Duales Studium: Zweigleisig zum Erfolg
Ein duales Studium verbindet die Vorzüge einer betrieblichen Ausbildung mit denen eines Hochschulstudiums. Für Unternehmen bietet es eine Reihe von Vorteilen. Und auch für die zukünftigen Fachkräfte ist es eine anstrengende, aber attraktive Option.
Text: Stephan Köhnlein
Dass sie studieren wollte, war für Sina Bormuth von Anfang an klar – obwohl sie nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung als Kauffrau für Büromanagement absolviert hatte. 2021 begann sie deswegen in Bensheim bei Dentsply Sirona, dem weltweit größten Hersteller für Dentalprodukte und -technik, ein duales BWL-Studium der Fachrichtung Industrie. In diesem Herbst wird die 24-Jährige dieses mit dem Bachelor abgeschlossen haben. Unmittelbar danach tritt sie eine Stelle in der Produktionsplanung des Unternehmens in Bensheim an. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
Sina Bormuth ist angestellt beim weltweit größten Hersteller für Dentalprodukte und -technik Dentsply Sirona in Bensheim. Derzeit absolviert sie ein duales BWL- Studium der Fachrichtung Industrie.
© IHK Darmstadt/Thomas Neu
Sina Bormuth ist eine von mehr als 10.000 dual Studierenden in Hessen. Mit rund 170 dualen Studienmöglichkeiten halten die beteiligten Bildungsanbieter für alle Studieninteressierten und jedes Unternehmen das passende Angebot bereit. Das auf wachsende Nachfrage stößt: Während im Wintersemester 2017/18 laut Statistischem Bundesamt noch 7.685 dual Studierende in Hessen verzeichnet wurden, waren es im Wintersemester 2022/23 bereits 10.716 – Tendenz weiter steigend.
Duales Studium erreicht andere Zielgruppen
Unternehmen, die ihren Angestellten ein duales Studium anbieten, haben eine Reihe von Vorteilen. So schaffen sie eine größere Bindung des Personals und bieten eine langfristige Perspektive. „Durch ein duales Studium wird der Fachkräftenachwuchs optimal auf das Berufsleben vorbereitet. Es bietet Unternehmen in Hessen die Möglichkeit, engagierte junge Menschen langfristig als qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen“, sagt der Hessische Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori.
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Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft fördert zudem den Wissens- und Technologietransfer. Denn wissenschaftliche Expertise und der neueste Stand auf einem Wissensgebiet fließen von der Hochschule über die Studierenden zurück ins Unternehmen. Mansoori kommt zu dem Schluss: „Die Kombination aus fundiertem Methodenwissen und gleichzeitiger praktischer Erfahrung ist ein Erfolgsmodell.“
Hoher Praxisbezug als großer Vorteil
Dabei bietet das duale Studium verschiedene Möglichkeiten. Bei der ausbildungsintegrierten Variante erwerben die Absolventen zusätzlich zum Bachelor noch einen Abschluss in einem anerkannten Ausbildungsberuf. Hier werden Studium und klassische „Lehre“ verzahnt. Die praxisintegrierte Variante verzichtet dagegen auf den Ausbildungsabschluss. Das ist besonders dann für Unternehmen interessant, wenn sie rein akademischen Nachwuchs gewinnen wollen.
Insbesondere in den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach dualen Studiengängen erheblich gestiegen.Julia Einberger
Den hohen Praxisbezug schätzt auch Sina Bormuth von Dentsply Sirona. „Ich habe Freundinnen, die normal studieren und die immer noch auf Jobsuche sind, weil das in diesen Zeiten nicht so einfach ist“, sagt sie. „Beim dualen Studium hat man schon mal einen Fuß in der Tür. Und wenn man sich gut anstellt und Interesse zeigt, dann ist das Unternehmen in der Regel sehr dankbar für eine Arbeitskraft, die sich schon ein bisschen auskennt.“
Besonders gefallen hat Bormuth die Verknüpfung zwischen Hochschule und Unternehmen. „Oft müssen wir Projektarbeiten schreiben. Die Anforderung kommt von der Uni, aber das Thema gibt uns die Firma. Und das sind dann Themen, die der Firma auch was bringen und wichtig sind. Es ist schön, wenn man sieht, dass umgesetzt wird, was man entwickelt und woran man mitgearbeitet hat.“
Dem kann Reinhard Pfeifer nur zustimmen. Seit 2009 ist er bei Dentsply Sirona für die Bereiche Ausbildung und duales Studium verantwortlich. „Unsere dual Studierenden arbeiten bereits während des Studiums praktisch voll mit – und zwar nicht bei Nice-to-have-, sondern bei Need-to-have-Projekten“, sagt er. „Mit der Erfahrung aus solchen ergebniskritischen Projekten haben wir dann Leute, die wir unmittelbar nach ihrem Abschluss als vollwertig eingearbeitete Fachkräfte einsetzen können.“
Unsere Motivation ist es, Fachkräfte für unser Unternehmen zu gewinnen.Sarah Opel
Den grundsätzlichen Mangel an Fachkräften könne man mit dem dualen Studium zwar nicht beseitigen, sagt Pfeifer. Aber ein Unternehmen, das das duale Studium anbiete, könne sich damit als attraktiver Arbeitgeber schon früh bei Schulabgängern positionieren – getreu dem Motto: „Der frühe Vogel fängt den Wurm.“
Nachfrage deutlich gestiegen
Julia Einberger, Ausbilderin bei der Sparkasse Starkenburg
© IHK Darmstadt/Thomas Neu
Die Sparkasse Starkenburg bietet das duale Studium zu den Fachrichtungen BWL-Bank und BWL-Finanzdienstleistungen bereits seit dem Jahr 2011 als Alternative für die klassische Ausbildung an. „Insbesondere in den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach dualen Studiengängen erheblich gestiegen“, sagt Ausbilderin Julia Einberger. „Mit dem Angebot reagieren wir auch auf die Wünsche der Abiturientinnen und Abiturienten.“ Rund 350 Menschen arbeiten bei der Sparkasse, davon sind 23 Auszubildende und sechs dual Studierende.
Ziel sei es, eigene qualifizierte Mitarbeiter*innen auszubilden und die dual Studierenden nach ihrem Abschluss in ein Angestelltenverhältnis zu übernehmen. „Den Grundstein für ihre künftige Tätigkeit in unserem Haus können wir damit bereits während des dualen Studiums setzen“, sagt Einberger. Mindestens einmal im Jahr findet dabei mit der Hochschule ein größerer Austausch zu Neuerungen und allgemeinen Informationen statt. Und sollte zwischendurch Absprachebedarf bestehen, so gibt es auch einen gegenseitigen Austausch.
Im Vergleich zur Ausbildung verfügen die dualen Studiengänge über geringere Einsatzzeiten in der Praxis. In der Sparkasse, sagt Einberger, erhielten die dualen Studenten sämtliche Einblicke in die Fachbereiche und können etwa bei Projektarbeiten Aufgaben mitgestalten. „Dabei stimmen wir die theoretischen Inhalte der dualen Hochschule mit den Praxiseinsätzen in der Sparkasse ab, um so am Ende eine erfolgreiche Übernahme gestalten zu können.“
Sarah Opel, Ausbildungsleiterin bei Döhler
© IHK Darmstadt / Jens Steingässer
Auch bei Döhler in Darmstadt ist man vom Nutzen des dualen Studiums überzeugt. „Unsere Motivation ist es, Fachkräfte für unser Unternehmen zu gewinnen“, sagt Sarah Opel, Ausbildungsleiterin bei einem der weltweit führenden Hersteller von natürlichen Ingredients. „Mit unseren Ausbildungs- und Studienprogrammen sorgen wir dafür, dass junge Talente bei uns eine interessante berufliche Perspektive bekommen und auf die vielfältigen Aufgaben vorbereitet werden. Damit entwickeln wir unseren eigenen Talentpool.“
Von den rund 1.800 Mitarbeiter*innen befinden sich etwa 80 in der Ausbildung, knapp 30 davon sind dual Studierende. Das duale Studium, das Döhler seit mehr als zehn Jahren anbietet, erweise sich dabei als ausgesprochen zielführend, sagt Opel. „Es kombiniert eben die Vorzüge eines Studiums mit Praxiserfahrung im Unternehmen.“
Begonnen hat Döhler mit dem dualen Studiengang BWL Industrie. Seit sechs Jahren gibt es zudem den Bereich Wirtschaftsinformatik. Weitere Studiengänge sind in Planung. Aktuell arbeitet Döhler mit der DHBW in Mannheim zusammen und zusätzliche Kooperationen mit anderen Hochschulen sind geplant.
„Gerade die Inhalte der Studiengänge BWL und Wirtschaftsinformatik haben sich in den vergangenen Jahren inhaltlich sehr verändert“, sagt Opel. „Wir sind deshalb froh, wenn wir Studierende gewinnen, die durch eine andere Brille auf für uns relevante Themen gucken.“
Der zusätzliche Aufwand lohnt sich
Am Markt gibt es eine beachtliche Anzahl an Anbietern, auch über Ländergrenzen hinweg. So arbeitet Dentsply Sirona sowohl mit der Dualen Hochschule Baden-Württemberg als auch mit der Hochschule Darmstadt (h_da) zusammen und kombiniert damit zwei sehr unterschiedliche Angebote des dualen Studiums. „Wir haben in diesem Jahr erstmals weitere Studiengänge angeboten wie Data Science und Künstliche Intelligenz oder auch Optotechnik und Bildverarbeitung“, sagt Ausbildungsleiter Pfeifer. „Das sind Gebiete, auf denen wir Nachwuchs brauchen und für die man speziell qualifizierten Nachwuchs am freien Markt auch nicht bekommen kann.“
Der zusätzliche Aufwand für das duale Studium ist für die Unternehmen schwer zu beziffern. „Das liegt auch daran, dass die dual Studierenden über die gesamte Studienzeit von der Sparkasse begleitet werden“, sagt Ausbilderin Einberger. „Selbst in den Theoriephasen dient man als Ansprechpartner für Abstimmungen zu Projekt- oder Bachelorarbeiten.“ Insgesamt sei der Aufwand mit dem für die Ausbildung vergleichbar. „Aber diese Zeit investieren wir gerne in die Entwicklung unserer jungen Leute für eine möglichst lange Zusammenarbeit.“
Opel verweist darauf, dass Lernpläne erstellt und die Inhalte von Hochschul- und Praxisphasen aufeinander abgestimmt werden müssen. Zudem würden die Studierenden intensiv betreut. „Aber das lohnt sich auf jeden Fall“, sagt sie. Und auch bei Dentsply Sirona sieht man das so. „Der Aufwand, den wir investieren, zahlt sich doppelt und dreifach zurück durch die Ergebnisse, die die Studierenden bringen“, erklärt Pfeifer.
Wir haben in diesem Jahr erstmals weitere Studiengänge angeboten wie zum Beispiel Data Science und künstliche Intelligenz.Reinhard Pfeifer
Sprungbrett für Führungspositionen
Wer sich für ein duales Studium entscheidet, sollte sich klarmachen, dass das einen straffen und oft sehr sportlichen Ablaufplan bedeutet. „Man muss sich vor Augen führen, dass ein reguläres Vollzeitstudium fünf bis sechs Monate pro Semester vorsieht“, sagt Döhler-Ausbildungsleiterin Opel. „Im dualen Studium ist das ganze Semester im Schnitt auf drei Monate reduziert.“ Doch den meisten Studierenden sei diese Herausforderung bewusst. Gerade einmal zwei Personen hätten in den vergangenen sieben Jahren bei Döhler das Studium abgebrochen und einen anderen Weg eingeschlagen. „Alle anderen sind mit einem wirklich guten Abschluss aus dem Programm gegangen.“
Reinhard Pfeifer, verantwortlich für die Ausbildung und das duale Studium bei Dentsply Sirona (rechts im Bild).
© IHK Darmstadt/Thomas Neu
Auch die Studierende Sina Bormuth verweist darauf, dass ein duales Studium sehr intensiv und durchgetaktet sei und ein hohes Tempo habe. „Man hat ordentlich was zu tun. Aber die Zeit geht auch sehr schnell vorbei. Die drei Jahre waren wie ein Fingerschnippen.“ Sie könne das duale Studium jedem empfehlen, der wie sie in Richtung BWL gehen möchte, weil das immer einen Vorteil gegenüber einem reinen Studium habe. Und auch mit Blick auf spätere Karrierechancen öffnet dieser Weg Türen: Viele ehemalige dual Studierende sind mittlerweile in Führungspositionen des Unternehmens aktiv.
Weiterführende Informationen
Unternehmen, die mit dem Gedanken spielen, ein duales Studium zu ermöglichen, können diese Checkliste zur Entscheidungsfindung nutzen:
- Unternehmenseignung
- Bedarfsanalyse
- Auswahl des dualen Studiengangs
- Zusammenarbeit mit dem Bildungsanbieter
- Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber
- Vorbereitung auf den Studienstart und die Praxisphasen
Ausführlichere Informationen finden Sie unter www.dualesstudium-hessen.de/fuer-unternehmen/der-weg-ins-duale-studium-hessen
Duales Studium Hessen: Die IHK hat im Arbeitspapier „Duales Studium Hessen” weitere formale Kriterien für die Anbieter formuliert, damit die Qualität dieses Ausbildungsweges gesichert ist. Darin ist unter anderem festgehalten, dass die Höhe des Praxisanteils nicht unter 30 Prozent, aber auch nicht über 50 Prozent liegen darf. Zudem sollen sich Bildungsanbieter und Unternehmen als Ausbildungseinheit verstehen und dabei Themen und Betreuung in Praxisphasen und Projekten miteinander abstimmen.
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 5/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie seit Oktober 2023 auch online als PDF-Datei herunterladen.
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Matthias Voigt
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