Papeterie aus Evessen erobert die Welt

Besucht man das malerische Dorf am Elm, fällt eines sofort auf: Zwischen den rund 1270 Einwohnenden der Gemeinde finden sich einige kreative Köpfe – Kunsthandwerk, Töpferei, Goldschmiede. „Anscheinend liegt das hier in der Luft“, sagt Diplom-Designerin Anette Pörtner, die sich mit ihrem Papeterie-Label „Wi-La-No®“ in die Liste der gestalterisch schaffenden Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner einreiht. Bevor sie sich in Evessen niederließ, wohnte sie einige Jahre in der Stadt. Als sie dort den Himmel vor lauter Hauswänden nicht mehr sehen konnte, war der Umzug besiegelt. Natur, Elm, Weitsicht – das ist es, was Pörtner inspiriert. Die besten Ideen hat sie, wenn sie mit ihrem Hund durch den Wald läuft.

Die Eingebung

Als Jugendliche war die gebürtige Hannoveranerin zunächst an Modedesign interessiert, studierte aber schließlich Industriedesign an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. „Mich reizte es schon immer, schöne und zeitlose Produkte mit hohem Nutzwert zu gestalten.“ Dabei zeigt sie auf einen Kaffeehausstuhl, den sie im Rahmen ihres Vordiploms entwarf. In ihrem ersten Job hingegen gestaltete und programmierte Pörtner Nutzer­oberflächen und Produktinformationssysteme, wofür sie sich als designaffiner Mensch ebenso interessierte. „Als Designerin ist man Generalistin“, erklärt sie. Ihre Selbstständigkeit startete die heute 56-Jährige nach der Geburt ihres ersten Sohnes. Ihr damaliger Arbeitgeber musste Insolvenz anmelden und so baute sie nach der Elternzeit ihre freiberufliche Tätigkeit als Designerin aus. Seit 2011 gibt es die Design-­Marke Wi-La-No®. Die einfallsreiche Abkürzung ist schnell erklärt: Namensgeber waren ­Anette Pörtners beiden Kinder, die sie mit der Frage „Wie lange noch bis Weihnachten?“ zu der Idee ihres Business inspiriert haben. Bei dem Versuch, ihren Kindern die verbleibenden Tage zu veranschaulichen, ist sie an herkömmlichen Kalendern gescheitert. Ein neues Format musste her! Im Sommer 2010 kam ihr beim Campen die „schlagartige Eingebung“ für einen innovativen Wand­kalender, der Tage, Wochen und alle zwölf Monate übersichtlich darstellt. Der Jahresplaner ist in 52 Zeilen à sieben Tage unterteilt und bietet ausreichend Platz für Eintragungen. Als Farbenfan hat sich Pörtner bei dem bunten Design ausgelebt, den Kalender darüber hinaus aber im minimalistischen Streifenlook gehalten, was ihn vielseitig einsetzbar macht. „Obwohl die Idee eigentlich nicht so weit hergeholt ist“, wie sie findet, sei der Wi-La-No®-Wandkalender einzigartig. Bedauerlicherweise hat sie auch schon Erfahrungen mit Nachahmern und günstigen Kopien im Internet gemacht, gegen die sie anwaltlich einschritt. Seither ist das Design urheberrechtlich geschützt.

Nachhaltigkeit & Regionalität

Schon im ersten Jahr nach der Gründung erreichte die Unternehmerin ihre Ziele. Sie verkaufte zunächst auf DaWanda. Seit 2013 ist Etsy neben dem eigenen Onlineshop, der 2018 hinzukam, ihr Hauptvertriebskanal. Da sie noch mehr Menschen mit ihrem funktionalen Designprodukt erreichen wollte, gibt es seit 2015 auch eine englischsprachige Version. Seither versendet Pörtner in die ganze Welt, was auch die Pins auf der Landkarte gegenüber ihrem Schreibtisch veranschaulichen. Sie weist auf die Liefer­orte in Europa, Asien, USA, Australien, Neuseeland und auch Alaska hin. Darunter viele Stammkunden. Sogar Hawaii ist mit dabei und markiert neben Japan die bisher am weitesten entfernte Bestellung. „Wenn ich mir vorstelle, dass meine Kalender in New York hängen und ich mich in der Welt verewigt habe, macht mich das sehr stolz“, kommentiert die Designerin, die ihr universell einsetzbares Produkt an Planungs- und Designbüros, Familien, Kindergärten oder Schulen verkauft. Ferner beliefert Pörtner auch vereinzelte Ladengeschäfte in Braunschweig, Berlin, Halle (Saale) und Hamburg. Dennoch möchte sie auch in der Region bekannter werden und ihre Reichweite bei Firmenkunden verbessern. Als Highlight bietet sie ihre Kalender individualisiert im Corporate Design von Unternehmen an.
Nachhaltigkeit sowie eine hohe Papier- und Druckqualität mit umweltfreundlichen Farben ist mir seit Beginn meiner Selbstständigkeit sehr wichtig.
Seit Oktober befindet sich Pörtner wieder in der heißen Phase, denn nun trudeln verstärkt Bestellungen für 2025 ein. Viele ihrer Stammkunden kennt sie mittlerweile beim Namen und pflegt regen Kontakt zu ihnen. „Ich lege großen Wert auf die Kundenkommunikation und beantworte alles selbst. Manchmal bekomme ich sogar Fotos von Kunden geschickt, die abbilden, wo sie ihren Kalender aufgehängt haben und wie sie ihn nutzen“, berichtet sie freudig. Ohnehin kommt bei Anette Pörtner alles aus einer Hand – Design, Entwicklung, Pressearbeit sowie Produktfotos und -texte. Lediglich der Druck ist ausgelagert und erfolgt klimaneutral auf Recyclingpapier bei der oeding print GmbH in Braunschweig. „Nachhaltigkeit sowie eine hohe Papier- und Druckqualität mit umweltfreundlichen Farben ist mir seit Beginn meiner Selbstständigkeit sehr wichtig – oeding print passt als Nullemissions-Druckerei perfekt zu meinen Ansprüchen.“ Dazu zählt auch Regio­nalität, die Pörtner in den kurzen Wegen von der Druckerei zur Lebenshilfe Braunschweig gGmbH, deren Mitarbeitende sie beim Versand in die ganze Welt unterstützen, erfüllt sieht.

Selfmade-Business

Der Wi-La-No®-Kalender war nicht nur Pörtners erstes Produkt und ist nach wie vor ihre „Cash Cow“, wie sie liebevoll sagt, sondern bildet auch den konzeptionellen Rahmen für alle nachfolgenden Designideen. Dazu zählen beispielsweise Postkarten aus Graspapier, Kalender für Schwangere, ABC- und Zahlen-Postkarten sowie das „mannometer“, eine Messleiste für Kinder. Alles auf der Basis des schlichten, bunten Streifendesigns, das Wi-La-No® ausmacht. Die kleineren Produkte, wie das mannometer, versendet die Unternehmerin selbst aus dem hauseigenen Büro oder sogar von unterwegs – denn neuerdings zählt auch das Wi-La-No®-Mobil zu dem kleinen Unternehmen. Ein roter Bulli, den Pörtner für Geschäftstermine und den Einsatz auf Märkten umbaut, mit dem sie aber auch viel Zeit in der Natur verbringt, wo sie am besten kreativ und fokussiert arbeiten kann. Design und Dorf – das harmoniert für die lebensfrohe Niedersächsin. Die Liste noch ausstehender, kreativer Papeterieartikel ist lang, die Umsetzung eine Frage von Qualität und Quantität. Denn Pörtners Anspruch an Design, Druck, Verpackung und Versand ist hoch, ihre Kapazitäten als One-Woman-Show sind aber begrenzt.
Die zweifache Mutter von mittlerweile erwachsenen Söhnen hat in den letzten Jahren ein klassisches Selfmade-Business erfolgreich aufgebaut – die guten Bewertungen auf den gängigen Portalen und die vielen Stammkunden sprechen dabei für sich. Aber war es immer einfach? Keineswegs, „denn man hat immer das Gefühl, sich zu zerreißen und nichts zu 100 Prozent zu machen“, beschreibt Pörtner die Vereinbarkeit von Familie und Selbstständigkeit. Die flexible Zeiteinteilung sei ein großer Vorteil gewesen, aber das schlechte Gewissen – wahlweise gegenüber den Kindern oder der Arbeit – habe sie stets begleitet. „Die tradierten Familienmodelle sind heute mehr in Bewegung und verändern sich, aber früher hat mir niemand den Rücken freigehalten, damit ich mein Business aufbauen konnte“, erklärt die Geschäftsführerin den Umstand, warum der Aufbau ihrer Selbstständigkeit langsam voranschritt. Sie spricht sich für mehr Anerkennung gegenüber ihrer Leistung sowie dem Erfolg anderer soloselbstständiger Frauen aus: „Es ist so wichtig, dass man nicht nur auf die Defizite schaut, sondern sich dafür lobt, was man schon alles geschafft hat.“ Nicht weniger essenziell sei auch der Blick auf die eigenen Ziele – Anette Pörtner zum Beispiel möchte bald im Design Shop des Museum of Modern Art in New York gelistet sein. Bei dem nächsten Spaziergang durch den Elm mit Hündin Fritzi kommen ihr gewiss wieder neue Inspirationen.
ar
8/2024