Mit Sachverstand in die Zukunft

Für ausgewiesene Experten bietet sich jetzt die Chance, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zu werden. Aufgrund des demografischen Wandels ist die Nachfrage am Markt so groß wie nie. Die neue fachliche Herausforderung eröffnet spannende Perspektiven und garantiert Flexibilität und Abwechslung im Berufsalltag.
„Objektivität, Sorgfalt und Unabhängigkeit sind die Grundwerte für den Erfolg unserer Arbeit“, steht auf der Homepage der Immobilienbüros, die Ines Roos zusammen mit ihrem Mann in Osnabrück und Bielefeld betreibt. Seit fünf Jahren ist die 58-Jährige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für bebaute und unbebaute Grundstücke. Die Werte waren für die ausgebildete Fachwirtin für Grundstücks- und Wohnungswirtschaft schon immer die Leitplanken ihrer Arbeit. Seit ihrer öffentlichen Bestellung und Vereidigung durch die IHK Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim sind sie aber nicht nur ein Versprechen, sondern eine Qualitätsgarantie für ihre Auftraggeber.
Das Sachverständigenwesen in Deutschland hat eine lange Tradition. Schon im 19. Jahrhundert sorgten private Dampfkesselüberwachungsvereine für die Sicher­heit und Zuverlässigkeit der Anlagen. Die Gründung des Deutschen Reichs 1871 war dann die Geburtsstunde für die öffentliche Bestellung von Sachverständigen durch unabhängige Experten. „Seit den 1960er-Jahren hat die Anzahl an Prozessen zugenommen und Sachverständige vor Gericht wurden verstärkt gebraucht“, fasst Bernhard Floter, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts für Sachverständigenwesen (IfS), zusammen. Ein Schwerpunkt des Vereins, der vor 50 Jahren gegründet wurde, ist, Sachverständige auf den Gerichtsalltag vorzubereiten. Etwa 180 Institutionen aus allen Bereichen des Sachverständigenwesens sind Mitglied im Verein, darunter auch alle Industrie- und Handelskammern.

Qualitätsmerkmal Sachverständigenwesen

Die IHKs führen die öffentliche Bestellung und Vereidigung der Sachverständigen nach einheitlichen Standards durch. „Bestimmte gesetzliche Voraussetzungen müssen vorliegen, starre Regeln gibt es bei der Begutachtung der besonderen Sachkunde als einer wichtigen Voraussetzung allerdings nicht“, betont Axel Rickert, Referatsleiter Sachverständigenwesen bei der DIHK. Besondere Sachkunde könne auf unterschiedlichen Wegen belegt werden, so der Jurist. Auch bei der Dauer der praktischen Erfahrung gebe es einen gewissen Spielraum. „Der Titel ist ein Qualitäts­siegel, um hochqualifizierte Experten zu erkennen“, fasst Bernhard Floter vom IfS zusammen.
Wer als Sachverständiger öffentlich bestellt und vereidigt ist, kann in diesem Sachgebiet umfassend – bei Gericht und außergerichtlich – tätig werden. In einzelnen Bereichen sind öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gefragte Experten für Prüfaufgaben. „Wenn es etwa um die Einhaltung des Bundesemissionsschutzgesetzes geht oder darum, ob Betriebe Altfahrzeuge umweltgerecht entsorgen, prüfen nicht staatliche Behörden, sondern private Sachverständige“, erläutert Floter. Eine öffentliche Bestellung und Vereidigung sind vielfach Voraussetzung für diese Tätigkeit.

Gutachter beschleunigen Gerichtsverfahren

Ein weiteres Einsatzgebiet, das immer stärker an Bedeutung gewinnt, ist die außergerichtliche Streitbeilegung. Hier kommen Sachverständige, die öffentlich bestellt und vereidigt sind, als neutrale Experten, Mediatoren oder Schiedsgutachter zum Einsatz. „Im gerichtlichen Bereich ist es wichtig, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Prozessen bestimmt werden, damit die Gerichte effizient arbeiten können“, betont Diplom-­Betriebswirt Bernhard Floter. Dann muss das Gericht die Qualifikation nicht selbst prüfen und spart Zeit. „Auch nachvollziehbare und neutrale Gutachten sichern eine gewisse Geschwindigkeit der Prozesse.“
Laut Recherchen des IfS werden in Deutschland pro Jahr 800 000 bis 900 000 Sachverständigenleistungen für Gerichte erstellt, darunter Gutachten und Stellungnahmen. „Die Hälfte davon sind Gutachten von Ärzten und Psychiatern; die andere Hälfte Gutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der IHKs, Handwerkskammern und anderer Berufskammern“, so Bernhard Floter. Im Verzeichnis der IHKs sind aktuell etwa 7800, bei den Handwerkskammern 6000 öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gelistet. „Das sind zehn bis zwölf Prozent weniger als vor fünf Jahren“, so der IfS-Experte. „Bis Baugutachten und Gutachten zu Unfallrekonstruktionen vorliegen, dauert es aktuell schon einmal bis zu einem Jahr. Das ist unbefriedigend! Überlange Prozesse sind eine Gefahr für die Justiz und auch für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Objektivität, Sorgfalt und Unabhängigkeit sind die Grundwerte für den Erfolg unserer Arbeit.

Ines Roos

Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel treffen auch das Sachverständigenwesen. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Sachverständigen bei 60 Jahren. In den nächsten Jahren gehen viele Baby-Boomer in Rente. Junge Experten aus allen Fachbereichen sollten also jetzt die Chance nutzen und eine Karriere oder ein zweites Standbein als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Erwägung ziehen.
Immobiliengutachterin Ines Roos hat den Karriereschritt nie bereut. Als „Diplom-­Sachverständige (DIA) für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, für Mieten und Pachten sowie Beleihungswertermittlung“ hatte sie schon viele Gutachten erstellt. Mit der öffentlichen Bestellung und Vereidigung kamen mehr und interessantere Aufträge dazu. „Der Kreis meiner Auftraggeber hat sich vergrößert“, fasst Ines Roos zusammen. Alle schätzen ihre Expertise und Neutralität.

Gute Sachverständige werden häufig weiterempfohlen

„Mit der Verantwortung, der verlängerte Arm des Gerichts zu sein, geht gleichzeitig eine große Wertschätzung für meine Arbeit einher“, beschreibt die 58-Jährige. Ist ein Richter zufrieden mit ihrer Arbeit, empfiehlt er sie oft weiter. Das gewissenhafte Arbeiten und gründliche Recherchieren liegt der Niedersächsin. Ihre Gutachten sind im Schnitt 40 bis 60 Seiten lang. „Ich muss alles begründen können, immer auf dem neuesten Stand sein“, so Roos. Regelmäßige Fortbildungen sind Pflicht – und willkommene Gelegenheit, sich mit anderen Experten auszutauschen. Denn selbst die Besten der Besten profitieren von einem starken Netzwerk, weiß Roos, die auch Regionalleiterin im Verband deutscher Unternehmerinnen ist.
Neben der Wertschätzung, der Abwechslung und fachlichen Herausforderung begeistern Immobilienexpertin Roos noch zwei weitere Aspekte an ihrer Tätigkeit: „Ich kann meine Arbeitszeit frei einteilen und bin sehr flexibel. Außerdem generiere ich durch die zusätzliche Qualifikation ein adäquates Einkommen. Das schafft eine finanzielle Unabhängigkeit bis ins hohe Alter.“ Sachverstand zahlt sich also in vielerlei Hinsicht aus.
Anne Besser, Redaktionsbüro „Die Freischreiberin“
2/2024