Bündnis für die Innenstadt

„Unsere Innenstädte müssen lebendig bleiben“

Der Einzelhandel befindet sich in einem Strukturwandel, der große Auswirkungen auf die Stadtzentren in Hessen hat. Welchen Beitrag kann das neue Bündnis für die Innenstadt leisten? Dazu haben wir mit Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir, der Vizepräsidentin des HIHK Kirsten Schoder-Steinmüller und Stadtentwicklungsexperte Sven Lohmeyer gesprochen.
Autorin: Laura Becker (HIHK), 20. Mai 2021
HIHK: Herr Al-Wazir, das Land Hessen hat im Dezember das „Bündnis für die Innenstadt“ gegründet, dem auch der Hessische Industrie- und Handelskammertag (HIHK) angehört. Welche Ziele verfolgt das Bündnis?
Tarek Al-Wazir: Lebendige und attraktive Ortskerne und Stadtzentren sind unerlässlich für die Lebensqualität in Hessens Städten und Gemeinden. Zugleich befinden sich viele Innenstädte in einer Krise, die lange vor der Corona-Pandemie begonnen hat. Das können wir nur alle gemeinsam angehen. Darum wurde das Bündnis ins Leben gerufen. Wir wollen die Blickwinkel und Erfahrungen aller Beteiligten bündeln. Innenstädte sind vielfältig und sollen das auch wieder werden – oder bleiben! Die Menschen können hier ihre Freizeit verbringen, einkaufen oder etwas Essen gehen, Kulturangebote nutzen oder Freunde treffen. Deshalb sind auch Vertreter aus dem Gastgewerbe, der Stadtplanung und Immobilienwirtschaft oder vom Stadtmarketing im Bündnis vertreten. In den einzelnen Arbeitsgruppen beteiligen sich noch viel mehr Akteure aus anderen Bereichen. Es geht ja nicht nur ums Einkaufen. Uns ist sehr wichtig, dass auch Grünflächen und eine klimafreundliche Mobilität, also Platz für Radfahrer und Fußgänger, unsere Zentren aufwerten.
Wir wollen die Blickwinkel und Erfahrungen aller Beteiligten bündeln.

Tarek Al-Wazir

Sven Lohmeyer

HIHK: Wie stellt sich denn die aktuelle Situation in den Innenstädten dar?
Kirsten Schoder-Steinmüller: Die Situation ist teilweise dramatisch. Schon vor der Corona-Krise war es im inhabergeführten Handel schwer, Nachfolger zu finden. Die Geschäftsschließungen im Corona-Lockdown haben die Lage verschärft. Wir brauchen Ideen, wie wir diesen Wandel positiv gestalten können. Einen gemeinsamen Kraftakt, um Hessens Innenstädte attraktiv zu halten. Mit einer Mischung aus Handel, Gastronomie, Arbeit, Wohnen, Kultur und Freizeit.
Die Situation ist teilweise dramatisch.

Kirsten Schoder-Steinmüller

HIHK: Wie unterstützt das Land die Kommunen bei dieser Herausforderung?
Tarek Al-Wazir: Das Land stellt aus den Mitteln des Neuen Hessenplans insgesamt 40 Millionen Euro für die Förderung von Projekten in den Städten und Gemeinden zur Verfügung. Das Investitionsprogramm wird bis Ende 2023 laufen und von den Bündnispartnern begleitet. Am Ende soll ein Zukunftsplan für die hessischen Innenstädte stehen. Wir sind gerade dabei, gemeinsam mit den Arbeitsgruppen des Bündnisses die erste Ausschreibungsrunde zu planen. Das bedeutet konkret: Wir werden zeitnah ein Förderangebot ausschreiben. Mit der Förderung können die Städte und Gemeinden Projekte unterstützen, die ihrer Innenstadt guttun. Das wird lokal sehr unterschiedlich sein. Wir denken hier an finanzielle Unterstützung für Zwischennutzungen, an Kümmerer für die Innenstadt oder auch Projekte im öffentlichen Raum.
HIHK: Herr Lohmeyer, Sie erarbeiten mit Ihrem Büro „Urbanista“ Konzepte für zukunftsfähige Innenstädte. Was hat Zukunft?
Sven Lohmeyer: Wichtig ist die Bereitschaft, sich von Altem zu lösen und neu zu denken. Wir brauchen Keimzellen des Wandels in den Innenstädten. Hybride Orte, die mehrere Nutzungen vereinen und so immer wieder neue Anlässe für den Besuch der Innenstadt bieten. Ein Beispiel hierfür ist Oodi, die Nationalbibliothek Finnlands. Ein öffentliches Wohnzimmer und Wissenshaus für die gesamte Stadtgesellschaft mit digitalen Medien, Gruppenräumen, Spielen und Veranstaltungsangeboten. Ein solcher Ort trägt ein starkes Zukunftsversprechen in sich und strahlt auf die ganze Innenstadt aus.
Wichtig ist die Bereitschaft, sich von Altem zu lösen und neu zu denken.

Sven Lohmeyer

HIHK: Wie stehen die IHKs Unternehmen und Kommunen zur Seite?
Kirsten Schoder-Steinmüller: Wir beraten betroffene Unternehmen zu den zahlreichen Unterstützungsangeboten. Rund um die Corona-Hilfen, aber auch zur Digitalisierung des Geschäfts und der Vertriebswege. Da geht es zum Beispiel um digitale Sichtbarkeit. Es muss nicht immer der eigene Online-Shop sein, aber ein gepflegter Google-My-Business-Eintrag ist aus Kundensicht Pflicht. Und mit den Kommunen arbeiten wir vor Ort ganz konkret an Zukunftskonzepten. Unser aller Anliegen ist es, die regionalen Wirtschaftsstandorte und gerade die Innenstädte attraktiv zu halten. Das neue Bündnis in Hessen soll dazu dringend benötigte Impulse setzen.
Wer gehört zum „Bündnis für die Innenstadt“?

Gemeinsam mit den Kommunalen Spitzenverbänden, dem Hessischen Industrie- und Handelskammertag (HIHK), den hessischen Handwerkskammern, dem Handelsverband Hessen, der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen sowie dem Hotel- und Gastronomieverband DEHOGA Hessen hat das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen das „Bündnis für die Innenstadt“ gegründet. Weitere Bündnispartner sind der Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie die Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland. Über ein Investitionsprogramm, das bis Ende 2023 laufen soll, stellt das Land Hessen insgesamt 40 Millionen Euro für die Stärkung der Innenstädte zur Verfügung. Um die Kommunen bestmöglich auf die Fördermittel zum „Bündnis der Innenstadt“ vorzubereiten und IHK-Aktivitäten zur Zukunft der Innenstädte an sie heranzutragen, hat die IHK Darmstadt einen Expertenkreis ins Leben gerufen und bindet diesen in ihre Aktivitäten ein. Der Expertenkreis besteht aus Unternehmern, die ehrenamtlich in der IHK tätig sind, Vorsitzenden von Gewerbevereinen sowie Vertretern der Wirtschaftsförderungen.
Nele Freund
Bereich: Unternehmen und Standort
Themen: Handel, Standortmarketing, Stadtmarketing