EU-Mercosur-Abkommen: Ratifizierung wäre ein großer Erfolg
Die Bundesregierung sollte sich mit Nachdruck für eine rasche Ratifizierung des Abkommens einsetzen. Denn das EU-Mercosur-Abkommen setzt wichtige Akzente für die deutschen Unternehmen: Es kann im Laufe der nächsten Jahre fast alle Zölle zwischen der EU und dem Mercosur-Raum abschaffen, den Dienstleistungshandel erleichtern, öffentliche Beschaffungsmärkte zugänglich machen und regulatorische Kooperation vereinfachen.
Für den Mercosur-Markt mit 260 Millionen Kunden fielen so jährlich 4 Milliarden Euro an Zollkosten weg. Laut der DIHK-Going International-Umfrage 2023 soll für jedes fünfte deutsche auslandsaktive Unternehmen Lateinamerika wichtiger werden, um auf die aktuellen wettbewerblichen und geopolitischen Spannungen eine Antwort zu haben.
Durch moderne Nachhaltigkeitsregelungen kann das Mercosur-Abkommen Nachhaltigkeitsbemühungen der Staaten und in der Wirtschaft unterstützen. Alle Beteiligten haben sich im Abkommen auf klare Nachhaltigkeitsstandards verständigt und sich so etwa dazu verpflichtet, das Pariser Klimaschutzabkommen effektiv umzusetzen. Durch das Abkommen entstünde mehr Verbindlichkeit für alle Partner. Für die deutsche Wirtschaft ist bedeutsam: Je stärker die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Lateinamerika sind, desto größer sind auch die Chancen, in Umwelt- und Klimafragen gemeinsam voranzukommen.
Eine nicht baldige Ratifizierung oder gar Scheitern birgt die Gefahr, einen handelspolitischen Zeitvorteil aus der Hand zu geben, Lateinamerika anderen Konkurrenten wie z.B. China zu überlassen, und die Glaubwürdigkeit als verlässlicher Handelspartner – auch gegenüber anderen Weltmärkten – zu beschädigen. Daher sollte nun nicht noch mehr Zeit verloren gehen oder gar das Verhandlungspaket wieder aufgeschnürt werden.
Im Einzelnen:
1. Handelsdaten: Das deutsche Handelsvolumen mit den Mercosur-Staaten betrug 2021 über 21 Milliarden Euro, davon über 13 Milliarden Exporte. Diese deutschen Exporte unterstützen laut EU-Angaben in Deutschland 244.000 Arbeitsplätze. Deutsche Direktinvestitionen in den Mercosur-Staaten waren 2020 im Bestand mit über 22 Milliarden Euro zu bewerten. Insgesamt ist die EU der wichtigste Handels- und Investitionspartner der Mercosur-Staaten. Der EU-Mercosur Güterhandel betrug 2021 fast 90 Milliarden Euro. Allein nach Brasilien exportierten deutsche Unternehmen 2021 Waren und Dienstleistungen im Wert von mehr als 10 Milliarden Euro, der deutsche Investitionsbestand lag dort 2020 bei über 18 Milliarden Euro. Die brasilianische Metropole São Paulo beispielsweise ist einer der größten Standorte der deutschen Industrie weltweit. Über 8.500 deutsche Betriebe exportieren in den Mercosur-Raum, 74 Prozent von ihnen sind laut Angaben der EU-Kommission KMU. Die deutsche Außenwirtschaft ist mit den deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) bereits seit mehr als 100 Jahren in den Mercosur-Ländern vertreten.
2. Die Handelsdaten geben einen Hinweis auf das große wirtschaftliche Potenzial, das bei einer Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens erschlossen werden kann. Marktchancen für deutsche Unternehmen liegen etwa in den Bereichen Maschinenbau, Automobilbau und Ernährungsindustrie, wo der Mercosur bisher weltweit mitunter die höchsten Zölle erhebt. Bisher unterliegen 85 Prozent der europäischen Ausfuhren in den Mercosur – einen Markt von über 260 Millionen Konsumenten – einem zum Teil beachtlichen Zoll. Das verursacht in deutschen und europäischen Betrieben Kosten in Höhe von jährlich vier Milliarden Euro. Bisher hat der Mercosur hohe Zolltarife etwa auf Chemikalien, Pharmaprodukte, Maschinen, Textilien, Autos, Schokolade, Elektronikgeräte und Spirituosen. Zudem ist der Zugang zu den Beschaffungsmärkten, den Finanz- und Postdienstleistungen sowie im Transport- und Telekommunikationsbereich restriktiv. Entsprechend sieht ein Großteil der Unternehmen in einem – auch in der Wirtschaft intensiv diskutierten – Handelsabkommen Chancen für das eigene Geschäft. Das EU-Abkommen hat zudem ein gezieltes Mittelstandskapitel vorgesehen, damit die wirtschaftlichen Vorteile auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erreichen – denn Handelshemmnisse betreffen KMUs überproportional. Schließlich schützt das Abkommen 350 traditionelle europäische Spezialitäten wie Schwäbische Spätzle oder Bayerisches Bier auch im Mercosur über die Anerkennung geographischer Ursprungsangaben.
3. Eine Ratifizierung würde Europa und seinen Unternehmen einen wichtigen zeitlichen Vorsprung verschaffen, da somit das erste Abkommen zwischen den Mercosur-Staaten und einem bedeutenden Handelspartner in Kraft wäre. Aber auch andere große Wettbewerbsnationen sind in der Region zunehmend aktiv. Daher sollten sich die EU und die Bundesregierung nach jahrzehntelangen Verhandlungen jetzt für eine rasche Umsetzung des Abkommens einsetzen.
4. Die deutschen Unternehmen im Mercosur sichern zehntausende Arbeitsplätze und tragen etwa durch die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild vor Ort zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung der Region bei. Das EU-Mercosur-Abkommen bietet nun neue Chancen, dieses Engagement gemeinsam weiter zu stärken. Die deutsche Wirtschaft unterstützt das Bestreben nach nachhaltigem Handel zwischen der EU und dem Mercosur. Hierfür sind praktikable Lösungsansätze anstelle von überbürokratischen Vorgaben und einseitigen Sanktionsandrohungen nötig. Ziel muss die Ermutigung von Unternehmen und Investitionen für den Aus- und Aufbau nachhaltiger Lieferketten sein.
5. Entscheidend für den Erfolg von Handelsabkommen ist ihre Umsetzung und Anwendung. Das Kammernetzwerk unterstützt Unternehmen hierbei. Die Bundesregierung sollte sich hier für Vereinfachungen stark machen, insbesondere durch klare und harmonisierte Regeln für den Warenursprung, durch ein umfassendes EU-Online-Tool zu Ursprungsregeln und durch standardisierte Ursprungsnachweise über alle Abkommen hinweg. Auch die Digitalisierung der Zollprozesse und eine Vereinfachung des EU-Zolltarifs würde vor allem KMU entlasten und den Handel erleichtern.
6. Das Abkommen sendet schließlich ein starkes Signal für offene Märkte, regelbasierten Handel und gegen Protektionismus und Abschottung. Auch über das Mercosur-Abkommen hinaus sollte die EU rasch anstehende Abkommen etwa mit Indonesien und Indien fertigverhandeln und ratifizieren, um die Diversifizierung der Lieferketten deutscher Unternehmen zu unterstützen und Planungssicherheit im Außenhandel zu stärken.
Quelle: Stellungnahme der DIHK vom 14. April 2023