Zutat Zeit macht das Brot so besonders

Er war von Kindesbeinen an mit dabei. Die Backstube war ein wenig auch seine Kinderstube. Mit drei Jahren benetzte er mit der Wasserspritze die Brotlaibe und noch bevor er in der Grundschule das kleine Einmaleins lernte, half er beim Abwiegen der Teige. „Backen war schon immer meine Leidenschaft“, sagt Lukas Kröhl. Nur an die Nachtschicht, „die einfach nur ätzend ist“, gewöhne man sich nie. Zum Glück hat er sich seine Leidenschaft von den misslichen Arbeitszeiten nicht verleiden lassen: Im Februar 2023 machte er sich mit der Klosterbäckerei Schöningen selbstständig.
Der sympathisch unkomplizierte und eloquent erzählende junge Mann verwirklichte mit seinem Handwerksbetrieb sein lang gehegtes Abendbrotbäcker-Konzept. Nachtschicht adé, bei Kröhl beginnt die Schicht zwischen 5 und 7 Uhr. „Wir starten meistens um 6 Uhr“, sagt der Jungunternehmer. Mit ausgeschlafenem Blick auf den malerischen Klosterhof werden dann Brot und Brötchen gebacken. Am Verkaufstresen, der Teil der 120 Quadratmeter kleinen Backstube ist, gehen Brot, Brötchen, Baguettes, Kuchen­taler und deftige Köstlichkeiten von 13 Uhr bis 18 Uhr über die Ladentheke.
Backen war schon immer meine Leidenschaft.
Gewiss, die Kundinnen und Kunden hätten anfangs ob der für die Branche ungewöhnlichen Öffnungszeiten gestutzt. Aber nachdem sie im wahrsten Sinne des Wortes spürten, wie schön es ist, mittags ein ofenwarmes Brot nach Hause zu tragen, waren sie überredet. Zudem überzeugte viele auch der arbeitnehmerfreundliche Hintergrund der Entscheidung für das Abendbrot-Konzept. Am Wochenende gibt’s allerdings schon ab 10 Uhr Brötchen. So viel Zugeständnis an die Sonntagssemmelgewohnheit muss sein.

Kleine Handwerksbäckerei im Biobereich

Lukas Kröhl hat zunächst BWL studiert, stellte aber im ersten Arbeitsverhältnis fest, dass „ein Bürojob im Bereich Personaldienstleistung nicht mein Ding ist“. Er kehrte zu seiner alten Leidenschaft zurück und machte eine Ausbildung im elterlichen Betrieb. Nachtschicht inklusive. „Arbeitszeiten von 17 bis 2 Uhr sind kräftezehrend. Das Sozialleben kannst du vergessen.“ Weil er das aber nicht vergessen wollte, setzte er seine Vision von einer „kleinen Handwerksbäckerei im Biobereich“ um. Eine moderne Bäckerei, „Backen 2.0“, sollte es am Ende sein.
Auf meine Bitte, das schwammige Wort „modern“ doch ein bisschen griffiger zu erläutern, muss Kröhl erst mal lachen: „Naja, das Kerngeschäft ist natürlich immer noch backen.“ Klar, aber branchenunüblich ist eben die menschenfreundliche, gesundheits- und sozialverträglichere Arbeitszeit. Seine 18 Mitarbeitenden schätzen dies jedenfalls sehr. Gerade für Familien von schulpflichtigen Kindern oder welchen im Kitaalter sei ein Arbeitsverhältnis in der Produktion zu den üblichen Arbeitszeiten sehr belastend. Gearbeitet wird in einer 5-Tage-Woche, gezahlt wird deutlich über Mindestlohn. Zeugnisse, Zertifikate, Lebensläufe sind Kröhl egal. „Ich unterhalte mich ausgiebig und eingehend mit Bewerbern und sehe dann an Probetagen, ob es passt.“ Auch Ungelernte oder Branchenfremde haben so eine Chance bei ihm, alles rund um die Produktion bringt er ihnen selbst bei. In Kröhls Backstube kann es auch schon mal heiß hergehen, wenn die Auslastung am Limit ist. Aber kein Vergleich zum Stress einer Großbäckerei, sagt er. „Bei uns dudelt Musik im Hintergrund, es ist klein, familiär, nicht so stressig, dass du nicht auch mal pfeifend durch den Raum gehen und ein Wort wechseln kannst.“

Den Preisvergleich kann das Brot aufnehmen

Des Weiteren verarbeitet Kröhl in seiner 2.0-Backstube keinen Weizen, sondern ausschließlich Dinkel, Dinkelvollkorn und Roggenmehl. „Wir geben unserem Brot die Zeit, die es braucht“, liest man auf dem Instagram-Kanal als erstes. Das klingt schon schön und hat irgendwie auch etwas Beruhigendes, weil es doch nichts anderes heißt, als dass so gebacken wird wie früher – wie zu Opas Zeiten. Kröhl lacht: „Ja, wir arbeiten mit Langzeitteigführung, der Teig hat die Zeit zu ruhen, die er braucht. „Roggenprodukte werden mit Sauerteig, Dinkelprodukte mit Dinkelfermentteig …“ Wir wollen uns nicht in Details verlieren, nur so viel: Diese traditionelle Handwerkskunst ist nicht nur bekömmlicher, sondern wenn die Kruste beim Anschneiden so schön knackt und die Butter auf dem lauwarmen Brot schmilzt, dann sind der Worte genug gedrechselt. Köstlich.
Wir geben unserem Brot die Zeit, die es braucht.
Als dritten Aspekt seiner „modernen“ Backstube nennt Lukas Kröhl dieses: „Nur Bio.“ Die Kosten im Einkauf seien entsprechend fast 50 Prozent höher, aber den Preisvergleich mit anderen Bäckereien kann er dennoch aufnehmen. Fünf oder sechs Euro kosten die Brote der Klosterbäckerei.
Natürlich ist Kröhl auch auf Instagram und Co. vertreten, arbeitet mit einer Social­Media-Agentur zusammen. „Großartige Tools, um neue Kolleginnen und Kollegen zu bekommen.“ Und der Chef bewirbt auf Instagram auch schon mal mit einer stuntreifen 007-Einlage ein neues Brot.

Der Brotkalender belegt die Kreativität im Team

Kröhl hat mit einem „KfW-Kredit, bisschen Eigenkapital, bisschen Erspartem vom Opa“ klein angefangen. Und ist schnell auf ein Team von 18 Leuten gewachsen, hat mittlerweile eine zweite Verkaufsstelle an der Berliner Straße in Braunschweig. Wenn das weiter so gut läuft, ist die Backstube bald zu klein, oder? Kröhl wehrt ab. Man wisse natürlich nicht, was in ein paar Jahren sei, aber man sollte seine Kapazitätsgrenzen kennen. Wenn die Öfen voll sind, dann hat er auch schon mal Aufträge abgelehnt. Denn derzeit steht ihm der Sinn nicht nach Expansion. Eher nach Experiment.
Und das sieht im Hause Kröhl nach Feierabend, wenn nur noch die Stube gefegt werden muss und die Hitze allmählich verfliegt, eher so aus: Mit Mitarbeitenden, „die Bock haben“, tüftelt er an neuen Sorten, wälzt alte Bücher, Rezeptkladden vom Opa. Vielleicht liegt es daran, dass sein Team ausgeschlafen ist, jedenfalls ist das kreative Potenzial der Truppe enorm. Und weil die Rezepturen nicht in irgendeiner Schublade vermehlstauben sollen, hat Kröhl einen Brotkalender aufgelegt: So gibt es jeden Monat zusätzlich zum Sortiment ein einzigartiges Brot. Im Herbst das Oktoberfestbrot, auch Bratkartoffelbierbrot genannt, da es herzhaft mit Kartoffelflocken, Bier und Röstzwiebeln zubereitet wird.
Ebenso wie Kröhl derzeit der Sinn nicht nach Expansion steht, behält er auch sein Sortiment im Blick: Qualität vor Quantität. „Warum brauche ich 20 Brötchensorten?“ fragt er rhetorisch, um gleich hinterherzuschieben: „Ein helles, eins mit Körnern. Reicht doch. Wenn die Qualität stimmt.“ 15 bis 20 Produkte finden sich täglich in den Auslagen. 300 bis 500 Brote holt das Team täglich aus dem Ofen. Brötchen, herzhafte und süße Snacks runden das Sortiment ab. Neben den beiden Verkaufsstellen beliefert die Klosterbäckerei regionale Gastronomie, Schulen, Kitas, ist auf Festen, Märkten präsent.

Opa raspelt Möhren für das Hasenbrot

Lukas Kröhl, der seine Vision eines modernen Handwerksbetriebs umgesetzt hat, war natürlich dennoch froh, dass er von den Erfahrungen aus dem elterlichen Betrieb profitieren konnte. Gerade beim Aufbau der Backstube kam ihm mancher Rat zugute. Mutter ­Katrin hat die Verkaufsleitung inne, sein Opa kommt gern und oft vorbei und hilft. Er raspelt dann die Karotten für das beliebte „Hasenbrot“ oder häckselt unverkaufte Ware. Kröhl legt nämlich auch höchsten Wert auf Nachhaltigkeit: „In unseren Biotonnen wirst du nie ein Brot finden!“ Entweder es wird zu Paniermehl und Knödelbrot verarbeitet oder geht zu foodsharing oder zur Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Lebens(t)raum Behse in Schöningen.
suja
7/2024