprojekten und im Vergaberecht.
IHK: Und auf Bundesebene?
Manfred Pentz: Ich bin in meiner Funktion auch Bundesratsminister. Alle Gesetzesinitiativen, die mehr bürokratische Belastung bringen, werden wir im Bundesrat kritisch diskutieren. Hier haben wir zum Beispiel bei Zustimmungsgesetzen einen starken Hebel. Jüngst konnten wir dort verhindern, dass künftig jeder Gabelstapler und Aufsitz-Rasenmäher ein Versicherungskennzeichen braucht. Das hätte vor allem kleine und mittlere Unternehmen, aber auch viele Gartenbesitzer belastet. Hier sollte eine eigentlich gute und differenzierte EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Bundesregierung hat dies aber dazu genutzt, um weitere Regulierungen draufzusatteln. Wir neigen in Deutschland dazu, europäische Richtlinien »veredeln« zu wollen. Quasi den europäischen Musterknaben zu spielen, der immer noch eins schärfer ist als eigentlich vorgeschrieben. Im Ergebnis ist das wettbewerbsverzerrend, weil Deutschland strenger und bürokratischer ist als andere Standorte. Unsere europäischen Partner bekommen es auch hin, gehen aber gelassener mit den EU-Richtlinien um.
Das Steuersystem muss massiv vereinfacht werden.

Manfred Pentz

IHK: Wie und wie schnell setzen Sie den Bürokratieabbau um?
Manfred Pentz: Wir sind für fünf Jahre gewählt. In dieser Legislatur wollen wir merklich entschlacken, was machbar ist. Und hier ist auch wichtig, zu sortieren, was die Bürger überhaupt als Bürokratie empfinden. Öffnungszeiten, lange Bearbeitungszeiten oder manchmal auch Unfreundlichkeit sind ja eigentlich keine Fragen von zu vielen Regeln. Sie haben aber große Wirkung auf die Einstellung der Bürger zur Verwaltung. Aber auch die Bürgermeister sagen, sie ersticken an den Anforderungen. Da sind wir mit den anderen Ministerien dran: Wir wollen die Planfeststellungen beschleunigen. Bei Baugenehmigungen wollen wir die vielen Anforderungen reduzieren. Kommunen werden wir mehr Vertrauen beim Umgang mit Fördergeldern entgegenbringen und die Nachweispflichten reduzieren. Wir wollen die Bürokratie auf ein normales Maß zurückführen, damit die Bürgerinnen und Bürger, die eigene Verwaltung und die Unternehmen wieder mehr Vertrauen in unsere Institutionen haben.
IHK: Welche »Rechte« haben Sie auf Landesebene beim Bürokratieabbau als Querschnittsministerium?
Manfred Pentz: Wir sind ein Team im Kabinett. Es ist ein klares Zeichen, dass der Bürokratieabbau aus der Staatskanzlei heraus bearbeitet wird. Wir haben uns alle zusammen die gemeinsame Linie der Entbürokratisierung als eines der wichtigsten Themen auferlegt. Meine Aufgabe ist, den Finger immer wieder in die Wunde zu legen und die Aktivitäten der Landesregierung zu koordinieren und voranzutreiben. Wir sammeln zudem Beispiele aus Unternehmen und arbeiten sie Stück für Stück ab.
IHK: Ein Bürokratieungetüm ist das deutsche Steuerrecht. Über 80 Prozent der Unternehmen sehen hier Verbesserungsbedarf. Die IHK-Organisation spricht sich für Reformen der Unternehmensbesteuerung aus, die zu einer Vereinfachung und Systematisierung führen. Sie sind als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten Hessens Schnittstelle zum Bund. Wie können und wollen Sie den Hebel ansetzen?
Manfred Pentz: Wir diskutieren da viele Ideen. Vereine könnten zum Beispiel bis zu einer bestimmten Einnahmehöhe völlig von der Steuererklärungspflicht ausgenommen werden. Wir haben bei Kleinstunternehmen ja auch viele Vereinfachungen im Steuerrecht. Ziel muss nicht nur sein, dass den Ehrenamtsvereinen keine steuerlichen Abgaben entstehen, sondern dass auch die Bürokratie mit den Finanzämtern entfällt. Ich stimme aber zu: Das Steuersystem muss massiv vereinfacht werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmen müssen bei Steuer und Bürokratie entlastet werden. Ich halte zum Beispiel die Aufbewahrungspflicht von Steuerunterlagen für viel zu lang. Kleine und mittlere Unternehmen haben oft nicht die Kapazitäten, den steuerlichen und sonstigen Dokumentationspflichten nachzukommen. Denkbar ist da für mich, stärker mit Pauschalen zu arbeiten. Auch kann man mal überlegen, ob geförderte Unternehmen bei Anschaffungen wie staatliche Stellen behandelt werden sollten. Ob sie also wirklich den komplizierten Anforderungen des öffentlichen Vergaberechts unterliegen sollten. Wir werden viele dieser Themen über den Bundesrat einbringen und in Absprache mit unserem Koalitionspartner unseren Einfluss geltend machen.
Die Abfragebürokratie soll auf ein Minimum beschränkt werden.

Manfred Pentz

IHK: Die Landesregierung hat sich zu der Fortsetzung und Weiterentwicklung etablierter Förderprogramme bekannt, aber wie können die Förderbedingungen und -prozesse für Unternehmen entschlackt werden, damit es keine teuren Berater braucht, um Förderprogramme zu beantragen und bei der Abrechnung keinen Schiffbruch zu erleiden?
Manfred Pentz: Bei Genehmigungsverfahren gibt es ja die Idee eines One-Stop-Shops mit festen Ansprechpartnern. So etwas kann ich mir auch bei Förderprojekten vorstellen. Wir wollen auch eine Regelung finden, dass verschiedene Behördenstränge zusammengeführt werden. Die Abfragebürokratie soll auf ein Minimum beschränkt werden. Es ist unsinnig, jeweils vor und nach dem Projekt jeweils haarklein und detailliert Nachweis führen zu müssen. Das wollen wir erleichtern. Nicht gegen die Verwaltung, sondern mit der Verwaltung.
IHK: Vor allem KMU klagen über zunehmende Berichtspflichten, die ihnen von Geschäftspartnern weitergereicht werden. Paradebeispiel ist das deutsche Lieferkettengesetz/Sorgfaltspflichtengesetz, aber auch das Thema Sustainable Finance mit der nicht finanziellen Berichterstattung steht in den Startlöchern. Kleine und mittlere Unternehmen kosten diese Berichte viel Zeit, Energie und Geld. Was können Sie diesen Unternehmen heute versprechen?
Manfred Pentz: Dass wir daran arbeiten, die Dokumentationspflichten zu reduzieren. Ich nehme wahr, dass auf Bundes- und auf europäischer Ebene ein neues Denken einkehrt, wie wir die Regulierungsflut zurückdrehen. Ein erster, wenn auch bescheidener Anfang ist das Bürokratieentlastungsgesetz. Aber auch die neue EU-Kommission wird sich kritisch mit diesen Themen auseinandersetzen müssen. Damit sich die EU mit ihren 450 Millionen Einwohnern mit den großen Volkswirtschaften messen kann, müssen wir umdenken und auch selbstkritisch sein und unsere Wirtschaft entlasten. Das Maß bei der Bürokratie ist überschritten.
Zur Person: Der gebürtige Darmstädter Manfred Pentz (44) ist seit Januar 2024 hessischer Minister für den Bund, Europa, Internationales und Entbürokratisierung. Von 2014 bis 2024 war er Generalsekretär der CDU Hessen. Zu Beginn seiner Laufbahn absolvierte Pentz eine Ausbildung als Versicherungskaufmann, einige Jahre später beendete er sein berufsbegleitendes Studium als Versicherungsbetriebswirt.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 4/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie seit Oktober 2023 auch online als PDF-Datei herunterladen.
Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit