DIHK-Umfrage zu Binnenmarkthindernissen 2024
Seit 30 Jahren sollte der europäische Binnenmarkt vollendet sein – doch noch immer stoßen deutsche Unternehmen an Grenzen und auf bürokratische Hindernisse. Zum Teil wird die Situation sogar schlimmer. Das zeigt eine aktuelle Analyse der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Die Untersuchung basiert auf der Befragung der 79 Industrie- und Handelskammern (IHKs) in Deutschland sowie der deutschen Auslandshandelskammern (AHKs) in allen EU-Mitgliedstaaten. Mit eindeutigen Ergebnissen: Freier Warenverkehr und Handel sind demnach längst nicht Realität. An vielen Stellen müssen dringend Verbesserungen erfolgen.
"Bisweilen berichten uns deutsche Unternehmen sogar von unverhältnismäßigen und teilweise schikanösen bürokratischen Hürden", sagt DIHK-Präsident Peter Adrian. "Wenn wir es mit Europa ernst meinen, müssen wir die unnützen und unnötigen Regulierungen endlich auf ganzer Breite abschaffen. Bürokratieabbau ist deshalb auch auf europäischer Ebene eines der zentralen Themen."
Immerhin bietet Europa als größter Binnenmarkt der Welt ein beispielloses Potenzial für Unternehmen und Verbraucher. Zwei Drittel des gesamten EU-Warenhandels entfallen auf Mitgliedstaaten der Union. Insgesamt sind durch ihn mehr als 50 Millionen europäische Arbeitsplätze entstanden.
"Wir stehen uns selbst im Weg"
Der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital ist das Herzstück der europäischen Integration. "Aber wir stehen uns selbst im Weg. Ein Binnenmarkt muss zuerst intern funktionieren, um nach außen mit Kraft wirken zu können", so Adrian. Er müsse "deshalb vor allem als echter Markt erhalten bleiben", stellt der DIHK-Präsident klar. "Das kann aber nicht mehr funktionieren, wenn ihm immer mehr Regulierungen und sich teilweise widersprechende politische Vorgaben wirtschaftlich die Luft abschnüren."
Hauptproblem Arbeitnehmerentsendung
Ganz vorne bei den Problemen steht nach DIHK-Erkenntnissen die Arbeitnehmerentsendung. Ungeeignete Regulierung geht hier mit zusätzlichen nationalen Hürden Hand in Hand. Das beginnt bei den Unterschieden zwischen den Meldeportalen und reicht über unabgestimmte digitale Verfahren bis hin zu Schwierigkeiten bei der Mindestlohnabrechnung mit ausländischen Partnerbetrieben. Dabei ist es gerade für kleine und mittlere Unternehmen wichtig, ihre Beschäftigten bei der Erbringung von Dienstleistungen auch kurzfristig vor Ort im Ausland einsetzen zu können.
"Durch unterschiedliche und unnötig komplexe nationale Umsetzung von EU-Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten entstehen für Unternehmen hohe Kosten und rechtliche Unsicherheiten", erläutert DIHK-Chefjustiziar Stephan Wernicke. "Bei Fehlern drohen Sanktionen, teilweise geht es um Straftatbestände."
Die Flut von Regelungen sei "mittlerweile exorbitant": "Statt die Unternehmen in ihrer Praxis zu unterstützen und Freiräume für Ideen, Innovationen und Entwicklung zu lassen, müssen sie Hunderte Dokumentationen und Berichte ausfüllen."
Nationale Alleingänge bei Portalen und Vorschriften
Häufig sind Unternehmen in anderen EU-Ländern mit Verwaltungsportalen konfrontiert, die nicht auf Englisch, sondern nur in der Landessprache funktionieren – auch Deutschland ist hier kein Vorbild. Der E-Commerce leidet darunter, dass im Versandhandel je nach Land unterschiedliche Neuetikettierungen erforderlich werden.
Und die Schwierigkeiten setzen sich im Großen fort: Das europäische Sorgfaltspflichtengesetz gilt nicht etwa nur außerhalb der EU – die Gesetzgeber gehen also davon aus, dass der Binnenmarkt selbst nicht mehr als Ort rechtmäßigen Handelns angesehen werden kann. Parallel wachsen bei den Unternehmen die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit in einzelnen Mitgliedstaaten, während die EU gleichzeitig den Unternehmen den Investitionsschutz beschneidet.
Eine rechtliche Verwahrlosung des Binnenmarktes droht
Diese und andere Beispiele aus der Umfrage verdeutlichen laut Wernicke: "Gute Ziele rechtfertigen keine schlechte Regulierung. Es droht eine rechtliche Verwahrlosung des Binnenmarktes, wenn die garantierten Freiheiten des Marktes, auch in der digitalen Ökonomie, nicht mehr fraglos gesichert werden."
Teilweise überlegen Unternehmen, sich wegen der komplizierten Verfahren oder des eingeschränkten Rechtsschutzes ganz aus einzelnen EU-Ländern zurückzuziehen. "Das wäre das Gegenteil dessen, für was der EU-Binnenmarkt eigentlich steht. Das wird uns alle treffen", warnt der DIHK-Chefjustiziar. Denn Leidtragende sind neben den Unternehmen die Verbraucher. Die durch Bürokratie und Rechtsunsicherheiten entstehenden Kosten belasten am Ende auch sie.
Wernicke: "Die Politik ist gefragt und muss sich auf das Wesentliche konzentrieren: Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit und freier Wettbewerb im gemeinsamen Binnenmarkt sind zentrale Standortfaktoren, die zu sichern sind, bevor immer neue und kaum vereinbare politische Ziele gesetzt werden."
Die komplette Analyse finden Sie hier (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 2689 KB) zum Download.
Quelle: Pressemitteilung der DIHK
Stand: 15.04.2024