Energiepreise und Versorgungssicherheit: Alles gut jetzt?

Seit dem Höhepunkt im Spätsommer 2022 sind die Preise für Strom und Gas an den Handelsplätzen stark gesunken. Die Bundesregierung vertritt daher die Auffassung, dass bei diesem Thema alles wieder in Butter sei. Die Endkundenpreise – also Beschaffungskosten inklusive Steuern, Umlagen und Netzentgelten – seien auf dem Stand von vor 2020, und die Unternehmen würden dieses Preisniveau kennen. Vor Kurzem hat zudem der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz Robert Habeck die Energie(preis)krise öffentlich für beendet erklärt. Nicht zuletzt, weil durch die Errichtung der neuen Terminals für Flüssigerdgas (LNG) auch die Versorgung gesichert sei. Doch stimmt dieses Bild?
Mit Blick auf die Erdgasversorgung ist die Analyse aus heutiger Sicht durchaus richtig. Bei der Genehmigung und dem Bau der LNG-Terminals haben Politik, Behörden und Betriebe gezeigt, welche „Deutschland-Geschwindigkeit“ möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen. Vor allem auch durch diese Kapazitäten kann das russische Gas ersetzt werden. Jenseits möglicher terroristischer Angriffe auf die Gasinfrastruktur ist die Versorgung auch wegen der vielen Erdgasspeicher in Deutschland gesichert.
Beim Blick auf die Preise sieht das Bild allerdings anders aus: Die Gaspreise liegen nach wie vor auf dem doppelten Niveau (30 statt 15 Euro/MWh) im Vergleich zu den Jahren vor 2020. Der Hintergrund ist, dass amerikanisches LNG-Gas aufgrund der Prozessschritte (unter anderem Verflüssigung) mehr kostet als Pipelinegas aus Russland. Daher ist ein Rückgang auf das alte Preisniveau auch nicht zu erwarten. Da Gas neben dem Heizen von Gebäuden vor allem zur Erzeugung von Prozess­wärme in der Industrie eingesetzt wird, schlagen hier die steigenden CO2-Kosten aus dem europäischen und nationalen Emissionshandel ebenfalls zu Buche und werden die betriebliche Versorgung mit Erdgas in den kommenden Jahren verteuern.
Das hat auch Folgen für den Strommarkt, da in der Regel Gaskraftwerke den Preis setzen. Vor allem auch deshalb liegt der Strompreis an der Börse ebenfalls ungefähr beim Doppelten des Niveaus vor den Krisen (100 statt 50 Euro/MWh). Und auch hier dürfte sich trotz des notwendigen Ausbaus erneuerbarer Energien bis 2030 wenig ändern. Im Strombereich kommt noch hinzu, dass bis 2045 Investi­tionen in die Netzinfrastruktur von mindestens 450 Milliarden Euro notwendig werden. Diese werden sich nach und nach in den Netzentgelten niederschlagen und damit die Stromkosten für die Betriebe signifikant erhöhen. Die DIHK rechnet allein bis 2030 mit einem Anstieg der Netzentgelte um bis zu 30 Prozent.
Unternehmen sollten daher versuchen, ihre Energieversorgung so weit wie möglich in die eigenen Hände zu nehmen, um dadurch preislichen und regulatorischen Risiken zu entgehen.

Dr. Sebastian Bolay

Nun wäre das weniger besorgniserregend, wenn in anderen Ländern ähnliche Kosten aufgerufen würden. Dem ist aber nicht so: In den USA liegen die Gaskosten regional unter 10 Euro/MWh, woran sich wegen fehlender CO2-Bepreisung und billiger heimischer Quellen mittel- bis langfristig nichts ändern dürfte. Frankreich beispielsweise subventioniert seine Industrie beim Strom auf einen Preis von 45 Euro/MWh. Deutsche Industriebetriebe liegen aktuell beim 1,5- bis 4-Fachen. Aller­dings endet die französische Regelung 2025, Gespräche mit der EU über eine Verlängerung laufen.
Auf betrieblicher Ebene bleibt die Möglichkeit, durch den Dreiklang aus Energieeffizienz, eigener Stromerzeugung auf und abseits des Betriebsgeländes sowie grünen Direktstromverträgen (sogenannten PPAs) den Strompreisen ein Schnippchen zu schlagen und grün(er) zu werden. Zum Thema PPAs bietet die Marktoffensive Erneuerbare Energien, an der auch die DIHK beteiligt ist, umfangreiche Hilfestellung auf ihrer Homepage. Strom wird aber bei Weitem nicht alle fossilen Brennstoffe ersetzen können, die heute in der Wirtschaft zum Einsatz kommen. EU und Bundesregierung setzen daher, wenn auch in Deutschland immer noch zögerlich, auf Wasserstoff und die Abscheidung und Speicherung beziehungsweise Nutzung von CO2 (Carbon Capture and Storage, „CCS“, und Carbon Capture Utilization, „CCU“). So soll ein Wasserstoffkernnetz bis Anfang der 2030er-Jahre entstehen und darauf basierend ein entsprechendes Verteilnetz. Welche Kosten (Beschaffung und Netzentgelte) auf die Betriebe zukommen, ist aber noch unklar. Genauso, ob dann der Wasserstoff auch „grün“ ist. Bei CCS steht Deutschland regulatorisch ganz am Anfang, während Länder wie Norwegen und Dänemark vorangehen. Derzeit ist die Nutzung von CCS hierzulande faktisch noch verboten. Das soll sich in diesem Jahr aber noch ändern. Geplant ist die Einspeicherung unter der Nordsee und auch der Export von CO2 soll erlaubt werden. Für wen CCS eine Option sein könnte, lässt sich daher heute kaum vorhersagen.
Alle drei potenziellen Optionen für die betriebliche Klimaneutralität – Strom, Wasserstoff und CCS – sind also mit erheblichen Unsicherheiten und in jedem Fall mit beträchtlichen Investitionskosten verbunden. Unternehmen sollten daher versuchen, ihre Energieversorgung so weit wie möglich in die eigenen Hände zu nehmen, um dadurch preislichen und regulatorischen Risiken zu entgehen. Die Hoffnung, dass Deutschland 2045 klimaneutral ist und eine sichere Versorgung zu wettbewerbsfähigen Kosten hat, dürfte sich bei den Kosten eher nicht erfüllen. Schließlich sind die Voraussetzungen in anderen Teilen der Welt für erneuerbare Energien günstiger als hierzulande.
Autor:
Dr. Sebastian Bolay, Bereichsleiter Energie, Umwelt, Industrie bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer
5/2024