Fachkräfte

»Wir suchen gezielt im Ausland«

Aufgrund des Fachkräftemangels schauen sich immer mehr Unternehmen im Ausland nach Fachkräften um – doch die bürokratischen Hürden sind hoch. Daher fordert die IHK Darmstadt in einem Diskussionspapier, die Einwanderung von Fachkräften zu vereinfachen. Zwei Unternehmen aus Südhessen berichten, welche Erfahrungen sie bislang bei der Einstellung von ausländischen Fachkräften gemacht haben.
Autorin: Julia van Lottum, Oktober 2023
»Wir sind sehr bunt«, sagt Fernanda von Christen, Personalchefin von Erbatech, und meint damit die vielen Nationalitäten der rund 180 Mitarbeiter*innen. In Erbach, Michelstadt und Reinheim produziert der Odenwälder Mittelständler Maschinen für die Textilverarbeitung und für die Produktion von Dachbahnen – und stellt hierfür vermehrt Bewerber*innen aus dem Ausland ein. Das Ziel sei nicht etwa, Lohndumping zu betreiben. »Wir brauchen einfach jemanden, der den Job macht«, betont die Personalchefin. »Der Fachkräftemarkt Deutschland reicht nicht aus. Und das, obwohl wir dieses Jahr neun Azubis eingestellt haben. Daher suchen wir gezielt im Ausland nach Mitarbeitern.«
Einer von ihnen ist Ayoub Ghaloua aus Marokko. Der 26-Jährige macht seit Ende Mai eine Anpassungsqualifizierung als Elektroniker bei Erbatech. In Marokko hat er seine Ausbildung in industrieller Automatisierung gemacht und bereits Deutsch auf dem Sprachniveau B2 gelernt – mit dem Ziel, in Deutschland zu arbeiten. Der Kontakt kam über die IHK Darmstadt zustande, die Ghalouas Bewerbung an Erbatech weiterleitete. Andere Fachkräfte rekrutiert das exportstarke Unternehmen über seine internationalen Standorte auch direkt im Ausland. Dabei helfen sicherlich die Erfahrungen und Sprachkenntnisse der Personalchefin: Sie stammt selbst aus Brasilien, machte ihren MBA in Frankreich und startete danach bei Erbatech.
Ein weiteres Beispiel für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland ist Dyckerhoff Beton in Griesheim. Das Unternehmen hat erstmals einen Mitarbeiter aus einem Drittland eingestellt: Ilias Magha stammt wie Ghaloua aus Marokko und hat bei dem Betonhersteller zum 1. September eine Ausbildung zum Baustoffprüfer begonnen. »Herr Magha hat sich aktiv auf unsere Stellenanzeige beworben«, berichtet Prüfstellenleiter Thilo Koch. »Heutzutage ist es nicht einfach, geeignete Mitarbeiter zu finden. Wir freuen uns deshalb, dass Herr Magha perfekt auf diese Stelle gepasst hat. Er bringt bereits Fachkenntnisse mit und ist freundlich und engagiert.« Der 26-Jährige lebt bereits seit zwei Jahren in Deutschland. In Niederbayern hatte er eine Ausbildung zum Maurer gemacht und zuvor in Marokko Deutsch gelernt. »Der Einstellungsprozess, was die Rekrutierung angeht, war daher kein Riesenaufwand«, erzählt Thilo Koch. »Wir waren etwas verunsichert hinsichtlich der Anforderungen und Voraussetzungen bei Bewerbern aus dem nicht europäischen Ausland. Eine Checkliste oder ein Leitfaden für Bewerber aus Drittstaaten hätte uns da geholfen.«
Mein Wunsch ist, dass Unternehmen selbst die Qualifikationen von Bewerbern einschätzen dürfen.

Fernanda von Christen

In anderen Fällen erschweren bürokratische Hürden bei der Vergabe des Visums die Einstellung. »Bei Akademikern ist es relativ einfach«, erzählt von Christen. Wenn die Bewerber*innen jedoch keinen universitären Abschluss haben, sei die Anerkennung von Qualifikationen deutlich schwieriger, erläutert die Personalchefin. »Ghalouas Ausbildung etwa musste einen An­­erkennungsprozess durchlaufen. Es dauerte mehrere Monate, bis er nach Deutschland kommen durfte. Seine Ausbildung wurde teilweise anerkannt; er muss einzelne Qualifikationen, etwa zum Datenschutz, nachholen.« Dafür absolviert er nun eine Anpassungsqualifizierung in der Elektrowerkstatt von Erbatech. Für Bewerber*innen wie ihn erhofft sich von Christen Verbesserungen durch das im Juli verabschiedete Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das vereinfachte Prozesse für Bewerber*innen mit Berufserfahrung vorsieht.
Dagegen bekämen Fachkräfte ohne Ausbildung in ihrem Beruf gar kein Visum, Berufserfahrung zähle nicht, sagt von Christen. Sie nennt das Beispiel eines russischen Monteurs, der in der Türkei für Erbatech arbeitet, aber ursprünglich eine Ausbildung zum Koch gemacht hat: »Ich bräuchte ihn dringend hier, aber er darf nicht herkommen. Mein Wunsch ist, dass Unternehmen selbst die Qualifikationen von Bewerbern einschätzen dürfen«, erklärt von Christen.
Das fordert auch die IHK Darmstadt in ihrem Diskussionspapier »Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten«. Ein Verzicht auf den Nachweis der Gleichwertigkeit eines Abschlusses könnte die Erwerbsmigration erleichtern. Zudem sieht die IHK einheitliche Sprachkenntnisse als zentrale Basis. »Wenn Bewerber sich wie Herr Ghaloua und Herr Magha schon im Heimatland gute Sprachkenntnisse aneignen, ist das optimal«, sagt Dr. Marcel Walter, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK Darmstadt. »Andernfalls müssen in Deutschland Kurse zur Verfügung stehen, um Sprachkenntnisse nachzuholen.« Eine weitere Forderung sind vereinfachte und transparente Prozesse, beispielsweise durch die Bündelung von Aufgaben in zentralen Ausländerbehörden.
Neben der Einwanderung über Visa wie bei Ghaloua und Magha sieht die IHK auch die Beschäftigung von Asylbewerber*innen als Chance. »Der Fachkräftemangel bremst unsere wirtschaftliche Entwicklung und gefährdet damit unseren Wohlstand«, sagt Walter. »Gleichzeitig suchen über 100.000 Menschen pro Jahr Asyl in Deutschland. Aber nach fünf Jahren hat erst jeder zweite Flüchtling einen Arbeitsplatz.« Die IHK fordert daher, dass Geflüchtete schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Walter begrüßt, dass die Bundesregierung mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen Spurwechsel beschlossen habe: Demnach sollen Asylbewerber, deren Asylverfahren läuft, arbeiten dürfen. Somit würden sie wie Fachkräfte behandelt. »Wenn wir die Hürden für die Beschäftigung von Fachkräften aus Drittstaaten verringern, profitieren alle davon: Menschen aus Drittstaaten, die Unternehmen und wir als Gesellschaft«, sagt Walter.
Informationen zur Fachkräfteeinwanderung: Unternehmen versuchen zunehmend, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen. Hilfreiche Tipps für Unternehmen und Fachkräfte finden sich auf den folgenden Websites:

Das mehrsprachige Portal der Bundesregierung hilft bei der Rekrutierung und Integration von internationalen Fachkräften oder Auszubildenden. Es bietet außerdem Informationen rund um die Beantragung von Visa.

Das Informationsportal der Bundesregierung zur Anerkennung ausländischer Berufsquali­fikationen richtet sich an Fachkräfte, Arbeitgeber sowie Beratungsstellen oder Behörden.

Mit neuen, hessenweiten Vorhaben unterstützt das »Regionale Integrationsnetzwerk IQ Hessen« Erwachsene ausländischer Herkunft dabei, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren – unter anderem durch die Qualifizierungs­begleitung »QualiFi«.

Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) bietet Hinweise und eine Checkliste für das Onboarding internationaler Fachkräfte. Hierfür »Tipps zum Onboarding internationaler Mitarbeiter« in das Suchfeld auf der Website eingeben.
Annabel Aulehla
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Social Media