Klimaneutralität – auf Kosten von Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit?

An Zielen für die Klimaneutralität mangelt es nicht: Die EU bis 2050, Deutschland bis 2045, Niedersachsen bis 2040, viele Städte und Gemeinden möchten „Net Zero“ bereits vor 2040 erreichen. In Deutschland hat Klimaschutz nach Art. 20a des Grundgesetzes Verfassungsrang.
Das Instrument ist der Ausbau der erneuerbaren Energien, vor allem von Wind, Solar und Biomasse sowie der erforderliche Ausbau des Stromnetzes und von Energiespeichern. In 2023 wurden in Deutschland ca. 14 GW Solarenergie zugebaut, ein Zuwachs von ca. 20 Prozent. Allerdings: Für das Erreichen der Ziele reicht dieser Ausbau noch nicht. Erforderlich wären 19 GW Solarenergie p.a. Bei Wind wurden 2023 etwa 3 GW zugebaut, erforderlich wären hingegen 8 GW p.a.
Der Zuwachs in Deutschland mag signifikant erscheinen, beträgt aber nur zwei Prozent des globalen Wachstums. Weltweit waren es 2023 über 500 GW installierter Leistung an Solar- und Windanlagen, davon über 60 Prozent in China. Zudem täuscht der Blick auf den Strommarkt. Im ersten Quartal 2024 deckten erneuerbare Energien ca. 60 Prozent des in Deutschland erzeugten Stroms ab, aber nur etwa 20 Prozent im Wärme- und sieben Prozent im Verkehrssektor.
Die Versorgungssicherheit ist in Deutschland aktuell eine der besten der Welt. Die ungeplanten Stromausfälle in Deutschland betrugen 2022 etwa 12 Minuten pro Letztverbraucher. Trotz steigender Einspeisung der Erneuerbaren ist der Wert in den letzten zehn Jahren sogar rückläufig. Größere Sorgen bereiten geopolitische Abhängigkeiten. Nach der Gasmangellage 2022 und 2023 ist die Abhängigkeit von China bei erneuerbaren Energien in den Blick geraten, zum Beispiel kommen ca. 90 Prozent der Solarmodule und etwa 60 Prozent der Elektrobatterien aus China; bei Windanlagen und auch bei Wasserstoff drohen ähnliche Verhältnisse. Die europäische Industriepolitik formiert sich hierzu gerade, im Rahmen der Net-Zero Industrieverordnung sollen 40 Prozent des EU-Bedarfs an grünen Technologien selber gedeckt werden.
Der zentrale Zielkonflikt ist die Bezahlbarkeit für Haushalte und Unternehmen, als Verbraucher sowie als Steuerzahler. Zwar senden Sonne und Wind keine Rechnung, aber die Systemkosten in Form von Netzausbau, neuen Erzeugungsanlagen und Back-up-Kapazitäten für die schwankenden Erneuerbaren steigen stark. Bis 2030 werden laut Fortschrittsmonitor Energiewende im Strom- und Wärmesektor über 700 Milliarden Euro an Investitionen für die Dekarbonisierung benötigt, insbesondere für die Erzeugung und die Energienetze. Aber auch die fossile Energieversorgung wird teurer, vor allem durch steigende CO2-Preise und ordnungsrechtliche Maßnahmen.
Dennoch: Die Klimaneutralität ist machbar, wenn es uns gelingt, das energiewirtschaftliche Gesamtsystem zu möglichst geringen Kosten umzusetzen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und längst bekannt: Stärkere europäische Integration des Strommarktes, kurze und weniger kostentreibende Genehmigungsverfahren und -auflagen, Absenkung übertriebener Baustandards, Stärkung von Marktmechanismen, zum Beispiel über die Lenkungswirkung des CO2-Preises und über Marktanreize für flexible Erzeugungsanlagen und Energiespeicher, sowie Offenheit gegenüber Technologien wie CCS sind einige der Chancen, um die Kosten möglichst gering zu halten.
 
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