Interview

„Das Ziel muss sein, Europa zu stärken”

Südhessische Unternehmen verfügen traditionell über eine hohe Exportquote, viele erzielen einen großen Teil ihres Umsatzes im EU-Binnenmarkt. Daher rückt die Europawahl am 9. Juni in den Fokus. Der Mittelständler Spir Star erklärt, was die EU für sein Geschäft bedeutet – und was er sich von Brüssel wünscht.
Text: Julia van Lottum
Von Rimbach im Odenwald in die weite Welt: 80 Prozent macht der Exportanteil von Spir Star aus – und damit deutlich mehr als die bereits hohe südhessische Exportquote von 65 Prozent. Die EU ist dabei ein wichtiger Markt für den Hersteller von Hochdruckschläuchen. Und das fast von Beginn an: „1989 wurde Spir Star gegründet, bereits zwei Jahre später wurde in Frankreich die erste ausländische Gesellschaft von Spir Star eröffnet“, sagt Rainer Schmitt, Vorsitzender des Aufsichtsrats. Sieben Mitarbeiter*innen sind dort heute für Vertrieb sowie Konfektionierung und Montage der Schläuche zuständig. Neben der französischen Tochtergesellschaft deckt ein Händlernetz mit lokalen Vertretungen jedes EU-Land ab – oftmals mit langjährigen Beziehungen zu den Kunden. Der Grund für die Internationalität liegt in der Spezialisierung: „Unsere Hochdruckschläuche sind ein Nischenprodukt“, erklärt die Assistenz des Vorstandes und Zollbeauftragte Eva Steiner. Entsprechend befinden sich die Kunden – etwa aus der Ölindustrie – nicht nur in Deutschland.
Daher schätzt Steiner viele Vorteile der EU. „Keine Zolldokumente, keine Grenzkontrollen, eine einheitliche Währung: All das vereinfacht den Warenversand und Besuche beim Kunden sehr.“ Wie es ohne die EU aussehen wurde, das habe der Brexit gezeigt. „Warensendungen brauchen ein bis zwei Tage länger, wir können unseren britischen Kunden nicht den gewohnten Service bieten.“ Während in der EU ein Lieferschein genüge, brauche es für den Versand ins Vereinigte Königreich nun Zolldokumente.
Dadurch entstehe auch in der Versandabteilung von Spir Star ein Mehraufwand von bis zu zehn Minuten – pro Sendung. Zeitweise seien die Angaben für die Verzollung sogar detaillierter gewesen als für andere Drittland-Versendungen außerhalb Europas. Selbst das Warenwirtschaftsprogramm konnte dabei nicht alle Daten automatisiert liefern. Eva Steiners Fazit zum Brexit fällt daher eindeutig aus: „Es ist viel schöner, in der EU zu sein.“
Für Rainer Schmitt ist neben dem Binnenmarkt auch die politische Komponente wichtig. „Deutschland allein würde weltpolitisch keine Rolle spielen“, ist er überzeugt. „Aber in der EU werden gemeinsam die Werte Demokratie, Freiheit und Bürgerrechte hochgehalten.“
Kritisch sehen Schmitt und Steiner dagegen den Bürokratieaufwand durch EU-Vorschriften. Angefangen bei der A1-Bescheinigung, die Mitarbeiter*innen bei Reisen in andere EU-Länder ausgedruckt mit sich führen müssen. Sie bestätigt, dass die Person über eine Krankenversicherung verfügt. „Die Krankenversicherung wechselt man ja normalerweise nicht so häufig – trotzdem müssen wir für jede Reise eine neue Bescheinigung beantragen“, sagt Schmitt. „Und warum ist das nicht zumindest digital auf dem Handy möglich?“
Wir wünschen uns Handelsabkommen statt neuer Gesetzesbeschlüsse.

Rainer Schmitt

A1 sei noch das Einfachste, ergänzt Steiner. Ihr macht aktuell der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) zu schaffen. Importeure von bestimmten emissionsintensiven Produkten müssen berichten, wie viele Güter mit welchem CO₂-Gehalt sie von außerhalb der EU nach Deutschland eingeführt haben. Ab 2026 müssen die Importeure Emissionszertifikate kaufen. Das soll die Verlagerung von Produktion in Länder mit geringeren Emissionskosten verhindern. Im Oktober 2023 trat die EU-Verordnung in Kraft. „Aber erst Ende 2023 wurde entschieden, welche Behörde in Deutschland zuständig ist“, kritisiert Steiner. „Bei der Online-Plattform, auf der man die Daten eingibt, gab es außerdem technische Probleme beim Log-in. Und manche Informationen sind nur auf Englisch oder Französisch verfügbar.“ Zudem hätten die Lieferanten die geforderten Daten oft nicht vorliegen.
Der Grundgedanke hinter etlichen EU-Vorgaben zum Schutz des Klimas und der Menschenrechte ist richtig und wichtig.

Eva Steiner

Der Grundgedanke hinter etlichen EU-Vorgaben – Klima und Menschenrechte zu schützen – sei richtig und wichtig, betonen Schmitt und Steiner mehrfach. Aber die Umsetzung sei teilweise überstürzt, die Vorgaben zu komplex. Für einen Mittelständler mit rund 140 Mitarbeiter*innen in Deutschland eine Herausforderung: „Wir mussten ein paar Leute dafür einstellen, und haben dann nicht mehr genug Leute und Zeit fürs Hauptgeschäft, für die Produktion. Wir kommen zeitweise an unsere Grenzen“, sagt Steiner. Weniger Bürokratie lautet daher ihr Appell an die EU. „Wir wünschen uns Handelsabkommen statt neuer Gesetzesbeschlüsse“, fasst Schmitt zusammen. „Damit es wieder Spaß macht, unternehmerisch voranzuschreiten.“
Mit der Kritik steht Spir Star nicht allein da. Als Interessenvertretung der Wirtschaft setzen sich die IHKs für eine größere Wettbewerbsfähigkeit Europas ein. Ihre Dachorganisation, die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), hat zehn Forderungen an die EU gestellt (siehe Infokasten). Bürokratieabbau steht auch hier an erster Stelle. Zudem müssen weitere grundlegende Reformen angepackt werden: die Europäische Union besser und schlanker machen, mehr Wettbewerb zulassen, den Mittelstand stärker berücksichtigen. Insgesamt stehen für die DIHK die Vorteile der EU jedoch außer Frage. „Es gibt keine bessere Alternative als Europa“, ist DIHK-Präsident Peter Adrian überzeugt. „Deshalb gibt es nur den Blick nach vorn.“ Das deckt sich mit der Forderung von Rainer Schmitt von Spir Star, der sich selbst als überzeugten Europäer bezeichnet: „Das Ziel muss sein, Europa zu stärken.“
Forderungen der DIHK für mehr Wettbewerbsfähigkeit Europas
  1. Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung endlich umsetzen
  2. Schnellere Genehmigungsverfahren
  3. International wettbewerbsfähige Energiepreise in der EU sicherstellen
  4. Resilienz von Wertschöpfungs- und Lieferketten erhöhen
  5. Innovation und Forschung in der EU stärken
  6. Handelsabkommen voranbringen
  7. Datennutzung ermöglichen
  8. Chancen der künstlichen Intelligenz ergreifen
  9. Cybersicherheit stärken
  10. Fachkräfte entwickeln, gewinnen und halten

Matthias Voigt
Bereich: Kommunikation und Marketing
Themen: IHK-Magazin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit