Smart Grid

Internationale Zusammenarbeit für eine Berufsausbildung am Puls der Zeit

Wie können technische Innovationen Einzug in die Berufsausbildung halten? Die Heinrich-Emanuel-Merck-Schule in Darmstadt setzt bei dieser Frage auf internationale Kooperation. So auch bei dem von der Europäischen Union geförderten Erasmus-Projekt „Smart Grid“, an dem sich Partner aus fünf europäischen Ländern beteiligten.
Autorin: Jule Mott, 11. April 2022
Entwicklungen in der Arbeitswelt kommen meist zeitverzögert in den Berufsschulen an. Dessen ist sich auch Gerald Hubacek, stellvertretender Schulleiter der Darmstädter Heinrich-Emanuel-Merck-Schule (HEMS), Selbstständige Berufliche Schule für Elektrotechnik und Informationstechnik mit beruflichem Gymnasium, bewusst und will immer einen Schritt voraus sein. „Darum beschäftigen wir uns intensiv mit der Frage, welche Lücken es zu füllen geben wird, und pflegen zudem seit jeher einen engen Austausch mit Ausbildern in den Betrieben.“ So kam es auch dazu, dass Gerald Hubacek und seine Kollegen sich das Thema „Smart Grid“, also intelligente Stromnetze, auf die Agenda setzten.
Durch den Ausbau erneuerbarer Energien und die Zunahme dezentraler Einspeisepunkte, etwa durch Fotovoltaikanlagen, steigen die Anforderungen an den Netzbetrieb: Schwankungen in der Energieerzeugung treffen auf die Notwendigkeit einer stabilen Stromversorgung und erfordern so neue Techniken bei der Energieverteilung und -speicherung. Ein zentrales Anliegen ist dabei die Schaffung intelligenter Stromnetze, die alle Akteure des Energiesystems miteinander verbinden und es so etwa den Netzbetreibern ermöglichen, Leistungsschwankungen auszugleichen. Über den Einbau sogenannter Smart Meter bei den Verbrauchern wird dabei der Stromverbrauch digital erfasst, um Einspeisung und Nachfrage besser aufeinander abstimmen zu können.
„Die Installation, Montage und Kalibrierung der Geräte und Anlagen im Feld übernehmen Elektroniker, die Vorbereitungen der Programmierung und Visualisierung erfolgt durch IT-Fachleute. Das systemische Verständnis eines Smart Grids ist daher ein wichtiger Lerninhalt für diese Berufe“, betont Gerald Hubacek. Damit die nötigen Kenntnisse in Zukunft in der Berufsausbildung berücksichtigt werden, startete 2018 das internationale, von der EU geförderte Erasmus-Projekt „Smart Grid“. Ziel dabei war die Entwicklung, Erprobung und Evaluation eines entsprechenden Unterrichtsmoduls.

Über Erfahrungen im europäischen Ausland weiterentwickeln

Neben der HEMS waren Berufsschulen aus dem italienischen Bozen, dem tschechischen Sokolnice sowie den österreichischen Bregenz und Wien sowie der Darmstädter Kreis für Berufliche Bildung (DKBB), das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, die TU Darmstadt und die IHK Darmstadt an dem Projekt beteiligt. Die HEMS konnte dabei auf einen großen Erfahrungsschatz bei internationalen Kooperationen zurückgreifen. Seit 1999 bietet die Schule im Rahmen von Erasmus Plus und der Vorgängerprogramme sowohl Auszubildenden, Ausbilder und Ausbildungsverantwortlichen als auch Lehrkräften an, sich über Lern- und Arbeitserfahrung im europäischen Ausland weiterzuentwickeln.
Projekte wie „Smart Grid“ sind ein freiwilliger Zusatzjob, für den die Schule jedoch gern die Ressourcen bereitstellt. „Die Vielfalt der Sichtweisen ist bei der internationalen Zusammenarbeit einfach größer. Wir können die verschiedenen Entwicklungsstände vor Ort besichtigen und die jeweiligen Herausforderungen und Lösungen kennenlernen“, so Gerald Hubacek. „Beispielsweise wurden in Tschechien und Italien Smart Meter bereits eingeführt. Hier konnten wir enorm von den Erfahrungen unserer Partner profitieren.“
Im internationalen Austausch Fachthemen aus einer neuen Perspektive zu beleuchten, sieht man auch bei der IHK Darmstadt als großartige Chance. „Es ist immer klug, in andere Bezüge zu gehen, um das eigene Tun zu reflektieren“, meint Hans-Heinrich Benda, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK. „Wer sich darauf einlässt, hinterfragt die eigene Herangehensweise und sieht durch die Reflexion im Ausland, dass man Dinge auch anders machen kann. Dazu fehlt im Betriebsalltag oft die Zeit.“ Die unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungswerte flossen schließlich in die verschiedenen Lehrbausteine des Projekts ein. Der Fokus dabei lag auf Querschnittsinhalten, die für alle Elektroberufe der Partnereinrichtungen eine Bedeutung und einen Mehrwert für den Unterricht haben: die Programmierung und Montage eines Smart Meters sowie Mess- und Analyseaufgaben an einem Praxismodell mit Netzszenarien.

Schulen und Betriebe gleichermaßen einbinden

Damit die Durchführung eines solchen Projekts reibungslos und für alle Beteiligten gewinnbringend verläuft, wird im Vorfeld der gesamte Ablauf detailliert ausgearbeitet. „Für ‚Smart Grid’ war uns wichtig, die Experten aus Schule und Betrieb, die mit den Ergebnissen ihre Lernprozesse organisieren werden, in das Projekt intensiv einzubinden. Die Auszubildenden waren dabei für uns ein wichtiger Baustein des Qualitätsmanagements“, betont Gerald Hubacek. „Alle Partner haben deren Feedback eingeholt und dieses in die Entwicklung der Lernbausteine einfließen lassen. Zudem arbeiten die beteiligten Schulen eng mit den Ausbildungsbetrieben zusammen, um deren Perspektive einzubeziehen.“
Im Sommer 2021 wurde – durch die Pandemie etwas später als geplant – das Projekt abgeschlossen und die Ergebnisse wurden auf einer Abschlussveranstaltung in der HEMS präsentiert. Die Highlights: ein Smart Meter inklusive Messübungen und Montageplänen sowie „Smart Grid“-Praxismodelle, alles von den Beteiligten selbst konstruiert und montiert.
Wie bei allen EU-geförderten Projekten wurde der Abschlussbericht zu „Smart Grid“ einer externen Prüfung unterzogen, wobei die Relevanz des Projekts für die berufliche Bildung, die Qualität der Projektkonzeption und -durchführung, die Qualität des Projektteams und der Kooperationsvereinbarungen sowie die Auswirkungen und Verbreitung der Projektarbeit und der -ergebnisse beurteilt wurden. Das Ergebnis wurde Anfang dieses Jahres mitgeteilt: 95 von 100 Punkten.
„Mit diesem Ergebnis sind wir sehr, sehr zufrieden” betont Gerald Hubacek. „Die Bewertung verdeutlicht auch, dass wir in Bezug auf neue Technologien und Entwicklungen hinsichtlich des Ausbaus erneuerbarer Energien über ausgezeichnete Kompetenzen in der HEMS verfügen. Wir wollen auch weiterhin vorne mit dabei sein, um dem Fachkräftemangel frühzeitig entgegenzutreten, und möchten im Zuge der aktuellen Sanierung des Berufsschulzentrums Nord gerne ein ‚Erneuerbare-Energien-Labor’ einrichten und modern ausstatten. Wir hoffen, dass dieses Projekt die Bedeutung dieses Labors in der beruflichen Bildung Darmstadts verdeutlicht und die Träger des Bauprojekts als auch weitere Förderer dafür gewinnen kann.“

Europäischen Einheitsgedanken in die berufliche Bildung transportieren

Um die erfolgreiche europäische Zusammenarbeit weiter zu festigen und auszubauen und gleichzeitig die Qualität in der dualen Ausbildung zu fördern, einigte sich die Projektgruppe bereits auf ein Folgeprojekt: Unter dem Titel „QUALCOM (Quality by COMET)“ sollen Verfahren entwickelt werden, um die berufliche Kompetenz der Auszubildenden zu erfassen und damit die Qualität der Ausbildung in Schule und Betrieb weiterzuentwickeln.
„Das wäre sozusagen ein kleines Berufsbildungs-Pisa“, erläutert Gerald Hubacek. „Zudem eignen sich die Instrumente hervorragend als Standardisierung der Qualitätssicherung und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsgänge in der Schule. Wir wollen die Stärken, aber auch die Schwächen unserer Ausbildung erkennen und voneinander lernen.“ Und das gehe im internationalen Austausch eben am besten.
Das Projekt „QUALCOM“ ist aktuell noch offen für die Aufnahme weiterer Partner. Interessenten können sich bei Gerald Hubacek melden.
Alles rund um Auslandsaufenthalte in der Berufsausbildung gibt es hier zusammengestellt.
Torsten Heinzmann
Teamleiter
Bereich: Aus- und Weiterbildung
Themen: Team Ausbildung, Ausbildungsberatung für kaufmännische Berufe