Steuerschuldumkehr beim Bezug von Leistungen / Werklieferungen

Vorbemerkung

Ein in Belgien ansässiger Maschinenbauer B montiert die von dem in Deutschland ansässigen DE bestellte Anlage vor Ort in Deutschland. Für die Abrechnung dieses Vorgangs galt bis zum Jahr 2002, dass der in Deutschland ansässige Auftraggeber
  • die im Inland anfallende Umsatzsteuer einzubehalten und an sein zuständiges Finanzamt abzuführen hatte bzw.
  • die Nullregelung vereinbart werden konnte, wenn beide Beteiligten zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt waren.
Diese besondere Besteuerungsform für im Inland steuerbare Leistungen ausländischer Unternehmen stand immer wieder unter Kritik der EU-Kommission und der EU-Mitgliedstaaten. Sie wurde daher ab 2002 durch die Übernahme der Steuerschuld des im Inland ansässigen Auftraggebers ersetzt. Danach schulden Unternehmer und juristische Personen des öffentlichen Rechts nun als Leistungsempfänger für bestimmte im Inland ausgeführte steuerpflichtige Umsätze die Steuer in eigener Steuerschuld. Ähnlich der Steuerschuld des inländischen Erwerbers für den (steuerfreien) „Warenbezug“ aus anderen EU-Mitgliedstaaten handelt es sich hier um eine Umkehrung der Steuerschuldnerschaft und die Besteuerung der Eingangsleistung, die von der regulären Systematik der Umsatzsteuer abweicht. Rechtsgrundlage für die Regelung ist § 13b UStG. International wird das Prinzip der Steuerschuldumkehr als „reverse-charge-system“ bezeichnet. Die Regelung wurde seit ihrer Einführung bereits mehrfach geändert.

1. Welche Verträge führen zur Steuerschuldnerschaft?

Grundsätzlich gilt die Verpflichtung zur Übernahme der Steuerschuldnerschaft im internationalen Geschäftsverkehr für Verträge
  1. mit im Ausland ansässigen Unternehmen
  2. über die Erbringung von
    a) in Deutschland steuerbaren Werklieferungen und
    b) sonstigen in Deutschland steuerbaren Dienstleistungen.

(1) Im Ausland ansässiger Vertragspartner: Im Ausland ansässiger Vertragspartner ist, wer als Unternehmer im Inland weder einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung noch eine Betriebsstätte hat. Selbst wenn ein Unternehmer im Inland über eine Betriebsstätte verfügt, gilt er hinsichtlich des konkreten Umsatzes nur dann als in Deutschland ansässig, wenn dieser konkrete Umsatz auch tatsächlich von der inländischen Betriebsstätte ausgeführt wird (§ 13b Abs.7 UStG). Dieser Punkt kann im Einzelfall unklar sein. Ist dies der Fall und geht bei einer Abrechnung mit deutscher Umsatzsteuer aus der Firmierung des Rechnungsausstellers nicht zweifelsfrei hervor, ob eine Ansässigkeit im Inland vorliegt, so ist der ausländische Unternehmer verpflichtet, eine sogenannte Ansässigkeitsbescheinigung des zuständigen deutschen Finanzamtes vorzulegen. Bei Zweifeln über die Ansässigkeit im Inland sollte diese Bescheinigung also sicherheitshalber vom deutschen Auftraggeber angefordert werden, um dem Risiko aus dem Weg zu gehen, dass die eigene Steuerschuld verkannt wird.
Wichtig: Unerheblich ist, ob es sich bei dem Vertragspartner um einen im EU-Ausland oder im Drittland ansässigen Unternehmer handelt. Die Regelung zur Steuerschuldumkehr unterscheidet hiernach nicht, sondern kommt bei Vorliegen der Voraussetzungen im Übrigen gleichermaßen zur Anwendung.
(2) Hinsichtlich der Vertragsinhalte geht es im Wesentlichen um:
a) Werklieferungen, bei denen dem deutschen Auftraggeber das fertige Werk im Inland durch den ausländischen Unternehmer übergeben wird.
Beispiele:
  • Errichtung einer Montagehalle auf dem Grundstück des deutschen Auftraggebers in Deutschland durch ein ungarisches Bauunternehmen
    Folge: der deutsche Auftraggeber ist Steuerschuldner
  • Lieferung, Montage und Probebetrieb einer Anlage an einen deutschen Auftraggeber durch ein serbisches Unternehmen
    Folge: der deutsche Auftraggeber ist Steuerschuldner
Hinweis: Reine Warenlieferungen ausländischer Unternehmen, die im Wege der Versendung oder Beförderung in das Inland gelangen, unterliegen dem Tatbestand des innergemeinschaftlichen Erwerbs (Warenbezüge aus der EU) bzw. der Einfuhr (Warenbezüge aus dem Drittlandsgebiet).
b) Alle Dienstleistungen, die in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sind, weil ihr Leistungsort in Deutschland liegt. Für die Bestimmung des Leistungsortes im Detail sei auf die Information für die Praxis Abrechnung von Dienstleistungen ins Ausland verwiesen. Beispielhaft seien jedoch erwähnt:
Leistungen im Zusammenhang mit einem in Deutschland belegenen Grundstück (zum Beispiel Vermietung, Verpachtung, Architekten- und Projektierungsleistungen) oder auch Leistungen, die am Sitzort des deutschen Leistungsempfängers steuerbar sind, soweit dieser Unternehmer ist. Darunter fallen alle im zwischenunternehmerischen Bereich erbrachten Leistungen bis auf einige Ausnahmen. Zu denen zählen:
  • Grundstücksleistungen
  • Personenbeförderungen
  • Restaurant- und Verpflegungsleistungen
  • künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende Leistungen, soweit Eintrittsberechtigung vermittelt wird
  • kurzfristige Vermietung von Beförderungsmitteln.
Beispiele:
  • Maschinenbau GmbH X aus Deutschland beauftragt eine in der Schweiz ansässige Werbeagentur mit der Erstellung und Schaltung einer Anzeigenaktion in der Schweiz. Die Leistung ist am Sitzort des deutschen Leistungsempfänger, d.h. in Deutschland steuerbar. Die Abrechnung der schweizerischen Werbeagentur erfolgt ohne Ausweis von Umsatzsteuer.
    Folge: der deutsche Auftraggeber ist Steuerschuldner
  • Der tschechische Baugeräteunternehmer CZ vermietet dem deutschen Bauunternehmer DE einen Baukran zum Einsatz in Tschechien. Die Vermietungsleistung ist am Sitzort des deutschen Leistungsempfängers, d.h. in Deutschland, steuerbar. Die Abrechnung des tschechischen Unternehmens erfolgt ohne Ausweis von Umsatzsteuer.
    Folge: der deutsche Auftraggeber ist Steuerschuldner

2. Wer ist Steuerschuldner?

Steuerschuldner ist jeder die im Inland steuerbare Leistung beziehende Unternehmer und jede juristische Person, unabhängig davon, ob die Leistungen für unternehmerische oder nichtunternehmerische Zwecke in Anspruch genommen werden. Sie schulden den Steuerbetrag bei der Inanspruchnahme der oben genannten Eingangsleistungen gegenüber dem für sie zuständigen Finanzamt. Hierunter fallen unter anderem auch Ärzte, Kleinunternehmer, pauschalierende Landwirte, Banken und Versicherungen.
Beispiele:
  • Einzelhandelsunternehmer Meyer beauftragt mit der Errichtung seines Einfamilienhauses in Kleve ein niederländisches Bauunternehmen (NL). Die Gesamtleistung des NL unterliegt in Deutschland der Besteuerung, Steuerschuldner ist Meyer gegenüber seinem inländischen Finanzamt. Meyer hat die auf das Entgelt, den Nettopreis, anfallende Steuer mit seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung zu deklarieren und diesen Betrag in voller Höhe abzuführen. Ein Vorsteuerabzug scheidet wegen der Privatnutzung aus.
    Hinweis: Besonderheit im vorstehenden Beispiel ist, dass sich die Steuerschuldnerschaft auch auf Leistungsbezüge erstreckt, die dem nichtunternehmerischen Bereich des Unternehmers zugeordnet werden. Die Deklarationspflichten sind mit der „normalen" Umsatzsteuer-Erklärung für das Unternehmen zu erfüllen.
  • Der in Berlin niedergelassene Arzt Dr. Müller bestellt bei einem belgischen Hersteller Diagnose-Geräte, die von dem belgischen Unternehmen in Deutschland komplett installiert, getestet und dann Dr. Müller übergeben werden. Dr. Müller schuldet bezogen auf die in Deutschland getätigte Werklieferung des belgischen Unternehmens die deutsche Umsatzsteuer aus der Eingangsrechnung und hat diese an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen, obwohl er ansonsten für Zwecke seiner heilberuflichen Tätigkeit von der Umsatzsteuer befreit ist. Ein Vorsteuerabzug scheidet wegen der steuerfreien Ausgangsumsätze aus.

3. Anforderungen an die Eingangsrechnung

Die Eingangsrechnung richtet sich für Leistungen, die nach § 3a Abs.2 UStG von im EU-Ausland ansässigen Unternehmen erstellt werden nach den Rechnungsvorschriften deren Sitzstaates. Aufgrund der EU-Harmonisierung kann jedoch hierfür wie auch sonst weitgehend auf die deutschen Vorschriften geschlossen werden. Diese sehen vor:
  • den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers,
  • den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des Leistungsempfängers,
  • die dem leistenden Unternehmer erteilte Umsatzsteueridentifikationsnummer (soweit vorhanden; bei Drittlandsunternehmen Steuernummer),
  • die dem Leistungsempfänger erteilte Umsatzsteueridentifikationsnummer,
  • das Ausstellungsdatum,
  • eine fortlaufende Nummer mit einer oder mehreren Zahlenreihen, die zur Identifizierung der Rechnung vom Rechnungsteller einmalig vergeben wird (Rechnungsnummer),
  • die Menge und die handelsübliche Bezeichnung der gelieferten Gegenstände der Lieferung oder die Art und den Umfang der sonstigen Leistung,
  • den Zeitpunkt der Lieferung oder der sonstigen Leistung oder der Vereinnahmung des Entgelts oder eines Teils des Entgelts bei Vereinnahmung des Entgelts für eine noch nicht ausgeführte Lieferung oder Leistung,
  • das nach Steuersätzen und einzelnen Steuerbefreiungen aufgeschlüsselte Entgelt für die Lieferung oder sonstige Leistung (§ 10) sowie jede im Voraus vereinbarte Minderung des Entgelts, sofern sie nicht bereits im Entgelt berücksichtigt ist und
  • einen Hinweis auf die Steuerschuld des Rechnungsempfängers, auf deutsch: „Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers“.
Aufgrund der häufig mangelnden Kenntnis der zuletzt genannten Hinweispflicht im Ausland ist davon auszugehen, dass der Hinweis auf die Umkehr der Steuerschuld in der Eingangsrechnung oft fehlen wird. Ist dies der Fall, so kehrt sich dennoch die Steuerschuld um. Der Hinweis ist keine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Steuerschuldnerschaft des Auftraggebers. Für die Frage, inwieweit der fehlende Hinweis auf die Steuerschuldumkehr Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug des Auftraggebers hat, hat die Finanzverwaltung in Abschnitt 13b.15 Absatz 2 des amtlichen Umsatzsteuer-Anwendungserlasses festgeschrieben, dass auch bei fehlendem Hinweis auf den Übergang der Steuerschuld der Vorsteuerabzug gegeben ist, wenn die übrigen Voraussetzungen hierfür vorliegen.

4. Zeitpunkt des Entstehens der Steuerschuld

Aufgrund der Regelung des § 13b UStG gilt, dass für Leistungen, die aufgrund der Grundregel des § 3a Abs.2 UStG in Deutschland steuerbar sind, die Steuer grundsätzlich unabhängig vom Vorliegen einer Rechnung mit Ablauf des Voranmeldezeitraums entsteht, in dem die betreffende Leistung ausgeführt worden ist. Die insoweit gegebenen praktischen Schwierigkeiten haben den Gesetzgeber, der insoweit an die europäischen Rechtsvorgaben gebunden ist, zu keiner anderen Regelung veranlasst.
Lediglich in den Fällen, in denen die Leistung aufgrund anderer Regelungen als der des § 3a Abs.2 UStG in Deutschland steuerbar sind, entsteht die Steuer etwas anwendungsfreundlicher erst mit Ausstellung der Rechnung, spätestens jedoch auch mit Ablauf des Folgemonats, in dem die Leistung ausgeführt wurde. Dazu gehören unter anderem:
  • Werklieferungen
  • Grundstücksleistungen
  • Personenbeförderungen
Beispiele:
  • Der in Belgien ansässige Unternehmer B erbringt für DE (Deutschland) im März 2020 eine Werbeleistung. Die Rechnung über diesen inländischen steuerpflichtigen Umsatz, für den DE als Leistungsempfänger die Steuer schuldet, erstellt B am 25. März 2020. Sie geht DE am 27. März 2020 zu. DE hat monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen abzugeben.
    Lösung: Die Steuer entsteht in diesem Beispiel mit Ablauf Voranmeldezeitraums, in dem die Leistung ausgeführt wurde. Das ist mit Ablauf des Monats März 2020. DE hat den Umsatz in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung März 2020 anzumelden. Dies würde in diesem Fall nach der praxisfernen Neuregelung auch dann gelten, wenn die Rechnung erst im April oder später ausgestellt würde.
  • Der in Belgien ansässige Unternehmer B führt am 18. März 2020 in Köln eine Werklieferung (Errichtung und Aufbau eines Messestands) an seinen deutschen Abnehmer DE aus. Die Rechnung über diesen inländischen steuerpflichtigen Umsatz, für den DE als Leistungsempfänger die Steuer schuldet, erstellt B am 15. April 2020. Sie geht DE am 17. April 2020 zu. DE hat monatliche Umsatzsteuer-Voranmeldungen abzugeben.
    Lösung: Die Steuer entsteht in diesem Beispiel mit Ablauf des Monats, in dem die Rechnung ausgestellt worden ist (Grund: hier wird über eine Werklieferung abgerechnet). Das ist mit Ablauf des Monats April 2020. DE hat den Umsatz in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung April 2020 anzumelden. Würde die Rechnung erst im Mai oder noch später ausgestellt, würde dies auch gelten, weil es dann auf den Ablauf des Folgemonats der Leistungsausführung ankäme.

5. Meldepflichten

Die Bemessungsgrundlage für die Steuerschuld des deutschen Auftraggebers ergibt sich aus dem mit dem ausländischen Vertragspartner vereinbarten Entgelt, das in der Regel mit dem Nettobetrag in der Eingangsrechnung identisch sein wird. Der regelmäßig anzuwendende Steuersatz ist der Normalsatz in Höhe von derzeit 19 Prozent. Der inländische Steuerschuldner muss die Bemessungsgrundlage und den Steuerschuldbetrag gem. § 22 UStG gesondert aufzeichnen.
Wichtig für die Umsatzsteuervoranmeldung zu beachten ist, dass die Steuer zu trennen ist
  • im Inland steuerbare „innergemeinschaftliche“ Leistungen, die von EU-Unternehmen bezogen wurden (Zeile 40) und
  • sonstigen im Inland steuerbaren Leistungen (Zeile 42, etwa Werklieferungen von EU- wie Drittlandsunternehmen sowie sonstige Leistungen von Drittlandsunternehmen).
Beachte: Für die Trennung der Umsätze ist zu beachten, dass in der Zeile 40 nur die von EU-Unternehmen bezogenen Leistungen gesondert zu melden sind, die nach § 3a Abs.2 UStG im Inland steuerbar sind. Dies sind nahezu alle Leistungen bis auf die Ausnahmegruppen, von denen die Wesentlichsten sind:
  • Grundstücksleistungen,
  • künstlerische, wissenschaftliche, unterrichtende und ähnliche Leistungen, soweit Eintrittsberechtigung vermittelt wird,
  • Personenbeförderungen,
  • kurzfristige Vermietung von Beförderungsmitteln,
  • Restaurant- und Verpflegungsleistungen.
Alle anderen Leistungen, zum Beispiel bezogene Grundstücksleistungen, sind in der Zeile 42 zu erfassen. Hintergrund dieser Trennung ist die Regelung des Orts der Leistung in der Europäischen Union. Danach wird für den weit überwiegenden Teil aller Leistungen der Leistungsort an den Sitzort des Leistungsempfängers verlegt mit der Folge der Abrechnung ohne Steuer. Parallel dazu existiert EU-weit verpflichtend das System der Steuerschuldumkehr für grenzüberschreitende Leistungen (reverse-charge). Über die Meldung der nicht steuerbaren Umsätze in der Zusammenfassenden Meldung des Leistenden und der Erfassung der Umsätze beim Leistungsempfänger wird die Kontrolle der ordnungsgemäßen Besteuerung ermöglicht. Dieses Kontrollsystem gilt EU-weit jedoch nur für die vorstehend beschriebenen Leistungsgruppen.
Die Vorsteuer wird in der Zeile 58 Kennziffer 67 der Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemacht.

Hinweis: Die vorstehenden Informationen wurden mit großer Sorgfalt zusammengestellt. Eine Gewähr für die Richtigkeit kann dennoch nicht übernommen werden.