Bauen der Zukunft - Ohne Beton?
Selbstverständlich gilt auch für die Bauindustrie vieles, was für die Industrie insgesamt gilt. Dennoch nimmt sie im Rahmen der grünen Transformation eine besondere Rolle ein. Einerseits ist sie mit der Sanierung des Gebäudebestandes sowie dem Bau der für die Verkehrswende (Schienen- und Wasserwege) und Energiewende (Hochspannungstrassen) notwendigen Infrastruktur wesentlicher „Ermöglicher“ der Transformation, andererseits gehört der wichtigste Baustoff, Beton, bzw. der dafür notwendige Zement, zu einem der weltweit größten Emittenten von Treibhausgasen.
- CO2-Bepreisung: Zement könnte deutlich teurer werden
- Dekarbonisierung der Zementindustrie: Substitution ist gefragt
- Beton: Optimale Rezeptur und effizienter Einsatz
- Zukunft des Bauens: Sanierung statt Neubau
- Kreislaufwirtschaft: Hochwertiger Einsatz von Sekundärbaustoffen
- Dekarbonisierung der Bauwirtschaft: Nicht nur bei Baustoffen
- Sustainable Finance: Kriterien für nachhaltiges Bauen
CO2-Bepreisung: Zement könnte deutlich teurer werden
In Summe belaufen sich die jährlichen CO2-Emissionen der deutschen Zementwerke auf gut 20 Mio. Tonnen, was mehr als 2 % der gesamten nationalen Emissionen entspricht. Weltweit verursacht die Zementherstellung etwa 8 % der Treibhausgasemissionen – und damit z. B. mehr als der globale Flugverkehr. Folgerichtig unterliegt die Zementindustrie, genauer gesagt die CO2-intensive Herstellung von Zementklinkern, dem europäischen Emissionshandel, EU-ETS.
In Deutschland sind 34 Anlagen zur Herstellung von Zementklinkern und eine Anlage zur Herstellung von Produkten aus gebranntem Ölschiefer vom EU-ETS erfasst. Diese decken die gesamte deutsche Zementklinkerproduktion ab, da der Schwellenwert im Anwendungsbereich des EU-ETS von 500 t pro Tag von allen Anlagen überschritten wird. Die kostenlose Zuteilung lag 2021 bei gut 17,3 Mio. Emissionsberechtigungen, was einem Ausstattungsgrad von 84,4 % entspricht (DEHSt – Emissionsbericht 2021). Auf die zukünftige Entwicklung der CO2-Kosten wird sich daher nicht nur die Verknappung der Zertifikate, sondern v. a. das vorgesehene Auslaufen kostenfreier Zuteilungen auswirken, denn die Zementindustrie gehört zu den ersten Sektoren, die in das neue Grenzausgleichssystem, CBAM, einbezogen werden sollen. In diesem Falle würden europäische Unternehmen nicht mehr durch die Zuteilung kostenloser Zertifikate vor internationaler Konkurrenz geschützt, sondern aus Drittstaaten ohne vergleichbare CO2-Bepreisung importierte Zemente würden dann mit einer Grenzausgleichsabgabe, orientiert an dem Preis der ETS-Emissionsrechte, belegt. Insgesamt hätte dies wahrscheinlich ein deutlich höheres Preisniveau für Zement zur Folge.
Eine Entlastung von CO2-kostenintensiven Exporten ist unter CBAM bisher nicht vorgesehen. Was in anderen Industriezweigen zu deutlichen Verwerfungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit führen könnte, dürfte für die deutsche Zementindustrie keine größeren Folgen haben. Zwar werden 20% des in Deutschland hergestellten Zements exportiert, allerdings weit überwiegend in andere EU-Länder, in denen aus klimapolitischer Perspektive gleiche Wettbewerbsbedingungen gelten.
Dekarbonisierung der Zementindustrie: Substitution ist gefragt
Die Herstellung von Zement erfolgt in zwei Schritten:
- Brennen des Rohmaterials (überwiegend) Kalkstein zu Zementklinker
- Vermahlen des Zementklinkers mit Zumahlstoffen zu Zement.
Die Emissionen entstehen dabei im Wesentlichen bei der Herstellung des Zementklinkers. Durch Nutzung von Abwärme, Brennstoffwechsel und den Einsatz energieeffizienterer Anlagenkomponenten wurde und wird die Emissionsintensität bereits gesenkt. Allerdings verursacht die Verbrennung der Brennstoffe nur etwa ein Drittel der Emissionen bei der Herstellung von Zement. Der weitaus größere Teil entfällt auf die rohstoffbedingte Freisetzung von CO2 bei der Kalzinierung von Kalkstein (CaCO3 → CaO + CO2). Diese Emissionen können im Wesentlichen auf zwei Wegen reduziert werden:
- durch Materialsubstitution oder
- Technologien zur Abscheidung und anschließenden Nutzung oder Speicherung des CO2 (CCU/CCS).
Hinsichtlich der Materialsubstitution gibt es drei Ansatzpunkte: zum einen die Verringerung des Klinkeranteils im Zement, zum anderen die Verringerung des Zementanteils im Beton oder den gänzlichen Ersatz von Beton durch alternative Baustoffe (s. u.).
Zur Verringerung des Klinkeranteils werden bei der Vermahlung des Klinkers zu Zement verschiedene (Sekundär)Rohstoffe beigemischt, welche über ähnliche chemisch-physikalische Eigenschaften verfügen. Dazu werden heute vor allem Hüttensand oder Steinkohlenflugasche verwendet. Das Potential ist allerdings begrenzt, weil zum einen ein gewisser Klinkeranteil notwendig ist, um die Material- und Verarbeitungseigenschaften zu erhalten, zum anderen werden diese alternativen Rohstoffe durch Verfahrensumstellungen in der Stahlindustrie und den Kohleausstieg zukünftig nur noch sehr begrenzt oder gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Neueren Ansätzen wie CEM II/C-Zemente, denen neben Hüttensand nicht gebrannter Kalkstein zugefügt wird, kommt daher eine zunehmende Bedeutung zu. Das technische Potenzial möglicher Substitute für Klinker ist Gegenstand zahlreicher aktueller Forschungsarbeiten genauso wie alternative Bindemittelkonzepte, die deutlich geringere spezifische CO2-Emissionen verursachen, wie z. B. CSA-Zemente oder die Carbonatisierung von Calcium-Silicat(hydraten). Perspektivisch könnte auch die Re-carbonatisierung des Zementsteins aus Altbeton als Hauptbestandteil von Zement genutzt werden. Diese Technologie steht jedoch noch am Anfang der Entwicklung.
Die Abscheidung von CO2 und dessen anschließende Nutzung (Carbon Capture and Utilization) bzw. dauerhafte Speicherung (Carbon Capture and Storage) sind Verfahren, mit Hilfe derer der Ausstoß von schwer vermeidbaren Prozessemissionen in Zukunft reduziert werden könnte – nicht nur in der Zementindustrie. Entsprechende Technologien werden in der Zementindustrie schon großflächig erprobt. Allerdings ist die Speicherung von CO2 insbesondere in Deutschland nicht unumstritten.
Beton: Optimale Rezeptur und effizienter Einsatz
Neben dem Einsatz klimaeffizienter Zemente (s. o.) können optimierte Betonrezepturen zur CO2-Minderung beitragen. Im Labor konnte bereits ausreichend leistungsfähiger Beton mit sehr geringen Zementanteilen hergestellt werden. Inwieweit sich diese Eigenschaften im großen Maßstab unter „Realbedingungen“ erreichen lassen, ist noch Gegenstand der Forschung.
Unabhängig von der CO2-Belastung des verwendeten Betons führt jede Einsparung der eingesetzten Menge zur Minderung von Emissionen. Bei der Planung von Bauteilen wird bei ähnlicher technischer Leistungsfähigkeit zukünftig der Ressourceneinsatz bzw. die CO2-Intensität ein wichtiges Entscheidungskriterium sein. Auch hierzu gibt es moderne Ansätze wie Carbonbeton, bei dem die Bewehrung aus Carbonfasern anstelle von Stahl besteht, oder Gradientenbeton mit variabler Betonzusammensetzung über den Querschnitt eines Bauteils.
Gerade im Hochbau könnte Beton auch partiell durch Holz ersetzt werden. Einer massiven Steigerung der Holzbauquote steht allerdings die begrenzte Verfügbarkeit der dafür benötigten Hölzer gegenüber.
Zukunft des Bauens: Sanierung statt Neubau
Mit dem Green Deal hat die EU eine große „Renovierungswelle“ ausgerufen. 15 % der als energetisch am sanierungsbedürftigsten geltenden Gebäude sollen in den kommenden Jahren saniert werden. Bei Nicht-Wohngebäuden soll diese Quote bis 2027 erreicht werden, bei Wohngebäuden erst 2030. Die öffentliche Hand soll mit gutem Beispiel voran gehen und jährlich mindestens 3 % der Gesamtfläche aller öffentlichen Gebäude renovieren.
Aber auch darüber hinaus, wird dem Bauen im Bestand ein größeres Gewicht zukommen. Moore, Wälder und andere Naturflächen speichern als Senken CO2 aus der Atmosphäre. Daher sieht der Green Deal Maßnahmen zum Schutz von Gewässern, Wäldern und Ökosystemen vor, um natürliche CO2-Senken zu stärken oder wiederherzustellen. Dafür sollen Schutzgebiete ausgeweitet und weniger Flächen versiegelt werden. Grundsätzlich strebt die EU bis 2050 den „Netto-Null-Flächenverbrauch“ an. Neues Bauland könnte daher zur Mangelware werden. Die Instandsetzung, Modernisierung, Änderung und Verdichtung bestehender baulicher Anlagen werden entsprechend an Bedeutung gewinnen.
Darüber hinaus wird auch bei Gebäuden zukünftig die Betrachtung des gesamten Lebenszyklus stärker in den Fokus rücken, so dass bei der Entscheidung Sanierung oder Abriss und Neubau nicht mehr nur wirtschaftliche, sondern auch ökologische Faktoren zu berücksichtigen sind.
Kreislaufwirtschaft: Hochwertiger Einsatz von Sekundärbaustoffen
Die Hälfte der in der EU gewonnenen Rohstoffe geht in den Bausektor, der gleichzeitig über 35 % des gesamten Abfallaufkommens verursacht. Allein in Deutschland fallen jährlich rd. 200 Mio. t mineralische Bauabfälle an. Zwar wird ein großer Teil wiederverwertet, aber bislang werden Sekundärbaustoffe überwiegend im Rahmen eines Downcyclings eingesetzt, bspw. als Straßenuntergrund, Tragschicht unter Gebäuden oder zur Verfüllung von Baugruben. Nur ein Bruchteil wird wieder hochwertig als Betonzuschlagsstoff oder in Frost- und Tragschichten im Straßenbau eingesetzt. Auch im Bereich des Kunststoffrecyclings besteht noch ein erhebliches Potential. Der Baubereich ist nach Verpackungen das zweitgrößte Anwendungsgebiet von Kunststoffen, z. B. für Rohre, Fensterprofile und Dämmmaterialien. Zurzeit werden für Bauprodukte bereits zu ca. 23 % Rezyklate eingesetzt. Die mangelnde Getrennterfassung von Bau- und Abbruchabfällen, fehlende Vorgaben in bautechnischen Produktstandards und eine immer noch mangelnde Akzeptanz von Recyclingbaustoffen stehen höheren Quoten entgegen.
Im ersten Schritt hat die EU-Kommission daher eine Überarbeitung der EU-Bauprodukteverordnung vorgeschlagen, mit der die Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien für Bauprodukte deutlich ausgeweitet werden soll, dazu gehören u. a. ein Vorrang für rezyklierbare Materialien, Mindestrezyklatanteile sowie die Bereitstellung von Umweltinformationen, Gebrauchs- und Reparaturanleitungen in Produktdatenbanken.
Kreislaufwirtschaft im Bausektor bedeutet jedoch weit mehr als Material-Recycling und setzt in allen Phasen vom Entwurf über den Bau bis zur Nutzung und den Rückbau an. Dies gilt z. B. für die Auswahl von (nachhaltigen) Baustoffen, die Energieeffizienz im Gebäudebetrieb, die Verlängerung der Nutzungsdauer durch Wartung und flexible Nutzungsmöglichkeiten sowie das „Design-for-Recycling“, also die Verwendung von Mono- bzw. gut trennbaren Materialien, die Vermeidung von Schadstoffen und die Berücksichtigung einfacher Rückbaumöglichkeiten.
Bauen in der Kreislaufwirtschaft bedarf also sowohl neuer Designkonzepte als auch den Einsatz innovativer Bauprodukte. Die Identifizierung und Quantifizierung von Rohstoffen in Gebäuden und Infrastruktur sowie die Prognose und Steuerung von Stoffströmen aus dem Rückbau baulicher Anlagen erfordern digitale Lösungen. Hier geht die grüne mit der digitalen Transformation einher, was neue Geschäftsmodelle hervorbringen wird, in der „traditionellen“ Bauwirtschaft aber Anpassungsdruck erzeugt.
Dekarbonisierung der Bauwirtschaft: Nicht nur bei Baustoffen
Für die Bauwirtschaft sind selbstverständlich nicht nur die Emissionen aus Baustoffen oder der Nutzungsphase baulicher Anlagen relevant. Energieeffizienz im Bereich von Prozessen und selbstgenutzten Gebäuden sowie insbesondere emissionsarme Fahrzeuge und Baumaschinen gehören für die Bauwirtschaft ebenfalls zum Dekarbonisierungspfad. In dieser Hinsicht ist sie genauso betroffen wie die Industrie insgesamt oder die Verkehrswirtschaft.
Sustainable Finance: Kriterien für nachhaltiges Bauen
Auch im Bausektor sollen nicht nur öffentliche, sondern auch private Mittel in grüne Investitionen gelenkt werden. Deshalb sind bereits viele Bautätigkeiten in den Kriterienkatalog der EU-Taxonomie aufgenommen – dies gilt sowohl für Gebäude als auch die Infrastruktur. Mögliche Folgen für Finanzierungsmöglichkeiten und Belastungen aufgrund erweiterter Nachhaltigkeitsberichtspflichten werden daher auf die Bauwirtschaft mit als erste zukommen.