Beschäftigte in Elternzeit dürfen nicht benachteiligt werden
Arbeitnehmer*innen, die sich in Elternzeit befinden, erhielten bisher keinen tarifvertraglichen Inflationsausgleich. Das Arbeitsgericht (ArbG) Essen entschied, dass diese Regelung rechtswidrig ist.
31. Juli 2024
Nach dem „Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise” (TV-Inflationsausgleich) vom 22. April 2023 erhalten Arbeitnehmer*innen, die in der Zeit ab Juni 2023 in Elternzeit waren oder sind, bisher keinen Inflationsausgleich. Der Tarifvertrag gilt nur für Personen, die dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) unterfallen, deren Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und die zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt hatten. Zum Entgelt zählen nicht nur das Arbeitsentgelt, sondern auch Krankengeld oder Krankengeldzuschuss sowie Leistungen der Krankenkassen nach dem Mutterschutzgesetz. Arbeitnehmer in Elternzeit sind jedoch ausgeschlossen.
Im vorliegenden Fall ging es um eine Arbeitnehmerin, die sich seit Sommer 2022 durchgehend in Elternzeit befand. Ihr Arbeitsverhältnis ist nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (TVöD AVK) geregelt. Seit Dezember 2023 übte sie ihre Tätigkeit während der Elternzeit in Teilzeit im Umfang von 24 Wochenstunden aus. Eine Vollzeittätigkeit umfasst 39 Wochenstunden.
Der TV-Inflationsausgleich sieht vor, dass Beschäftigte eine einmalige Sonderzahlung mit dem Entgelt für Juni 2023 erhalten, wenn ihr Arbeitsverhältnis am 1. Mai 2023 bestand und sie zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt hatten. Zudem erhalten sie von Juli 2023 bis Februar 2024 monatliche Sonderzahlungen von 220 Euro, sofern an mindestens einem Tag im Bezugsmonat Anspruch auf Entgelt bestand.
Die Arbeitgeberin lehnte die Einmalzahlung sowie die monatlichen Zahlungen ab, da die Arbeitnehmerin in den maßgeblichen Zeiträumen keinen Anspruch auf Entgelt hatte. Seit Aufnahme der Teilzeittätigkeit gewährte die Arbeitgeberin eine anteilige Inflationsausgleichzahlung von 135,38 Euro pro Monat.
Das Arbeitsgericht Essen entschied nun, dass diese Regelung gegen Artikel 3 des Grundgesetzes (GG) verstößt. Der Inflationsausgleich sei keine Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung, da auch Krankengeld als Entgelt zählt. Zwischen Arbeitnehmer*innen, die Krankengeld wegen der Pflege ihrer Kinder beziehen, und Arbeitnehmer*innen in Elternzeit gibt es keinen relevanten Unterschied, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigt. Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen hätten zwar die Freiheit bei Verhandlungen von Tarifverträgen, dürften jedoch Arbeitnehmergruppen nicht unterschiedlich behandeln.
Das Gericht entschied, dass die Arbeitnehmerin so zu behandeln sei, als zähle sie zum Kreis der Begünstigten. Ihr stehen sowohl die Einmalzahlung in Höhe von 1.240 Euro als auch die monatliche Zahlung von 220 Euro zu. Es führte aus, dass Artikel 3 GG die fundamentale Gerechtigkeitsnorm sei und eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie bilde.
Es sei zwar grundsätzlich zulässig, Arbeitnehmer in Elternzeit von bestimmten Leistungen auszunehmen, doch bemängelte das Gericht die sachlich nicht nachvollziehbare Differenzierung, da manche Konstellationen mit dem Anspruch auf Entgelt gleichgestellt werden, während die Inanspruchnahme von Elternzeit nicht berücksichtig wird.
Der Verstoß gegen Artikel 3 GG führt nicht zur Unwirksamkeit der gesamten Tarifregelung, sondern nur zur unwirksamen Ausschlussregelung. Die Arbeitnehmerin erhielt den gesamten geltend gemachten Inflationsausgleich.
Das Gericht ließ ausdrücklich die Berufung aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils zu.
Quelle: ArbG Essen, Urteil v. 16. April 2024, Az: 3 Ca 2231/23
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Kristina Hirsemann
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Themen: AGBs, Lebensmittelrecht, Vertragsrecht