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Interne Unternehmensnachfolge mit Erfolg
Bei der TYPOGRAFIX GmbH ist ein Team aus sieben Gesellschafterinnen und Gesellschaftern in die Fußstapfen von Firmengründer Reinhard Brennecke getreten, als dieser in den Ruhestand ging. Das Besondere: Die Nachfolgenden kommen aus den eigenen Reihen der Werbeagentur. Wie die Unternehmensübergabe ablief, welche Höhen und Tiefen sie bereithielt und woher Brennecke und die neue Geschäftsführerin Ulrike Spychalski Unterstützung bekamen, haben uns die beiden im Gespräch verraten.
Thomas Kausch, Nachfolgeberater der Allianz für die Region GmbH, überreicht Ulrike Spychalski als neuer Geschäftsführerin der TYPOGRAFIX GmbH einen Kompass, der sie und ihr Team sinnbildlich dabei unterstützen soll, das Unternehmen stets auf Kurs zu halten. Im Hintergrund der ausscheidende Unternehmensgründer Reinhard Brennecke.
© Roman Brodel
Reinhard Brennecke hat sein Lebenswerk übergeben und es ist für ihn die bestmögliche Lösung. „Ich wollte nicht vom Platz getragen werden, sondern selbst entscheiden, wann ich damit aufhöre“, assoziiert er die Unternehmensübergabe mit seinem Ende als aktiver Fußballspieler. In beiden Fällen ist es ihm gelungen. Selbstbestimmt. Schon vor der Coronapandemie habe er sich mit etwa 59 Jahren zum ersten Mal Gedanken über seine Nachfolge gemacht. Zunächst dergestalt, dass er in sich reingehört habe, ob er sein „Baby“ überhaupt loslassen könne. Der Beweis, dass er es konnte, sitzt direkt neben ihm. Ulrike Spychalski ist die neue Geschäftsführerin der TYPOGRAFIX GmbH und leitet die Agentur seit diesem Jahr zusammen mit sechs weiteren Gesellschafterinnen und Gesellschaftern. Das vertraute Verhältnis zwischen den beiden ist deutlich spürbar. In der entspannten Atmosphäre des Besprechungsraums wirken Brennecke und Spychalski wie alte Freunde, die sich bei einem Kaffee auf den neusten Stand bringen. Für den ehemaligen Geschäftsführer war die Übernahme durch seine Mitarbeitenden genau die richtige Entscheidung, der allerdings ein langer Prozess vorausgeht.
Verantwortung ist die Währung, die zählt
Während eine familiennahe Nachfolgeregelung in Brenneckes Fall nicht infrage kam, habe er anfangs zwar an die eigenen Mitarbeitenden gedacht, diese Option aber zwischenzeitlich wieder verworfen. Orientierung fand er in der Nachfolgeberatung der Allianz für die Region GmbH, welche mit ihrem digitalen Regionalpool übergebende Betriebe und Nachfolge-Interessenten zusammenbringt und den Nachfolgeprozess begleitet. Auch die IHK Braunschweig ist als Netzwerk- und Kooperationspartner dieses Angebots beratend tätig. Für Reinhard Brennecke sowie Mitgesellschafterin und Prokuristin Angelika Stößel folgten Informationsgespräche mit Berater Thomas Kausch, der auch die Veröffentlichung des verschlüsselten Unternehmensprofils im Regionalpool veranlasste.
Wir sind ein großes Team mit unterschiedlichen Kompetenzen. Das funktioniert sehr gut, wir ergänzen uns hervorragend.Ulrike Spychalski
Nachdem sich einige Nachfolge-Interessenten gemeldet hatten, fanden die durch Kausch moderierten Sondierungsgespräche statt. Im Laufe des Prozesses kristallisierte sich jedoch heraus, dass die externen Interessenten nur bedingt zu der ganz eigenen Unternehmenskultur von TYPOGRAFIX passten. „Wir haben über die letzten Jahrzehnte einen Raum geschaffen, in dem die Kundenfürsorge und -beratung sowie die kreative Umsetzung von Projekten im Einklang mit einem harmonischen Zusammenarbeiten möglich sind. Dabei bin ich den Mitarbeitenden stets auf Augenhöhe begegnet und habe Verantwortung delegiert. Verantwortung ist für mich die Währung, die wirklich zählt und Angestellte emotional an das Unternehmen bindet“, beschreibt Brennecke seinen hierarchiearmen Führungsstil. Auch wenn ihm die Bezeichnung einer „großen Familie“ eigentlich zu profan ist, so vermittelt die vor 32 Jahren gegründete Agentur eben genau diese zwischenmenschliche Herzlichkeit.
Ulrike Spychalski und Reinhard Brennecke haben jahrelang Seite an Seite gearbeitet, bevor die Unternehmensübernahme durch die Mitarbeitenden zur optimalen Lösung wurde.
© Roman Brodel
Das bestätigt auch Ulrike Spychalski, die vor 21 Jahren dazugestoßen ist und sich auch heute noch an ihren ersten Arbeitstag als Auszubildende zur Mediengestalterin in der Agentur erinnert. Lebendig, liebevoll und freundschaftlich sei es gewesen. Eben ganz anders. „Manchmal bezeichnen wir uns auch als Wohngemeinschaft“, sagt sie und beide lachen. „Das Kapital der Agentur sind die Mitarbeitenden. Für Außenstehende ist es manchmal schwer, unseren einzigartigen Stallgeruch zu adaptieren“, ergänzt Brennecke. Aus dieser Erkenntnis entwickelte sich der „logische Schluss“, den Mitarbeitenden eine Beteiligung oder Übernahmemöglichkeit anzubieten.
Man wächst mit seinen Aufgaben
Die Beratungsleistung der Allianz für die Region endete jedoch nicht an diesem Punkt, sondern Thomas Kausch stand dem ehemaligen Geschäftsführer und seinem Team auch weiterhin als Sparringspartner zur Seite. „Ich bin sehr dankbar für sein Mentoring und sein hilfreiches Netzwerk, das uns an die Hand genommen hat“, so Brennecke über den Nachfolge-Berater. Gesprächstermine erfolgten in individuellen Abständen, die Umsetzung der Übernahme durch die Mitarbeitenden überwiegend in Eigenregie und unter Einbindung externer Dienstleister. Nachdem der Übergabeprozess durch die Coronapandemie ins Stocken geraten war und fast alle der Agentur zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Krisenbewältigung genutzt wurden, konnte die Formung der neuen Geschäftsführung im Jahr 2022 konkreter werden. „Zu Beginn haben die an der Geschäftsführung interessierten Mitarbeitenden bei der Why Guys GmbH ein Seminar zur Leitbildentwicklung besucht. Mir war wichtig, dass dieser Prozess komplett ohne die damalige Geschäftsführung ablief. Alle Ideen sollten von den Mitarbeitenden kommen“, berichtet Brennecke. Und Spychalski führt fort: „Wir haben innerhalb eines ‚Golden Circle‘ geschaut, wie eine gemeinsame Vision aussehen kann. Am Ende sind von anfangs zehn Interessierten sieben Mitarbeitende übriggeblieben.“ In dem Workshop erarbeiteten die neuen potenziellen Gesellschafterinnen und Gesellschafter außerdem, wer von ihnen sich die Position der Geschäftsführung vorstellen konnte. Spychalski habe sich im Vorfeld schon Gedanken dazu gemacht, es sich anfangs jedoch nicht alleine zugetraut. „In dem ganzen Prozess habe ich dann aber gemerkt, dass sich meine sechs Mitstreiterinnen und Mitstreiter quasi zu einer Person formatieren. Letztendlich trage ich nur den ‚Titel‘, wir sind aber ein großes Team mit unterschiedlichen Kompetenzen. Das funktioniert sehr gut, wir ergänzen uns hervorragend.“ Die neue Geschäftsführerin räumt dennoch ein, dass der gesamte Prozess zu keinem Zeitpunkt sorgenlos vonstattenging. „Wir alle hatten Momente, in denen wir wieder abspringen wollten.“ Allerdings habe Brennecke ihnen bis zuletzt die Freiheit gelassen, auszusteigen. Das habe den Druck genommen. Und auch hier konnte die Allianz für die Region mit ihrem Beratungsangebot unterstützen. Thomas Kausch bereitete die Nachfolgenden auf Höhen und Tiefen vor, vermittelte an sein Netzwerk bei steuerrechtlichen oder gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen und organisierte ein Gründerseminar. „Damit haben wir uns vorher ‚Null’ beschäftigt“, stellt Spychalski berechtigt fest und führt fort: „Bis heute gehe ich nicht ganz angstfrei da durch, aber gleichzeitig denke ich, dass man mit seinen Aufgaben wächst.“
Übernahme durch Mitarbeitende mitdenken
Basierend auf ihrer heutigen Erfahrung spricht sich Spychalski ganz klar dafür aus, dass Mitarbeitende den Mut aufbringen sollten, über eine Unternehmensübernahme nachzudenken, wenn sie im Raum steht. Bei ihr hätte das auch nie im Lebensplan gestanden, gesteht sie lachend, aber, „so ein Angebot erhält man nur einmal im Leben.“ Letztlich wusste sie, worauf sie sich einließ und habe nicht „die Katze im Sack“ gekauft, da die ehemalige Geschäftsführung stets transparent gearbeitet habe. Brennecke ergänzt: „Wir haben immer mit offenen Karten gespielt, was die Zahlen und die wirtschaftliche Entwicklung anging. Die Mitarbeitenden wussten um die Prozesse und Entscheidungsfindungen.“ Vielleicht ist es das positive Miteinander bei TYPOGRAFIX, was zu dieser gelungen Unternehmensübergabe beigetragen hat und die Frage nach einem Patentrezept nahelegt. „Ich bin überzeugt, dass man mit einer wertschätzenden Arbeitsatmosphäre schneller an den Punkt kommt, wo wir jetzt sind. Aber ein Patentrezept habe ich deswegen noch lange nicht, dann würde ich es verkaufen“, entgegnet Brennecke schmunzelnd. „Ich kann nur an jede abgebende Geschäftsführung appellieren, die Übernahme durch die eigenen Mitarbeitenden mitzudenken“, so der Ruheständler weiter.
Ich appelliere an jede abgebende Geschäftsführung, die Übernahme durch die eigenen Mitarbeitenden mitzudenken.Reinhard Brennecke
Tatsächlich ist der Nachfolgeprozess in dem Fall von TYPOGRAFIX mit sieben übernehmenden Gesellschafterinnen und Gesellschaftern einmalig in der Region. „Dass sich sieben Mitarbeitende für die Übernahme interessiert haben, ist definitiv ein Statement für die eigene Firma! Ich finde das unglaublich mutig und es hat mein Herz schon sehr erwärmt, dass sie sich auf diese Weise für die Agentur engagieren. Dann kann es nicht ganz falsch gewesen sein, was wir über die letzten Jahre hier etabliert haben“, sagt Unternehmensgründer Brennecke. Für ihn sei dies die optimale Lösung und er freue sich, mit dem eigenen Nachfolgeprozess beispielgebend für andere Unternehmen sein zu können – insbesondere da nun die Baby-Boomer scharenweise in Rente gehen. „Wir werden sogar auf Netzwerkveranstaltungen auf unser Übernahmemodell angesprochen. Dabei scheint vor allem unsere hierarchiearme Unternehmenskultur für viele sehr spannend zu sein, da sie in den meisten Geschäftsführungen noch nicht gelebt wird. Viele Baby-Boomer sind offenbar noch der Meinung, dass nur ihnen Ebenbürtige in die Stellung der Geschäftsführung folgen können“, bringt Spychalski auf den Punkt, warum andere Nachfolgeprozesse weniger partizipativ ablaufen. Wichtig sei es vor allem, sich impulsgebende Unterstützung von außen zu suchen, damit man nicht in der eigenen Suppe schwimme, fügt Brennecke abschließend hinzu.
Ob der ausgeschiedene Geschäftsführer hin und wieder Bauchschmerzen habe, wenn er die Veränderungen in „seiner Agentur“ betrachte? „Nein! Ich habe ein unheimliches Grundvertrauen in die Nachfolgenden, weil jeder der Sieben schon immer Verantwortung getragen hat und diese nicht überraschend kam.“ Brennecke steht der neuen Geschäftsführung jederzeit beratend zur Seite, wenn dies erforderlich ist, möchte aber darüber hinaus den „Schatten des Alten“ von den Nachfolgenden fernhalten, um ihnen den nötigen Freiraum zu geben.
ar
3/2024