Wie Hey, Alter! Schülerinnen und Schülern mit erneuerten Laptops unter die Arme greift

Wer kennt es nicht? Der Arbeitsspeicher ist ständig überlastet, die veraltete Festplatte ist durch ihre langsame Schreibgeschwindigkeit praktisch gelähmt und der Lüfter erzeugt so viel Wärme wie die heimische Heizung. Schnell wird das Gerät ausrangiert und verschwindet so kurzerhand aus der eigenen Peripherie und beginnt damit ein verstaubtes Dasein zu fristen. Aber seien wir doch mal ehrlich: in Zeiten zunehmender ressourcenschonender Verhaltensweisen geht das wesentlich besser. Der Digitalverband BITKOM e. V. kam 2022 im Rahmen einer Berechnung auf Basis repräsentativer Umfragen zu dem Schluss, dass über 49 Millionen Laptops in deutschen Haushalten ungenutzt aufbewahrt werden – ein Rekordwert. Und genau hier setzt das gemeinnützige Projekt „Hey, Alter! Alte Rechner für junge Leute“ an: Auf der einen Seite ungenutztes Hardware-Potenzial, auf der anderen ein erheblicher Mangel bei der digitalen Ausstattung an Schulen. Seit nunmehr vier Jahren, also seit Beginn der Coronapandemie, unterstützt die Initiative der beiden Gründungspartner Martin Bretschneider und Moritz Tetzlaff bedürftige Kinder und Jugendliche aus Braunschweig und der Region mit runderneuerten und kostenlosen Endgeräten und hilft dabei, die Bildungschancen für alle gleichermaßen fair zu gestalten.

Aus einem Impuls heraus Großes bewegt

Die Erfolgsgeschichte begann vergleichsweise unaufgeregt. Im April 2020 rief Moritz Tetzlaff den ihm weitläufig bekannten Martin Bretschneider an, um nachzufragen, ob dessen Agentur Gingco Communication über ausgediente Laptops verfüge. Seine Frau habe ihm nämlich berichtet, dass einige ihrer Schülerinnen und Schüler zu Beginn des Homeschoolings während der ersten Phase der Pandemie ohne Computer nicht am Unterricht teilnehmen konnten. „Natürlich haben wir ausgediente Rechner, die wir nicht mehr brauchen. Hat jedes Unternehmen”, so Bretschneiders bündige Antwort. Und auf der anderen Seite besteht eben dieser große Bedarf. Nach kurzer Zeit fragten sich beide: „Warum ziehen wir dieses Ding eigentlich nicht größer auf?“ Das, was zuerst mit einem Dutzend Geräte begann, entwickelte sich rasch zu einem Großprojekt mit hunderten Notebooks. Die ersten großzügigen Spenden erfolgten nach einem Aufruf des damaligen AGV-Hauptgeschäftsführers Florian Bernschneider, der – begeistert von der Idee – seine Unterstützung zugesagt hatte. Binnen kürzester Zeit kamen so die ersten hundert Endgeräte zusammen. Die Aula des Hauses der Wissenschaft auf dem Gelände der Technischen Universität Braunschweig konnte aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen für akademische Einrichtungen als zwischenzeitliches Lager und Arbeitsraum genutzt werden. Bei hundert Laptops sollte es am Ende jedoch nicht bleiben – das für 2020 formulierte ehrgeizige Ziel von 1000 umgerüsteten Rechnern konnte noch vor Ablauf des Jahres erreicht werden.
Klar war von Beginn an, dass ein solches Projekt nicht ohne tatkräftige Unterstützung funktionieren würde. Moritz Tetzlaff, seinerzeit Zentralkoordinator im TRAFO Hub, heute Projektleiter im Bereich Open Innovation & Business Development bei der Innovationsgesellschaft Technische Universität Braunschweig mbH (iTUBS), nutzte seine engen Kontakte zur TU und machte Studierende auf die Initiative aufmerksam. Schnell bildete sich ein ehrenamtliches Team aus überwiegend jungen Menschen – mittlerweile sind auch einige Ruheständler mit dem erforderlichen Know-how an Bord. Mehrfach in der Woche arbeiten die Ehrenamtlerinnen und Ehrenamtler im Hey, Alter!-Hauptquartier im linken Torhaus am Wendentor an den gespendeten Laptops. „In der Corona­Zeit konnten wir eine gute Zusammenarbeit mit den weiterführenden Schulen in Braunschweig und der Region entwickeln. Die Schulen, die ja im Regelfall über keine IT-Abteilung verfügen, wären mit den an sie übetragenen Computern heillos überfordert gewesen. Deshalb haben wir auf Anraten des Landesamtes für Schule und Bildung in Braunschweig die Rechner nicht an die Schulen, sondern direkt an die Schülerinnen und Schüler verschenkt”, so der gebürtige Berliner. Auf Empfehlung des Landesamtes hatten die Schulen allerdings effektiv bei der Sozialauswahl unterstützt. Über die jeweiligen Klassenlehrerinnen und Klassenlehrer wurde die Anzahl der erforderlichen Exemplare ermittelt, vom Rektor gesammelt und an Hey, Alter! kommuniziert. „Die haben wir dann auf dem Schulhof oder in der Aula zur Abholung bereitgestellt. Alles ganz easy und unbürokratisch.”
[…] Wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, dass die digitale Bildung in alle Bevölkerungsschichten durchdringt und die Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Miteinander allen schrankenlos ermöglicht wird.

Martin Bretschneider

Die Geräte werden auf den aktuellen Stand der Technik gebracht

Im ersten Schritt werden alle eingesammelten Notebooks gesichtet, gereinigt und im Anschluss technisch analysiert. Diese werden dann im zweiten Schritt mit einer modernen SSD-Festplatte bestückt und mit dem Betriebssystem Ubuntu Linux ausgestattet. Vorher stellt ein bootfähiger USB-Stick das System automatisch wieder her und setzt dieses auf die Werkseinstellungen zurück. Gegebenenfalls werden eine Kamera sowie ein Mikro als externe Hardware mit herausgegeben. So fallen pro Reparatur Kosten in Höhe zwischen 20 und 25 Euro an, die durch Geldspenden und dem Mitwirken von Stiftungen – hier seien insbesondere die Ferry-Porsche­Stiftung und die Jochen Staake Stiftung zu nennen – aufgefangen werden. 80 Prozent aller Sachspenden entfallen auf Unternehmen, während 20 Prozent privat übergeben werden.
„Wir pflegen im Torhaus einen basisdemokratischen Umgang miteinander. Wichtige Entscheidungen werden grundsätzlich gemeinsam getroffen“, betont Martin Bretschneider, bereits im dritten Jahr als 1. Vorsitzender des Hey, Alter! e. V. aktiv, und fügt hinzu: „In den letzten dreieinhalb Jahren konnten wir in Braunschweig über 3000 Rechner auf Vordermann bringen und an Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen verteilen. Wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, dass die digitale Bildung in alle Bevölkerungsschichten durchdringt und die Teilhabe am gesamtgesellschaftlichen Miteinander allen schrankenlos ermöglicht wird.“

Social Franchising und das eigene bundesweite Netz

Idee und Konzept von Hey, Alter! haben sich seit der Gründung im Frühling 2020 bundesweit erfolgreich herumgesprochen; mittlerweile gibt es insgesamt 34 Ableger in allen Teilen des Landes. Ermöglicht wird dies durch das so genannte Social Franchising – ein Modell, das die Prinzipien des Franchising auf gemeinnützige oder sozia­le Zwecke überträgt. Ähnlich wie bei kommerziellen Franchiseunternehmen geben soziale Franchisegeber ein bewährtes Konzept vor, das ein soziales Problem adressiert. Dieses wird dann an andere Gruppen oder Individuen lizenziert, die als Franchisenehmer fungieren. Diese übernehmen das erprobte Modell und passen es an die lokalen Bedürfnisse und Gegebenheiten an, um ähnliche soziale Auswirkungen zu erzielen. „Potenzielle Ableger können das ganze Know-how, unsere Marke und das Corporate Design verwenden, sie müssen dafür lediglich eine rechtlich bindende Gemeinnützigkeitserklärung unterzeichnen“, so Bretschneider.
Deutschlandweit wurden bis heute etwa 20 000 Geräte ausgeliefert – Tendenz steigend. Ein noch großflächigeres Aufziehen des Projekts ist mit Blick auf das andauernde Bildungsdefizit im digitalen Bereich denkbar. Eine Professionalisierung der Initiative sei beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann-Stiftung oder auch der Volksbank BRAWO Stiftung denkbar. „Mit der Existenz von Hey, Alter! legen wir den Finger in eine offene Wunde. Denn es bräuchte derartige Aktionen überhaupt nicht, wenn in Deutschland endlich etwas dafür getan werden würde, dass Schülerinnen und Schüler – die zukünftige Arbeitnehmergeneration – einen barrierefreien Zugang zu digitalen Medien erhalten. Unsere Wirtschaft hängt nämlich maßgeblich davon ab, wie gut junge Menschen auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet werden. Ganz einfach.”
jk
2/2024