Ausbildung in Südhessen

Jährlich fehlen rund 500 Auszubildende

Obwohl südhessische Betriebe immer mehr Ausbildungsplätze anbieten, sinkt aktuell die Zahl der Ausbildungsverhältnisse. Das zeigen die neusten Zahlen der IHK Darmstadt. Der Karriereweg „Ausbildung“ ist unterbelichtet, meint IHK-Hauptgeschäftsführer Robert Lippmann und fordert ein zügiges Umlenken: Bessere Berufsorientierung und bessere Ausstattung für die Beruflichen Schulen.

Pressemeldung vom 30. Oktober 2024

Die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse ist gegenüber dem Vorjahr leicht rückläufig. Die IHK Darmstadt zählt in ihrem Bezirk (die Kreise Bergstraße, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau, Odenwald sowie die Stadt Darmstadt) 2.912 geschlossene Ausbildungsverträge (Stichtag: 30.09.2024).
Das sind 96 Verträge weniger als Im Vorjahr. „Aber Achtung“, warnt Dr. Marcel Walter, Geschäftsbereichsleiter Aus- und Weiterbildung der IHK Darmstadt, „das sind noch nicht die endgültigen Zahlen. Da ist in beide Richtungen durch Nachzügler oder kurzfristig abgebrochene Ausbildungsverhältnisse noch Bewegung drin.“ Doch die Tendenz bleibt: „Das Vor-Corona-Niveau werden wir erst einmal nicht erreichen“, sagt Dr. Walter.
Hessenweit sieht es ähnlich aus: 20.462 neue Auszubildende zählen die hessischen IHKs, das sind 439 weniger als im Vorjahr, was einem Minus von 2,1 Prozent entspricht.
Das Vor-Corona-Niveau werden wir erst einmal nicht erreichen.

Dr. Marcel Walter

„Mit Blick auf die derzeit schwachen Konjunkturaussichten ist es zumindest eine gute Nachricht, dass das Niveau des Vorjahrs nahezu gehalten werden konnte und die Betriebe trotz Wirtschaftskrise weiter ihren Fachkräftenachwuchs selbst ausbilden wollen“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Robert Lippmann. Das liege in erster Linie daran, dass in den kommenden Jahren branchen- und berufsübergreifend viele Babyboomer-Fachkräfte der mittleren Qualifizierungsebene altersbedingt aus dem Erwerbsleben scheiden.
Doch warnt Lippmann vor der sich abzeichnenden Entwicklung. Denn der positive Aufwärtstrend der vergangenen beiden Jahre hat sich nicht fortgesetzt, und das sei alarmierend: „Die altersbedingten Arbeitsmarktaustritte übersteigen die Zahl neuer Auszubildender deutlich.“ In Hessen werden in den nächsten Jahren jährlich rund 60.000 Fachkräfte in den Ruhestand gehen, der Höhepunkt wird 2030 mit 80.000. Austritten erreicht sein. Gegenüber den Vor-Corona-Jahren fehlen jährlich rund 500 Auszubildende. „Die sind nicht wieder zurückgekommen“, resümiert Geschäftsbereichsleiter Walter.
Dazu kommen offensichtliche Passungsprobleme. Auf der einen Seite ist das Angebot an Ausbildungsplätzen in diesem Jahr erneut gestiegen. Betriebe in Südhessen wie in ganz Deutschland hatten gleichzeitig noch nie so große Probleme, ihre offenen Stellen zu besetzen. Auf der anderen Seite finden viele junge ausbildungswillige Menschen keinen Ausbildungsplatz. Fast drei Millionen unter 35-Jährige in Deutschland haben keinen Berufsabschluss. In Zahlen drückt sich das in Südhessen so aus: Auf 100 unbesetzte Lehrstellen kommen je nach Landkreis 34 (Bergstraße) bis 96 (Groß-Gerau) unversorgte Bewerber*innen – überall ist diese Quote dieses Jahr angestiegen.
„Eine Ursache ist die mangelnde Berufsorientierung Jugendlicher“, konstatiert IHK-Hauptgeschäftsführer Lippmann. Beliebte Ausbildungsberufe wie KFZ-Mechatroniker/in oder Industriekaufleute seien oft überlaufen, während in weniger populären Berufen viele Ausbildungsplätze unbesetzt blieben. „Diese Präferenzen der Jugendlichen entstehen aus falschen Vorstellungen über Karriere- und Verdienstmöglichkeiten oder einfach aus fehlendem Wissen über bestimmte Berufe.“ Oftmals führe fehlende Berufsorientierung auch dazu, dass sich junge Menschen gar nicht um einen Ausbildungsplatz bemühten, z.B. weil sie ihre Stärken nicht kennten oder weil sie sich schlicht nicht trauten, Bewerbungen zu schreiben. Daneben spielen regionale Faktoren eine Rolle. Jugendliche sind begrenzt mobil. „Sie können oder wollen ihren Wohnort nicht für eine Ausbildung verlassen. Für viele sind die Kosten eines Umzugs oder einer täglichen längeren Pendelstrecke nicht tragbar, und finanzielle Unterstützung ist nicht immer ausreichend vorhanden“, sagt Lippmann.
„In Zeiten von massivem Fachkräftemangel können wir uns diese Situation schlicht nicht länger leisten.“ Die Chance, einen attraktiven Ausbildungsplatz zu ergattern, waren lange nicht so hoch wie aktuell. Das insbesondere auch deshalb, da Unternehmen ihre Lehrstellen verstärkt wieder für Jugendliche mit schwächeren Schulabschlüssen öffnen.
In Zeiten von massivem Fachkräftemangel können wir uns diese Situation schlicht nicht länger leisten.

Robert Lippmann

Was kann man gegen diese Fehlentwicklung tun? „Der wichtigste Hebel ist die berufliche Orientierung Jugendlicher“, so Lippmann. Diese müsse konsequent und an allen Schulformen ausgebaut werden. Der Übergang in die Ausbildung gelinge umso leichter, je besser junge Menschen ihre beruflichen Kompetenzen, Wünsche und Möglichkeiten schon während der Schulzeit kennen und selbst ausprobieren könnten. „Aber gerade an Gymnasien ist die berufliche Ausbildung eine zu selten thematisierte Option für die Zeit nach dem Abschluss.“ Anscheinend fehle im Lehrplan die Zeit und Lehrkräften die Erfahrung. „Dabei ist die duale Ausbildung mit ihrem Anschluss an die höhere Berufsbildung eine tolle Karriereoption, auch für Abiturienten“, weiß der IHK-Hauptgeschäftsführer.
Ein weiteres Indiz für eine unzureichende Berufsorientierung sei die hohe Zahl an Studienabbrechern“, sagt Lippmann. Jede*r dritte Studierende bricht sein Studium ab. „Pflichtpraktika genügen da nicht. Es braucht konkrete Informationen über die Möglichkeiten der Ausbildungsplatzsuche, darüber, wie man eine Bewerbung schreibt und wie man sich im Vorstellungsgespräch präsentiert.“ Stärken Sie die Berufsorientierung vor allem an Gymnasien.“
In diesem Zuge fordert Lippmann eine weitergehende Aufwertung der dualen Ausbildung. „Die wenigsten beruflichen Schulen können in puncto Gebäudeinfrastruktur und Medientechnik mit Hochschulen mithalten. Das sendet das falsche Signal an Jugendliche.“ Die Sanierung der Beruflichen Schulen sei von den Kommunen jedoch allein kaum zu stemmen. „Angezeigt ist ein Berufsschulpakt, der mit einer Förderungszusage des Bundes dafür sorgt, dass die Berufsschulen nicht nur in der politischen Rhetorik, sondern auch in der täglichen Bildungspraxis zu den Hochschulen gleichwertig sind.“
Unternehmen, die Mühe haben, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen, sollen sich bei der IHK Darmstadt melden. „Wir unterstützen mit vielfältigen Beratungs- und Vermittlungsangeboten. Beispiele dafür sind unsere Azubi-Speeddatings, über die jährlich eine Vielzahl von Unternehmen und Schüler*innen zusammengebracht werden“, berichtet Ausbildungsexperte Walter. „Zudem beraten wir Betriebe dabei, wie sie Azubis aus Drittstaaten gewinnen können. Dieser Weg ist für immer mehr Betriebe ein Thema und es gibt bereits viele Best-Practice-Beispiele in unserer Region.“
Auszubildende Groß-Gerau Darmstadt-Dieburg Bergstraße Odenwald Darmstadt Gesamt
gewerblich-technisch 218 182 165 73 426 1065
davon männlich 203 165 147 72 319 906
davon weiblich 15 17 18 1 107 158
kaufmännisch 477 426 358 121 465 1847
davon männlich 306 233 180 51 258 1027
davon weiblich 171 194 178 70 207 820
gesamt 694 609 523 194 891 2912
davon männlich 508 398 327 123 577 1933
davon weiblich 186 211 196 71 315 978
Patrick Körber
Geschäftsbereichsleiter, Pressesprecher
Bereich: Kommunikation und Marketing