Rechtfertigt eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit die außerordentliche Kündigung?
Krank gemeldet nach vorheriger Ablehnung des Urlaubsantrags und trotzdem privaten Trainerlehrgang besucht: Das sieht nach vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit aus. Im aktuellen Fall musste das Landesarbeitsgericht entscheiden, ob hier eine fristlose Kündigung gerechtfertigt war.
23. Oktober 2024
Die Arbeitnehmerin war seit Dezember 2007 an einer Grundschule in Niedersachsen als Sekretärin beschäftigt. Zu Beginn der niedersächsischen Sommerferien 2023 beantragte sie für den 6. Juli 2023 Urlaub. Dieser Antrag wurde jedoch von der Schulleitung abgelehnt.
Am 5. Juli 2023 meldete sich die Arbeitnehmerin mit einer ärztlich attestierten Magen-Darm-Grippe krank und reichte eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 5. bis zum 7. Juli 2023 ein. Am 6. Juli 2023 nahm sie jedoch an einem Trainerlizenz-Lehrgang teil. Davon erfuhr die Arbeitgeberin: Sie vermutete eine vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit und hörte die Arbeitgeberin dazu am 7. Juli 2023 an. Die Arbeitnehmerin erklärte, dass sie am 5. Juli 2023 tatsächlich krank gewesen sei, sich jedoch am nächsten Tag bereits wieder besser gefühlt habe, weshalb sie beschlossen habe, an dem Lehrgang teilzunehmen. Dennoch kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos.
Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche Kündigung. Sowohl das Arbeitsgericht Osnabrück als auch das LAG Niedersachsen bestätigten jedoch die Wirksamkeit der Kündigung. Die Gerichte befanden, dass die Teilnahme an dem Lehrgang trotz vorgelegter Krankschreibung berechtigte Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufwarf. Nach Ansicht des LAG habe die Arbeitnehmerin ihrer sogenannten "sekundären Darlegungslast" nicht hinreichend Genüge getan.
Gemäß Paragraf 626 BGB kann eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Im vorliegenden Fall stützte sich die Arbeitgeberin auf den Verdacht, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht korrekt war. Das Gericht stellte klar, dass eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich einen hohen Beweiswert gemäß Paragraf 7 Absatz 1 Nummer 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) genießt. Jedoch können Umstände, die ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen, diesen Beweiswert erschüttern.
Das Gericht sah durch die zeitliche Nähe zwischen der Ablehnung des Urlaubsantrags und der Krankschreibung sowie durch die Teilnahme am Lehrgang hinreichende Anhaltspunkte, die Zweifel an der Echtheit der Arbeitsunfähigkeit begründeten. Insbesondere die Tatsache, dass die Arbeitnehmerin am 6. Juli 2023 an einem körperlich fordernden Lehrgang teilnahm, verstärkte diese Zweifel. Die Arbeitnehmerin hätte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast detailliert darlegen müssen, welche Krankheitssymptome vorgelegen hätten und weshalb diese eine Teilnahme an dem Lehrgang, nicht jedoch die Erbringung ihrer Arbeitsleistung ermöglichten. Diesen Anforderungen kam sie jedoch nicht ausreichend nach.
Das Gericht hob hervor, dass die Teilnahme an dem Trainerlehrgang nicht zwingend die Arbeitsunfähigkeit ausschließe. Es sei theoretisch möglich, dass eine Erkrankung zwar die Arbeitsfähigkeit beeinträchtige, jedoch nicht die Teilnahme an einer sportlichen Aktivität ausschließe. Doch die Arbeitnehmerin konnte keine plausiblen Erklärungen dafür liefern, welche konkreten gesundheitlichen Einschränkungen ihre Arbeitsunfähigkeit am Arbeitsplatz rechtfertigten, während sie gleichzeitig an der sportlichen Veranstaltung teilnahm. Auch wurde von ihr nicht dargelegt, warum sie sich trotz verweigerten Urlaubsantrags weiterhin zu dem Lehrgang anmeldete und dort erschien.
Das LAG Niedersachsen entschied ferner, dass es aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung keiner vorherigen Abmahnung bedurfte. Das Vertrauensverhältnis zwischen der Arbeitnehmerin und der Arbeitgeberin sei durch den Verdacht der Täuschung so nachhaltig gestört, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar gewesen sei. Auch eine Interessenabwägung zwischen den beiden Parteien ergab, dass das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses überwiege.
Quelle: LAG Niedersachsen, Urteil vom 8. Juli 2024, Az. 15 SLa 127/24
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Kristina Hirsemann
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