Zweites Leben aus dem Schredder

Die Energiewende bringt neben unleugbaren Vorteilen auch ganz neue Müllprobleme mit sich. Das Braunschweiger Cleantech-Start-up Circular Silicon sieht darin eine Chance.
Die schwarzen Rechtecke sind zum Gelingen der Energiewende unabdingbar – und längst allgegenwärtig. Spaziert man durch ein Neubaugebiet, sieht man kaum noch ein Haus oder auch Carport ohne Solarpanele auf dem Dach. Fährt man durch die ländliche Idylle Niedersachsens, wird man Zeuge, wie landwirtschaftliche Betriebe die großen Dachflächen ihrer Scheunen und Ställe mit Photovoltaik-Modulen ausgestattet haben. Auch großdimensionierte Solarparks gewinnen immer mehr an Bedeutung. Und dann sind da ja auch noch die Steckersolaranlagen („Balkonkraftwerke“), die in den vergangenen Jahren und insbesondere nach einer kürzlich umgesetzten Gesetzesnovelle einen wahren Boom erleben: Bis Mitte 2024, so berichtete jüngst die Bundesnetzagentur, habe sich die Zahl von Balkonkraftwerken in Deutschland innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Der renommierte „Economist“ proklamierte im Juni auf seinem Titel den „Anbruch des Solarzeitalters“ und prophezeite „exponentielles Wachstum“.
Julian Pudack freut sich, wenn er solche Schlagzeilen liest oder die PV-Anlagen auf den Dächern sieht. Zum einen, weil der Wirtschaftsingenieur ein ausgeprägtes Umwelt- und Klimabewusstsein hat, aber auch, weil er weiß, dass ihm die Arbeit so schnell nicht ausgehen dürfte. Gemeinsam mit Jan-Philipp Mai und Lars Krüger hat Pudack die Circular Silicon Europe GmbH gegründet, seit März 2023 steht das Braunschweiger Unternehmen im Handelsregister. Circular ­Silicon hat sich auf das Recycling von Siliziumabfällen spezialisiert – gewonnen aus ausgedienten Solaranlagen. „Unsere Motivation ist es, nachhaltiges Silizium herzustellen“, berichtet Pudack und ergänzt folgerichtig: „Wir sehen uns eher als Siliziumproduzenten und nicht als Abfallverarbeiter. Aber wir sind natürlich beides.“ Das aus dem PV-Schrott zurückgewonnene Silizium, so die Geschäftsidee, erhält bei Industriekunden ein „zweites Leben“.

Gründer streben Null-Emission an

Silizium ist das mit Abstand wichtigste Halbleitermaterial bei der Herstellung von Solarzellen. Das für die PV-Module benötigte hochreine Silizium wird unter sehr energieaufwändigen chemischen Prozessen hergestellt, vor allem in Asien. Rund 18 Tonnen CO2, berichtet Pudack, würden dort für eine Tonne erzeugtes Silizium freigesetzt. „Wir liegen grob überschlagen bei ungefähr einer halben Tonne“, beziffert der 33-Jährige den deutlich schmaleren CO2-Fußabdruck, der im derzeit noch klein dimensionierten Betrieb bei Circular Silicon erreicht wird. Perspektivisch, wenn Strom und Transport komplett auf erneuerbare Energieträger umgestellt werden, „wären wir bei Null“, blickt er voraus.
Bisher lag der Fokus auf Deutschland, jetzt gucken wir uns auch in Europa um.

Julian Pudack

Bislang sei der übliche Recyclingprozess von Solarmodulen de facto eher eine Entsorgung, sagt Pudack. Die Solarmodule würden geschreddert, der Aluminiumrahmen und Teile des Glases würden wiedergewonnen. „Aber die wirklich wichtigen Rohstoffe, nämlich das Silizium und das Silber, gehen verloren.“ Dort kommt nun Circular Silicon mit seiner Wiedergewinnung ins Spiel. „Mit unserem besonderen thermomechanischen Verfahren erreichen wir aktuell eine Siliziumreinheit von 90 Prozent“, berichtet Pudack. Dies sei ausreichend für eine metallurgische Zweitnutzung des Siliziums, etwa als Bestandteil von Aluminiumlegierungen; für die Herstellung von neuen Solarzellen reiche dieser Reinheitsgrad allerdings nicht aus. Um dies zu erreichen, arbeite man an einem weiteren Prozess, berichtet der Gründer, um letztlich „den Kreislauf zu schließen“, was langfristig das Ziel sei. „Falls das technisch oder wirtschaftlich keinen Sinn ergibt, ist es aber kein Muss für unser Unternehmen.“ Die Prozesskosten und auch die Marktpreise für Silizium gelte es also stets im Auge zu behalten, betont der Gründer, der im Landkreis Helmstedt aufgewachsen ist.

100 Kilogramm Rohmaterial pro Stunde

Im Erdgeschoss eines eher unscheinbaren Wohnhauses in der Braunschweiger Friedrich-Seele-Straße hat das Start-up sein Zuhause, hier befindet sich das Büro. Nebenan, in einer Industriehalle, gibt es mehr zu sehen, dort befinden sich die Anlagen, mittels derer die angelieferten ausgedienten Solarzellen zunächst zerkleinert werden, bevor das wertvolle Silizium von Kunststoffresten und anderen Fremdstoffen getrennt wird. Größter Anlieferer der alten PV-Zellen ist derzeit das Magdeburger Partnerunternehmen Solar Materials, ebenfalls eine Gründung des Unternehmensstrategen Jan-Philipp Mai, das unter anderem mit Solarpark-Betreibern zusammenarbeitet. Deren aussortierte Module nimmt Solar Materials auseinander, ehe die Zellen bei Circular Silicon in der Braunschweiger Weststadt landen. Dort können derzeit etwa 100 Kilogramm Rohmaterial pro Stunde verarbeitet werden. Nach einer Skalierung der Pilotlinie, für deren Umsetzung das Start-up erst kürzlich eine zweite Finanzierungsrunde angeschoben hat, soll der zehnfache Wert erreicht werden. „Deshalb sind wir gerade auch auf der Suche nach neuem Rohstoff“, stellt Pudack klar und meint damit den PV-Schrott. „Bisher lag der Fokus auf Deutschland, jetzt gucken wir uns auch in Europa um: Belgien, Frankreich, Italien, aber auch in Osteuropa.“

Umzug scheint unausweichlich

In Braunschweig, so viel scheint mittlerweile klar, wird diese zweite und größere Produktionslinie allerdings nicht mehr zum Einsatz kommen. Das Start-up, deren Gründer in der Löwenstadt studierten, das hier die ersten Schritte machte, erste Investoren fand und die ersten Anlagen aufbaute, steht kurz vor einem Umzug. In dem Mischgebiet in der Friedrich-Seele-Straße sei es für ein Recycling-Unternehmen schwierig mit den Genehmigungen. „Wir wären trotzdem sehr gerne in Braunschweig geblieben“, betont Pudack, „aber leider gibt es hier nur sehr wenige Flächen“. Und so geht es für Circular Silicon wohl entweder gen Osten oder Süden. „Magdeburg und Seesen sind derzeit die heißesten Favoriten“, verrät Geschäftsführer Pudack, der darauf hinweist, dass in den strukturschwächeren Regionen nicht nur die vorhandenen und günstigen Hallenflächen, sondern auch die lockenden Fördergelder eine nicht geringe Rolle spielen.
Bereits Ende 2024 soll eine neue Halle bezogen werden. Dann soll es bei Circular Silicon richtig losgehen: Nicht nur die Produktionskapazitäten, auch die Zahl der Mitarbeitenden dürfte dann, von derzeit nur drei Festangestellten plus Hiwis und Praktikanten, anwachsen. Die Chancen seines jungen Unternehmens sieht ­Julian Pudack durchweg positiv. „Der Markt für Solarmodul-Recycling geht gerade erst los“, freut er sich – und der Blick nach oben zu den schwarzen Rechtecken auf unseren Dächern scheint ihm Recht zu geben.
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6/2024