Gemeinsames Positionspapier zur norddeutschen Hafenkooperation
Beim Thema norddeutsche Hafenkooperation steht derzeit vor allem ein mögliches Zusammengehen der beiden großen Containerterminal-Betreiber Eurogate und HHLA im Fokus. Aus Sicht der Handelskammer Bremen und der Handelskammer Hamburg sollten ausschließlich unternehmerische Entscheidungen den Weg für eine solche Kooperation ebnen. Eine direkte politische Einflussnahme würde einen Eingriff in marktwirtschaftliche Mechanismen bedeuten. Die deutschen Häfen müssen ihre betriebswirtschaftliche Effizienz gegenüber den Westhäfen grundsätzlich verbessern. Ein Zusammengehen von zwei Unternehmen führt aber nicht zwingend zu einer Steigerung der Produktivität, vielmehr müssen unabhängig davon die effizienzsteigernden Wirkungen des Wettbewerbs genutzt werden.
Die Diskussion um eine norddeutsche Hafenkooperation darf sich daher nicht auf die großen Umschlagsunternehmen verengen. Eine verstetigte Zusammenarbeit der norddeutschen Seehafenstandorte sollte dabei vor allem zwei Ziele verfolgen:
- Die Seehäfen Bremerhaven, Hamburg und Wilhelmshaven müssen gemeinsam in ihrer internationalen Wettbewerbsposition - vor allem gegenüber den Westhäfen Rotterdam und Antwerpen sowie dem polnischen Hafen Danzig - gestärkt werden. Dies betrifft auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit. Daher müssen – unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen – große Anstrengungen unternommen werden, um die Produktivität, insbesondere beim Umschlag, zu steigern.
- In jüngerer Zeit verlorene Marktanteile müssen zurückgewonnen und zusätzliches Wachstum für die norddeutsche Küste generiert werden.
Folgende Handlungsfelder bieten dabei über eine intensivierte Kooperation ein hohes Potenzial für Synergieeffekte:
a) Hafenverwaltungen
Die Westhäfen hatten in den letzten Jahren auch deshalb eine günstigere Kosten- und Produktivitätsentwicklung, weil sie eine wettbewerbsorientierte Struktur etabliert haben sowie eine große Offenheit für private Investoren aufwiesen.
Eine stärkere Kooperation der Hafenverwaltungen hat Potenzial, Synergieeffekte zu heben, wodurch wiederum Aufgaben günstiger bereitgestellt und Hafengebühren möglichst gesenkt werden könnten. Denkbar sind hierbei insbesondere eine gemeinsame Beschaffung und gemeinsame IT-Systeme sowie ein koordiniertes Sedimentmanagement. Darüber hinaus kann eine stärkere Koordinierung dafür genutzt werden, Rahmenbedingungen anzugleichen und dadurch kundenfreundlicher aufzutreten, zum Beispiel durch ein bedienungsfreundliches Tool zur einfachen Berechnung der Lotsen- und weiterer Hafenanlaufkosten.
b) Hinterland und Infrastruktur
Im September 2008 einigten sich die fünf norddeutschen Bundesländer in Ahrensburg auf eine Liste der vordringlich zu realisierenden regionalen Verkehrsprojekte in Norddeutschland. Ziel war es, im Zuge einer höheren Gewichtung bei der Verteilung der Mittel des Bundesverkehrshaushaltes die prioritären Projekte im Norden offensiv gegenüber dem Bund und weiteren Ländern zu vertreten und auf eine zeitnahe Realisierung hinzuwirken. Die Ahrensburger Liste ist mittlerweile in die Jahre gekommen. Hier könnte eine neue Liste der Sache wieder politischen Schwung geben.
Der Aus- und Weiterbau der Küstenautobahn berührt alle fünf norddeutschen Bundesländer. Die A 20 ist eine wichtige infrastrukturelle Voraussetzung für die Stärkung des maritimen Standorts Norddeutschland; sie steht wie eine Klammer sinnbildlich für eine gemeinsame Kooperation in maritimen Themen. Auch ein weiterer Ausbau der Schieneninfrastruktur zur Stärkung der Hafenhinterlandanbindung (z.B. Ausbau Alpha E) ist erforderlich, um den heutigen Wettbewerbsvorteil auf der Schiene weiter auszubauen und zu sichern. Zur Erzielung von Wachstums- und Beschäftigungseffekten an der norddeutschen Küste ist neben der bereits erfolgten Elbvertiefung zudem auch die Fahrrinnenanpassung der Weser umzusetzen.
Verkehrsträgerübergreifend müssen dringend – wie auch jüngst von der neuen Bundesregierung angekündigt – die Planungs- und Realisierungszeiträume massiv verkürzt werden. Der Bau von Infrastrukturprojekten darf nicht zu einer Generationenaufgabe anwachsen. Die Handelskammer Bremen und die Handelskammer Hamburg fordern die Bundesregierung daher auf, verstärkt Bundesmittel bereitzustellen, um dringend notwendige norddeutsche Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Bereits beschlossene und im Bundesverkehrswegeplan 2030 aufgeführte Infrastrukturprojekte müssen in der Planung prioritär vorangetrieben und zügig umgesetzt werden.
c) Umwelt/CO2-Neutralität
Die norddeutschen Häfen sollten gemeinsam mit der im Hafen angesiedelten Wirtschaft und den norddeutschen Ländern an umweltfreundlichen und CO2-neutralen Häfen arbeiten. Zudem bieten sie mit ihrer vorhandenen Infrastruktur sowie dem direkten Zugang zu Erneuerbaren Energien aus Offshore-Windparks die idealen Rahmenbedingungen zum Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft inklusive der industriellen Nutzung im unmittelbaren Umfeld und der Möglichkeit von Import- und Exportterminals für Grünen Wasserstoff. Weitere mögliche Zukunftsthemen wären: Wiederverwendung von Hafenwärme, Abscheidung und Speicherung von CO2 in der Nordsee, CO2-neutrale Produktionsprozesse, alternative Treibstoffe und Antriebe (z. B. Brennstoffzellen), Ersatz fossiler Rohstoffe u.a. durch Biomasse oder Recyclingmaterialien.
d) Hafenanlaufkosten
Die Hafenanlaufkosten sind ein nicht unerheblicher Kostenfaktor und damit ein Hebel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Seehäfen. Ein Ansatzpunkt ist dabei die Lotsabgabe, bei der es sich nicht um eine Gebühr handelt, die die Lotsen erhalten, sondern um eine Gebühr für das Versetzen der Lotsen und für den Erhalt der notwendigen Infrastruktur. Eine deutliche Senkung der Lotsabgabe könnte - ähnlich wie die Abschaffung der Befahrensabgabe für die Binnenschifffahrt – zu einer auch unter ökologischen Gesichtspunkten sinnvollen Verkehrsverlagerung beitragen. Denn die lange Revierfahrt bedingt einerseits höhere Lotskosten, schont andererseits jedoch das Klima im Vergleich zu einem Landtransport – zum Beispiel per Lkw – ganz erheblich.
Auch eine transparentere und durchlässigere Gestaltung des Marktes für Dienstleistungen der Hafen- und Seelotsen in Deutschland sollte geprüft werden. Ein weiterer Baustein für die Verbesserung der Hafenanlaufkosten der deutschen Seehäfen könnte die dauerhafte Streichung der Befahrungsabgabe für den Nord-Ostsee-Kanal sein, die coronabedingt bereits bis Ende 2021 ausgesetzt war. Die Küstenbundesländer sollten sich noch stärker gemeinsam für Maßnahmen zur Senkung der Hafenanlaufkosten einsetzen.
e) Erhebungsverfahren Einfuhrumsatzsteuer
Mit Blick auf die akuten Wettbewerbsnachteile der deutschen maritimen Wirtschaft bei der Erhebung und insbesondere der von den Importeuren zu tragenden Vorfinanzierung der Einfuhrumsatzsteuer sollte eine norddeutsche Hafenkooperation darauf hinwirken, das Erhebungsverfahren endlich auf den europäischen Standard zu bringen und die hierfür erforderlichen konzeptionellen, legislativen und technischen Vorarbeiten umgehend zu beginnen. Die mit dem zweiten Corona-Steuerhilfegesetz eingeführte sogenannte Fristenlösung ist eine begrüßenswerte Zwischenlösung – das Ziel muss aber weiterhin eine schnelle, endgültige Reform der Einfuhrumsatzsteuer, hin zu einem Verrechnungsmodell, sein.
f) IT-Plattform
Um einen besseren Informationsaustausch zwischen den einzelnen Akteuren – Häfen, Schiffen, Unternehmen der maritimen Wirtschaft – zu gewährleisten, sollte die stärkere Vernetzung der Verkehrs- und Ladungsinformationsflüsse geprüft sowie vorhandene und künftige Infrastrukturen und Ressourcen gemeinsam intelligent genutzt werden. Eine Hafenkooperation kann den Prozess der Entwicklung und Einführung neuer digitaler Dienstleistungen und Prozessinnovationen sowie deren intelligente Verknüpfung miteinander weiter aktiv vorantreiben - sowohl politisch im Kreis der norddeutschen Küstenländer als auch ganz praktisch, indem entsprechende Projektaktivitäten befördert und flankiert werden.
g) Marketing/Lobbying
Die für das Hafen-Standortmarketing verantwortlichen Organisationen der norddeutschen Länder kooperieren bereits unter der Dachmarke „German Ports“ bei ausgewählten gemeinsamen Messeauftritten im nicht-europäischen Ausland. Durch eine noch intensivere gemeinsame Vermarktung der Seehäfen im Ausland könnten zusätzliche Marktpotenziale erschlossen und die Wettbewerbsfähigkeit des Hafenstandortes Deutschland insgesamt gestärkt werden.
Mit Blick auf das Lobbying sollte eine gemeinsame Runde von Vertretern der Hafen- und Logistikwirtschaft und den für die Seehäfen zuständigen Ministerinnen und Ministern bzw. Senatorinnen und Senatoren der fünf Küstenländer eine neue Plattform bilden. Im engen Schulterschluss sollten die Küstenländer Einfluss auf das nationale Hafenkonzept ausüben.