Soll- oder Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer

Im Umsatzsteuerrecht wird die Umsatzsteuer entweder nach der sog. Soll-Besteuerung oder nach der sog. Ist-Besteuerung berechnet. Beide Berechnungen weisen gewisse Unterschiede hinsichtlich der Entstehung und Abführung der Umsatzsteuer auf.
Der Nachfolgende Beitrag soll einen kurzen Überblick geben.

Soll-Besteuerung als Regelfall

Das Umsatzsteuergesetz (UStG) schreibt die Besteuerung nach vereinbarten Entgelten – sog. Soll-Besteuerung – als Regelfall vor (§ 16 Abs. 1 UStG).
Das Entgelt ist die Gegenleistung, die der leistende Unternehmer für seine Leistung vom Leistungsempfänger erhält, abzüglich der Umsatzsteuer (z. B. aus einem Kaufvertrag).
Die Umsatzsteuer (USt) entsteht bei der Sollbesteuerung grundsätzlich mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Lieferungen oder Leistungen ausgeführt wurden, ohne Rücksicht auf die Vereinnahmung des Entgelts (also mit Ablauf eines Monats oder Vierteljahres).
Auch auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung kommt es bei der Soll-Besteuerung grundsätzlich nicht an.
Der Unternehmer muss hier die Umsatzsteuer ggf. bereits dann an das Finanzamt abführen, bevor ihm das Geld aus seiner Leistung zugeflossen ist. Die Umsatzsteuer muss damit also vorfinanziert werden.

Ist-Besteuerung als antragsbedingte Ausnahme

Das Finanzamt kann auf Antrag auch gestatten, dass der Unternehmer die Umsatzsteuer nach vereinnahmten Entgelten berechnet, sog. Ist-Bersteuerung.
Die Steuer entsteht bei der Ist-Besteuerung erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt bzw. zugeflossen ist. Bei großem zeitlichem Auseinanderfallen von Rechnungserteilung durch den Unternehmer und Zahlung des Kunden entsteht dem Unternehmer bei der Ist-Versteuerung ein Liquiditätsvorteil, da er die Umsatzsteuer nicht wie bei der Soll-Besteuerung vorfinanzieren muss.
Die Ist-Besteuerung ist nur auf Antrag möglich und der Unternehmer muss eine der folgenden Voraussetzungen erfüllen:
  • Der Gesamtumsatz (§ 19 Abs. 3 UStG) hat im vorangegangenen Kalenderjahr nicht mehr als 600.000 Euro* betragen oder
  • Der Unternehmer ist von der Verpflichtung, Bücher zu führen und regelmäßig Bilanzen zu erstellen nach § 148 Abgabenordnung (AO) befreit oder
  • Der Unternehmer erzielt Umsätze aus einer Tätigkeit als Angehöriger eines freien Berufs (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz).
* Durch das “Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen” wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 2020 die Umsatzgrenze von 500tsd Euro auf 600tsd Euro angehoben.
Zu beachten ist bei diesen Voraussetzungen Folgendes:
Der Gesamtumsatz bezieht sich auf die Voraussetzungen in § 19 Abs. 3 UStG (Kleinunternehmerregelung). Diese Norm sieht u. a. vor, dass bei der Bemessung des Gesamtumsatzes bestimmte steuerfreie Umsätze nicht einzubeziehen sind. Der Gesamtumsatz bezieht sich auf das gesamte umsatzsteuerliche Unternehmen.

Beispiele zur Soll- und Ist-Besteuerung

Soll-Besteuerung

Fall:
Unternehmer A (monatliche Voranmeldungen) lackiert im April 2019 den 5er-BMW eines Kunden. Die dem Kunden am 6. Mai gestellte Rechnung in Höhe von  4.760 Euro (4000 Euro + 760 Euro USt), wird vom Kunden am 2. Juni 2019 gezahlt.
Erläuterung:
Die Umsatzsteuer in Höhe von 760 Euro entsteht mit Ablauf des Monats April 2019, weil Unternehmer A die Leistung im April ausgeführt hat.
Die Rechnungserteilung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf Entstehung und Fälligkeit der Steuer für eine Lieferung oder sonstige Leistung
A hat die Umsatzsteuer in Höhe von 760,- Euro in seiner Voranmeldung April bis zum 10. Mai 2019 zu deklarieren und entsprechend abzuführen.

Ist-Besteuerung

Fall:
Unternehmer A (monatliche Voranmeldungen) hat im Dezember 2018 einen Satz Winterreifen an seinen Kunden geliefert, Rechnungsbetrag: 500 Euro + 95 Euro USt. Der Kunde zahlt die Rechnung im Februar 2019, Unternehmer A erhält die Zahlung am 05.02.2019 auf seinem Bankkonto gutgeschrieben.
Erläuterung:
Die Umsatzsteuer in Höhe von 95 Euro entsteht mit Ablauf Februar 2019, weil das Entgelt (595 : 1,19 = 500 Euro) im Februar vereinnahmt worden ist. 
A hat die USt entsprechend in seiner Voranmeldung Februar bis zum 10. März 2019 zu deklarieren und abzuführen.

Für die Ist-Besteuerung ist ein Antrag erforderlich

Die Ist-Besteuerung muss durch das Finanzamt genehmigt werden. Allerdings ist der Antrag an keine besondere Form gebunden. Er kann schriftlich, (fern-) mündlich oder durch schlüssiges Verhalten gestellt werden. Empfehlenswert ist aber immer der schriftliche Antrag beim Finanzamt. Auch eine Frist zur Antragstellung ist nicht vorgesehen, es empfiehlt sich jedoch, bei bereits angewandter Ist-Besteuerung, den Antrag nachträglich schriftlich beim Finanzamt einzureichen.
Die Genehmigung zur Ist-Besteuerung gilt solange, bis sie durch das Finanzamt widerrufen wird. Ein Widerruf kommt in Betracht, wenn die o. a. Voraussetzungen für die Genehmigung wegfallen oder wenn der Unternehmer bei dem Antrag auf Genehmigung bewusst falsche Angaben gemacht hat. Der Unternehmer kann auch freiwillig wieder zur Soll-Besteuerung wechseln.
Sollte das Finanzamt feststellen, dass der Vorjahresumsatz die 600.000 Euro-Grenze überschritten hat (z. B. im Rahmen der Bearbeitung einer Steuererklärung oder bei einer Betriebsprüfung), kann das Finanzamt die Genehmigung mit Wirkung für die Zukunft widerrufen.
Hatte der Unternehmer bei dem Antrag auf Genehmigung bewusst falsche Angaben gemacht, kann der Wiederruf der Genehmigung auch rückwirkend erfolgen. Bei einem rückwirkenden Widerruf muss der Unternehmer seine Umsätze ab sofort nach vereinbarten Entgelten berechnen und die Umsatzsteuer aus den noch nicht bezahlten Rechnungen in die nächste Umsatzsteuer-Voranmeldung aufnehmen.
Unternehmer, die weder Freiberufler, noch von der Buchführungspflicht befreit sind, können die Ist-Besteuerung nur dann in Anspruch nehmen, wenn ihr Vorjahresumsatz die 500.000 Euro-Grenze nicht überschritten hat.

Beispiele für Anträge auf Ist-Besteuerung

1) Unternehmer A hat im Jahr 2018 aus seinem Elektronik-Vertrieb einen Gesamtumsatz in Höhe von 450.000 Euro erzielt. Daneben verkaufte er eines seiner Betriebsgrundstücke für 200.000 Euro.
Erläuterung:
Die Veräußerung des Betriebsgrundstücks ist grundsätzlich umsatzsteuerfrei und stellt außerdem einen Hilfsumsatz dar, der nicht zum Gesamtumsatz aus dem Elektronik-Vertrieb gehört (§ 19 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 UStG).
A kann für 2019 beim Finanzamt einen Antrag auf Ist-Besteuerung stellen, da sein Gesamtumsatz in Höhe von 450.000 Euro im vorangegangenen Kalenderjahr (2018) die 500.000 Euro-Grenze nicht überschritten hat.
2) Für den buchführungspflichtigen Gewerbetreibenden B wurde vom Finanzamt nach § 148 AO eine Befreiung von der Buchführungspflicht bewilligt. Sein Gesamtumsatz im Jahr 2018 beträgt 680.000 Euro.
Erläuterung:
B kann einen Antrag auf Ist-Besteuerung stellen, da er von der Buchführungspflicht befreit wurde. Die Höhe seines Umsatzes ist hier ohne Bedeutung.
3) Rechtsanwalt C erzielte im Jahr 2018 einen Gesamtumsatz aus freiberuflicher Tätigkeit in Höhe von 620.000 Euro.
a) C ermittelt seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung (EÜR, § 4 Abs. 3 EStG)
b) C führt freiwillig Bücher und ermittelt seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (§ 4 Abs. 1 EStG)
Erläuterung:
zu a):
C kann einen Antrag auf Ist-Besteuerung stellen, da er als Rechtsanwalt eine freiberufliche Tätigkeit im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausübt. Die Höhe seines Umsatzes ist hier unerheblich.
zu b):
C kann keinen Antrag auf Ist-Besteuerung stellen, weil er freiwillig Bücher führt und sein Gesamtumsatz im Jahr 2018 die 500.000 Euro-Grenze übersteigt.

Vorsteuerabzug

Für den Vorsteuerabzug kommt es weder bei der Soll- noch bei der Ist-Besteuerung auf den Zeitpunkt der Zahlung an. Unternehmer können den Vorsteuerabzug dann vornehmen, sobald sie eine umsatzsteuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung von einem anderen Unternehmer bezogen haben und eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt.
Die Ausnahme sind Voraus-/Anzahlungen, bei denen die Vorsteuer erst dann geltend gemacht werden kann, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist (sog. „Mindest- Ist-Besteuerung“, siehe nachfolgend).

Mindest-Ist-Besteuerung

Die sog. Mindest-Ist-Besteuerung gilt für Anzahlungen, Abschlagszahlungen und Vorauszahlungen.
Hier entsteht die Umsatzteuer bereits vor der Ausführung der Leistung mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder Teilentgelt vereinnahmt wurde
(§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Bstb. a, S. 4 UStG).
Beispiel:
Unternehmer A erhält von dem Unternehmer B am 12. April 2019 eine Vorauszahlung in Höhe von 4.760 Euro (A hat B im April eine ordnungsgemäße Rechnung erteilt). A erbringt die Leistung an B im Mai 2019.
Erläuterung:
Die Umsatzsteuer entsteht hier mit Ablauf des Monats April, da A das Entgelt (4.760 : 1,19 = 4.000 Euro) bereits im April vereinnahmt hat, bevor er die Leistung ausgeführt hat.
B kann die Vorsteuer in Höhe von 760 Euro im April in Abzug bringen, weil die (ordnungsgemäße) Rechnung vorliegt und die (An-) Zahlung geleistet wurde.
Hinweis: Die Informationen in diesem Beitrag sollen - als Service der Handelskammer Bremen - IHK für Bremen und Bremerhaven - nur erste Hinweise geben und erheben daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurden, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.