20. Juni 2023

Grundsatzpapier Politikberatung

Durch die Komplexität der Themen und die Vielschichtigkeit des politisch-administrativen Systems von der EU über den Bund, das Land bis hin auf die kommunale Ebene ist es schlicht nicht möglich, dass Politik immer selbst die notwendige Expertise hat, um Rahmenbedingungen zielgerichtet zu gestalten. Daher ist es sinnvoll, dass sich Politik externe Expertise sichert und ehrenamtlicher Beratergremien bedient. Durch den zu beobachtenden Wildwuchs in diesem Feld ist es allerdings angeraten, hierfür Spielregeln zu definieren, die sicherstellen, dass
  • Beratergremien für die Politik demokratisch legitimiert und kontrolliert sind
  • die notwendige Expertise und der inhaltliche Bezug in den Gremien vorhanden ist
  • klare, transparente Verfahren für die Berufung in die Gremien und die dort geleistete Arbeit entwickelt werden (Zusammensetzung nach Relevanz und Betroffenheit)
  • im Sinne des Grundsatzes des ehrbaren Kaufmanns ausgeschlossen wird, dass die Mitglieder in Beratergremien durch die Arbeit im Gremium für sich und ihre Organisation
  • - auch nicht mittelbar - Folgegeschäft generieren
Wir glauben, dass sich auf dieser Basis umfassende, schnelle, schlagkräftige und gesellschaftlich akzeptierte Strukturen schaffen und betreiben lassen, die es mit den komplexen Herausforderungen unserer Zeit aufnehmen können. Ein Positivbeispiel aus der jüngeren Vergangenheit ist hier die Gaskommission.

Initiierung von Verfahren

Aktuell ist nicht immer ersichtlich, ob politische Initiativen Einzelinteressen oder Ergebnisse von Lobbyerfolgen Einzelner oder Gruppen sind oder ob tatsächlich ein objektiver Bedarf an Politikgestaltung besteht.
Politikverfahren sollten dann initiiert werden, wenn sie entweder durch Regierungen beschlossen wurden oder eine hohe gesellschaftliche Relevanz haben. Gesellschaftliche Relevanz bemisst sich dabei nicht aus Medienresonanz auf einzelne Themen, sondern sollte durch repräsentative wissenschaftlich valide Umfragen gestützt sein. Online-Konsultationsverfahren, wie sie die EU aktuell organisiert, um Initiativen zu begründen, genügen diesem Anspruch nicht. Bei die Wirtschaft betreffenden Fragen sollten mindestens 10 Prozent der regulatorisch adressierten Betriebe in die Initiierung von Verfahren einbezogen werden. Analog gilt das für die bundesdeutsche Politik.

Bestellung und Kontrolle von Beratergremien

Gerade im Kontext des Green Deals gibt es eine Vielzahl von Beratergremien, die sich gebildet haben / die gebildet wurden, ohne dass die Bestellungskriterien transparent sind.
Grundsätzlich sollten Beratergremien parlamentarisch legitimiert sein und periodisch berichten, ein End-Bericht zur Arbeit ist in jedem Fall obligatorisch. Aus Gründen der Transparenz und der öffentlichen Kontrolle sollten Protokolle und Ergebnisse öffentlich zugänglich sein, wenn nicht Persönlichkeitsschutz oder die nationale Sicherheit dem entgegenstehen.

Beteiligung von Betroffenen / Gremienzusammensetzung

Aktuell erschließt sich nicht immer der inhaltliche Bezug und die Notwendigkeit von Beratungsgremienmitgliedern im jeweiligen Prozess. Auf der anderen Seite vermisst man an der einen oder anderen Stelle [1] Vertreter von zentralen Stakeholdern zum Thema.
Zugleich nehmen wir wahr, dass in den die Wirtschaft betreffenden Beratergremien aktuell eine Unwucht in der Repräsentanz besteht: Oftmals dominieren Großunternehmen, Berater und Non-Governmental-Organisations (NGOs) die Gremien; Realwirtschaft sowie kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind dagegen oftmals unterrepräsentiert.
Gremiengröße und Gremienzusammensetzung sollten sich nicht an den Kapazitäten von Repräsentanten orientieren, sondern an der Abbildung der gesamtwirtschaftlichen Verteilung und Bedeutung der Interessengruppen. Grundständige Partizipation muss möglich sein. Hier können auch Kammern aufgrund ihrer gesetzlichen Aufgabe die Repräsentanz leisten.

Verfahren

Oftmals scheitert eine umfassendere Beteiligung von Unternehmen an dem grundsätzlichen Wissen um Verfahren und den Kapazitäten in den Betrieben (v. a. bei KMU).
Hinsichtlich der Veröffentlichung der Initiierung von Konsultationsverfahren / Beratergremien muss die Öffentlichkeitsarbeit dafür grundsätzlich überdacht werden.
Um die Chance zur Beteiligung von Betrieben an Beratergremien zu erhöhen, müssen Design, Aufgabenstellung, Dauer und auch der Einsatz von Online-Medien neu gedacht werden. Die Digitalisierung eröffnet hier neue Horizonte der Zusammenarbeit. Nur wenn diese KMU-gerecht gestaltet ist, gelingt die notwendige Repräsentativität.
Schließlich ist noch anzumerken, dass gerade auf EU-Ebene Sprache eine Hürde darstellt. Zumindest die vorbereitenden Unterlagen sollten zeitgerecht vorab in allen Landessprachen zur Verfügung stehen.

Empfehlungen / Beschlüsse

Die Ergebnisse der Beratungsgremien werden nicht selten 1:1 in Gesetzgebungsverfahren umgesetzt. Hier stellen wir fest, dass dies dann nicht mit der aktuellen Rechtslage abgeglichen wird und Wechselwirkungen mit anderen Gesetzen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Problematisch ist zudem, dass eine gesetzeskonforme Betriebsführung ohne die Hilfe Dritter immer weniger möglich ist. Eine dahingehende Folgenabschätzung sollte Bestandteil jeder Positionierung von Beratergremien sein.
Empfehlungen und Beschlüsse aus Beratungsgremien sollten deutlich gekennzeichnet und mit einer Kommentierung der zuständigen Ministerien versehen werden. Die Ministerien sollten zudem im Gesetzgebungsverfahren sicherstellen, dass die Vorlagen mit der bestehenden Rechtslage auch über Ressortgrenzen hinweg harmonisiert wird.
Zudem müssen insbesondere auch KMU ohne fremde Hilfe in der Lage sein, die gesetzlich definierten Pflichten zu bedienen.

Compliance

Das eine oder andere Ergebnis [2] von Beratungsgremien weckt den Eindruck, dass es Folgegeschäft für die Gremienmitglieder generieren könnte. Da Compliance mittlerweile in der öffentlichen Diskussion einen breiten Raum einnimmt, ist es angeraten, der öffentlichen Kritik an der Politikberatung hier kein Einfallstor zu bieten.
Um jedwedem „Geschmäckle“ vorzubeugen, sollten Mitglieder von Beratergremien / Beiräte zwar einen direkten Bezug zum Thema haben. Sie dürfen aber aus der Tätigkeit keine eigenen wirtschaftlichen Vorteile in Form möglicher Auftragsgenerierung erlangen, auch nicht mittelbar durch Tochterorganisationen. Dies entspricht dem Grundverständnis des ehrbaren Kaufmanns und sollte grundlegende Handlungsmaxime und Verpflichtungserklärung bei der Berufung von Beratergremien darstellen.
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[1] Beispielsweise war im Sustainable Finance Beirat der Bundesregierung von 2019 bis 2022 nur ein mittelständischer Betrieb vertreten, wohingegen 10 Mitglieder dem Bereich der NGOs zuzurechnen sind. Auch EFRAG-Arbeitsgruppe zu nicht-finanzieller Berichterstattung von KMU: Berater (dabei auch Start-up-Beratungsunternehmen) dominieren zu 75 % das Gremium.
[2] vgl. z. B.  https://gsfc-germany.com/wp-content/uploads/2022/01/SFGD21_doku_211207_web.pdf, Seite 17: Fazit des Workshops 3.3 Vom Klimaschutz zur Bewahrung der Biodiversität: Grundlagen für Lösungen durch die Finanzindustrie: Die Transformation der Geschäftsmodelle setzt Kompetenzen voraus, die so noch gar nicht vorhanden sind.