„Bochum ist für die Gesundheitswirtschaft der place to be“

Seit Bochum 2009 den Zuschlag für den Gesundheitscampus NRW bekommen hat, bewegt sich hier wahnsinnig viel. Besonders für die Digitalisierung der Branche haben Unternehmen viele gute Ideen entwickelt. So mischt Bochum bei der elektronischen Patientenakte und beim Digitalisieren von Röntgenaufnahmen mit oder nutzt einen KI-gestützten Ganzkörperscanner zur Hautkrebsvorsorge. All diese kleinen Beispiele können auch deshalb so gut wachsen und gedeihen, weil Bochum ein starkes Netzwerk hat, das Starthilfe gibt und berät. Ein Blick hinter die Kulissen.
Von Christina Kiesewetter und Katrin Ziegast
Es gab dieses eine Aha-Erlebnis, bei dem Johannes ­Peuling deutlich wurde, wie die Gesundheitsbranche im ­Ruhrgebiet mittlerweile bundesweit wahrgenommen wird. Er ­wurde als Leiter der Agentur GesundheitsCampus Bochum bei der ­Bochum Wirtschaftsentwicklung in einer ­nationalen Konferenz von Gesundheitsregionen vorgestellt. „Und dann wurde ich eingeführt mit der Bemerkung, dass der GesundheitsCampus Bochum das Vorzeigemodell in Deutschland ist.“ Gutes Gefühl. Und hart erarbeitet. Denn seit Bochum 2009 die Ausschreibung für den Gesundheitscampus NRW g­ewonnen hat, bewegt sich hier wahnsinnig viel. „Der Anteil der Beschäftigten in der Branche ist von 14 auf fast 21 Prozent ­gestiegen“, sagt Peuling.
Der Gesundheitscampus wurde dabei zum Magneten, der die Privatwirtschaft noch stärker anzieht. „Außerdem haben wir in unserer Region fast 100 Krankenhäuser, die in 45 Minuten erreichbar sind, wo gibt es das sonst? “, fragt Peuling. So hat sich hier ein Dreieck aus Wirtschaft, Wissenschaft und Versorgung etabliert, das gut vernetzt Ideen und Know-how teilt.
Das gesamte Areal des Gesundheitscampus in Bochum ist mit Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen und der Europäischen Union erschlossen worden. Es umfasst den ­Gesundheitscampus Nordrhein-Westfalen im Norden und den GesundheitsCampus Bochum im Süden. Im Norden haben sich beispielsweise das Landeszentrum Gesundheit, das Landeskrebsregister sowie die Hochschule für Gesundheit und das Proteinforschungszentrum PRODI angesiedelt. Im Süden haben sich ­Unternehmen aus der Gesundheitswirtschaft niedergelassen, darunter die gb ­Implantat-Technologie oder die VISUS Health IT GmbH.
Die 55.000 Quadratmeter im Süden sind voll ­vermarktet. „Aber einzelne Flächen sind immer mal wieder verfügbar“, sagt Johannes Peuling. Es lohnt sich, nachzufragen, denn „Bochum ist für die Gesundheitswirtschaft der place to be“. Weil Bochum hier noch viel mehr Potenzial sieht, soll ein weiteres Areal für die Gesundheitswirtschaft auf der 90.000 Quadratmeter großen Fläche des ehemaligen Heizkraftwerks an der Prinz-Regent-Straße ­entstehen. Die Branche wächst weiter.
Nachfragen – das ist auch ein Plus in Bochum. Denn mit der Agentur GesundheitsCampus Bochum und dem Netzwerk MedEcon Ruhr (siehe Kasten) gibt es zwei zentrale Adressen, die Firmen schnell weiterhelfen und sie auf die richtige Spur bringen.
MedEcon Ruhr
Das Netzwerk MedEcon Ruhr MedEcon Ruhr ist das Netzwerk der Gesundheitswirtschaft in Deutschlands größtem Ballungsraum, der Gesundheitsmetropole Ruhr. Rund 170 Unternehmen und Einrichtungen aus Klinikwirtschaft, Gesundheitsversorgung und -forschung sowie den zuliefernden Branchen sind über ihre Mitgliedschaft im MedEcon Ruhr e. V. verbunden. Die MedEcon Ruhr GmbH hat ­ihren Sitz auf dem ­GesundheitsCampus in Bochum und beschäftigt dort rund 20 Mitarbeiter:innen. Sie ­betreut regionale Netzwerke und Verbünde, entwickelt und ­koordiniert Projekte, unterstützt und organisiert Veranstaltungen und sorgt mit ihren Medien für Transparenz und ­Information. Noch mehr Infos zum Netzwerk gibt es in unserer Podcast-Folge „Gesunde Innovationen made im Ruhrgebiet“ mit MedEcon-­Geschäftsführer Leif Grundmann.
Meerkat Holding GmbH als Ökosystem für Start-ups
Nein, stopp: Start-ups in der Branche sollten noch jemand anderen kennenlernen: Jörg Holstein. Er ist Mitgründer von VISUS Health IT GmbH, ein Spin-off der Uni Witten/­Herdecke. Der Hauptinvestor war damals Dietrich Grönemeyer mit dem Grönemeyer Institut.
Das Gesundheits-IT-Unternehmen mit Sitz auf dem Gesund­heits­Campus Bochum entwickelt digitale Lösungen im Bereich des radiologischen Bilddatenmanagements, des einrichtungsweiten Managements von medizinischen Informationen und des einrichtungsübergreifenden Austauschs von Gesundheitsdaten. Es ist mittlerweile in 14 Ländern ­vertreten.
„Wir konnten damals die ganze wissenschaftliche Expertise mitnehmen und hatten auch durch das Grönemeyer Institut die Möglichkeit, direkt in die Anwendung zu gehen; das hat uns enorm geholfen“, fasst Holstein die Anfänge zusammen. Nachdem der Laden lief, kam der Gedanke auf, auch etwas zurückzugeben, und zwar genau an die, die wie VISUS Health als Start-up oder Spin-off ihren Weg erst noch finden müssen. „Wir wollten ein Ökosystem aufbauen, in dem Start-ups gut gedeihen können.“ Und weil Jörg Holstein ­seine Fühler schon vor vielen Jahren weit ausgestreckt hat, kann er auch durch seine Vorstandsarbeit bei MedEcon Ruhr und seine Mitarbeit bei Quhr Player aus diversen Netzwerken nutzen und einbinden.
Auf diesem Weg ist auch die meerkat Holding GmbH entstanden – die Firma investiert in Start-ups, fördert und ­fordert sie. Glim Skin ist z. B. so ein junges Unternehmen, das auch beim Senkrechtstarter der Bochum Wirtschaftsentwicklung gepitcht und einen Batch im WERK X bekommen hat. „Wir bekommen pro Woche zwei bis drei Pitches und/oder gehen natürlich zu Pitches“, erklärt Jörg Holstein den Weg des Aufspürens von Innovationen. Finden sich beide Seiten, sieht das Prozedere so aus: Die Start-ups bekommen Zugang zu Expert:innen und potenziellen Kund:innen, damit sie sich möglichst nah am realen Marktgeschehen mit all seinen Herausforderungen messen und sich eben auch ausprobieren können. Drei Beispiele für die Digitalisierung der Gesundheitsbranche Zu den Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen gehören der demografische Wandel und die Kostenexplosionen. Ein großer Heilsbringer der Branche ist deshalb die Digitalisierung. Sie kann nämlich den Zielkonflikt zwischen Versorgungsqualität und Kosten auflösen. Die Verheißung der Digitalisierung lautet: hochwertige, bezahlbare Versorgung für alle – auch in ländlichen Regionen.
„Wir wollten ein Ökosystem ­aufbauen, in dem Start-ups
gut ­ gedeihen können.“
Jörg Holstein, meerkat Holding GmbH
Dabei gibt es viel Nachholbedarf in Deutschland. Und genau­so viele gute Unternehmensideen. Die Agentur ­GesundheitsCampus hat begonnen, auf einer Bochum Health Map zusammenzutragen, welche Unternehmen den Standort mittlerweile bereichern. Die Wissenslandkarte gibt es unter https://healthmap.gc-bo.de. Das reicht von ­kleinen Unternehmen in der Gründungsphase bis zu etablierten Big ­Playern auf dem Markt. Wir haben drei unterschiedliche Best- Practice-Beispiele besucht:
Sichere Daten mit Edgeless Systems
Wo Gesundheitsdaten digital verwaltet werden, drängt sich die Frage der Cybersicherheit auf. Das hat die Bochumer Firma Edgeless Systems zu ihrem Geschäftsmodell ­gemacht. Die Firma verschlüsselt und schützt Daten in einer Cloud selbst während der Verarbeitung und verspricht: „Wir machen die Public Cloud zum sichersten Ort für sensible Daten.“ CEO Dr.-Ing. Felix Schuster war 2015 einer der ­ersten Forscher im Bereich Confidential Computing bei ­Microsoft Research. Er hat IT-Sicherheit in Bochum studiert und dort Thomas Tendyck kennengelernt, mit dem er heute die ­Edgeless Systems GmbH führt. „Wenn ich nicht hier studiert hätte, hätte ich auch nicht hier gegründet“, sagt Schuster, der mit seiner Firma am Stadionring sitzt und einen direkten Blick auf die Flutlichtmasten des VfL hat. Im Großraum­büro gibt es einen großen Bereich mit Sofa und Spielekonsole für kreative Pausen zwischendurch. Die Nähe zur Ruhr-Uni ­bietet weitere Vorteile: „Gut ausgebildete junge Fach­kräfte der IT-Sicherheit würden wir woanders wahrscheinlich schwerer bekommen.“
Edgeless Systems wurde 2020 gegründet, hat 20 Mitarbeiter:innen und wächst bislang stetig. „Unsere Kunden haben entweder ein besonders hohes Datensicherheitsbedürfnis, oder sie werden stark reguliert“, erläutert Schuster. Das heißt: Es sind meist große Unternehmen oder Behörden. Das interessiert naturgemäß besonders die Gesundheitsbranche. Ein großer Kunde der Bochumer Firma ist ein ­Betreiber der elektronischen Patientenakte (siehe Info-­Kasten). Auch die Uniklinik Freiburg vertraut den Experten aus Bochum: Die Klinik stand vor dem Problem, dass der Platz im lokalen Rechenzentrum nicht mehr ausreichte. Die Universitätsklinik hat sich gegen einen Ausbau des Zentrums und für eine Cloudlösung mit Edgeless Systems entschieden. ­Damit vertraut eine der größten Unikliniken Deutschlands der ­Bochumer Firma ihre sensiblen Gesundheitsdaten an.
Viele Kund:innen finden den Weg zu Edgeless Systems über ihre Beratungsfirma. „Uns erreichen zum Beispiel ­viele ­Anfrage über Capgemini“, sagt Felix Schuster. Dennoch ­suchen die Bochumer derzeit Verstärkung im Marketing. Denn wo der Bedarf an sicherer digitaler Speicherung in der Gesundheitsbranche steigt, müssen gute Lösungen noch breiter bekannt werden.
ePA – elektronische Patientenakte
Ab dem 15. Januar 2025 kommt die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten. In ihr stellen Ärzt:innen und medizinische Einrichtungen ihre Gesundheitsdaten ein. Die ePA soll zunächst unter anderem für den digital gestützten Medikationsprozess, später auch für eine Patientenkurzakte, für Arztbriefe und Laborbefunde verwendet werden. Der elektronische Medikationsplan und auch die Notfalldaten ­sollen künftig ebenso in der ePA abgelegt sein. Wer auf welche Daten in der Akte zugreifen darf, ­entscheidet der Patient. Auch kann er der Übermittlung und Speicherung von Daten widersprechen. Die ePA hat den großen Vorteil, dass ­Befunde und Diagnosen schnell zur Hand sind, wenn es darauf ankommt. Ärzt:innen können sich über die ePA austauschen und wissen beispielsweise besser über Vorerkrankungen Bescheid.
CardioCare digitalisiert die Herz-Kreislauf-Vorsorge in der Pflege
Nur einen guten Kilometer weiter Richtung Bochumer ­Innenstadt arbeitet noch jemand an einer richtig guten Idee zur Digitalisierung der Gesundheitsbranche: Michael Schreiber ist Geschäftsführer der APd Ambulante Pflegedienste in Bochum und sitzt im Gesundheitszentrum gegenüber den Augusta-Kliniken. „Mir macht es Spaß, neue Projekte umzusetzen und kreative Lösungen zu finden“, sagt er.
Sein neustes Projekt heißt CardioCare. Die Idee dahinter ist so genial wie simpel: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind laut Robert Koch-Institut die führende Todesursache in Deutschland und verursachen insgesamt etwa 40 Prozent aller Sterbefälle. Zugleich sind solche Erkrankungen gut im Vorfeld erkenn- und steuerbar, weil es viele Messparameter und bekannte Risikofaktoren gibt. Das Problem ist: Für viele Menschen über 60 Jahren ist der Gang zum Kardiologen mit Hürden verbunden – entweder ganz praktische bei pflegebedürftigen Menschen oder auch psychologische Hürden. ­CardioCare senkt all diese Hürden.
„CardioCare ­erleichtert den ­Zugang zu Patient:innen, spart Zeit und ist trotzdem ­individuell.“
Lukas Linden, Kardiologe im Augusta-Krankenhaus
Mit einfachen Messungen werden Werte wie Sauerstoffsättigung, EKG, Blutdruck, Gewicht und Befinden einfach digital erfasst. Das kann Fachpersonal in Pflegeeinrichtungen, bei ambulanten Pflegediensten, in Krankenhäusern oder auch eine Privatperson übernehmen. Bei Unsicherheiten kann ein ein Facharzt oder eine Fachärztin per Videokonferenz hinzugezogen werden. Die Daten werden automatisch in eine elektronische Patientenakte übertragen, auf die Kardiolog:innen und Hausärzt:innen zugreifen können.
Lukas Linden, Kardiologe im Augusta-Klinikum, ist von der Idee überzeugt. „Es erleichtert den Zugang zu Patient:innen, spart Zeit und ist individuell“, erklärt der Facharzt. „Man kann sehr gut mit Algorithmen arbeiten und individuelle Zielwerte festlegen.“ Sollten Werte auffällig sein, warnt das System automatisch.
„In der Pflege werden die Menschen in der Regel überhaupt nicht mehr untersucht“, sagt Fachmann Schreiber. Seine langjährige Erfahrung im Gesundheitswesen beschert ihm ein breites Netzwerk. So schließen sich für das Projekt unter anderem Hausärzt:innen, ein medizinisches Versorgungszentrum, ein Technikunternehmen und ein Pflegedienst zusammen. „Als Premium-Partnerin haben wir die Diakonie Ruhr gewonnen“, sagt Schreiber. Gemeinsam mit der Diakonie wird das Konzept jetzt getestet.
Diakonie-Geschäftsführer Jens Fritsch ist ebenso von der Idee überzeugt: „Vieles in der Telemedizin ist ja technisch sehr aufwändig“, erklärt er. „Das hier nicht. Die Technik kann mobil verwendet und mit einer Schulung auch vom Pflegepersonal direkt genutzt werden.“ Das sei ein großer Gewinn für Menschen, die nicht mehr mobil sind – ob im häuslichen Umfeld oder in ­Pflegeeinrichtungen. „Die spannende Frage für mich ist: Gibt es dafür auch einen Markt? Denn am Ende entscheiden die Angehörigen, ob ihnen diese Vorsorge das Geld wert ist.“ Das Geschäftskonzept von CardioCare erläutert Schreiber so: „Wir möchten auf dem Pflegemarkt ein weiches Franchise-System aufbauen und bringen unsere Leistung in die Einrichtung des Franchise-Nehmers.“ Dazu gehören die ärztliche Leistung, die Technik, die Schulung der Mitarbeiter:innen, Werbung, Support und Beratung. Die Technik ist zugelassen nach dem Medizinproduktegesetz. Und in diesem Jahr wurde das Projekt schon für den Telemedizinpreis in Berlin nominiert, den die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin seit 2007 vergibt. „Bei vielen Schritten auf dem Weg hat uns auch Steffi Rogg von der IHK sehr geholfen und unterstützt mit Kontakten und Know-how“, lobt Schreiber. Beim Wirtschaftsministerium hat Schreiber jetzt einen Antrag auf Förderung im „Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen“ eingereicht.
360°-Ganzkörperscanner der Dermatologie im ­St. ­Josef-Hospital
Ein Probekunde der meerkat Holding GmbH von Jörg ­Holstein ist Prof. Dr. Christoph Hanefeld, ­Geschäftsführer des Katholischen Klinikums Bochum. Er ist Partner des Ökosystems geworden und erhält auf diese Weise in einem ­frühen Stadium Zugang zu innovativen Projekten - wie zum Beispiel im Bochumer St. Josef-Hospital.
Er erinnert ein wenig an die Personen-Scanner in der ­Sicherheitskontrolle am Flughafen und kann genau wie ­diese im Ernstfall Leben retten: der 360°-Ganzkörperscanner der Dermatochirurgie im St. ­Josef-Hospital in Bochum. Über eine 3D-Aufnahme scannt das ­futuristisch aussehende ­Gerät innerhalb weniger Sekunden die gesamte Hautoberfläche der Patient:innen ab. Die anschließende Auswertung durch den behandelnden Arzt bzw. die behandelnde Ärztin dauert nur wenige Minuten. Das Ergebnis: Schnelle ­Sicherheit für Patient:innen, ob mit den Muttermalen alles in Ordnung ist. NRW-weit ist der Scanner im St. Josef-Hospital der einzige seiner Art.
„Das absolut Unschlagbare an diesem Gerät ist, dass wir in der Hautkrebsvorsorge und -nachsorge aufgrund der ­standardisierten Aufnahmen alle Hautveränderungen ­zurückverfolgen können“, erklärt Oberarzt Prof. Dr. Falk ­Bechara, Leitender Arzt der Dermatochirurgie, die Vorzüge des Scanners. „Das Entscheidende dabei: Die KI des Geräts scannt und zählt alle Hautveränderungen, erstellt dann einen Avatar des Patienten und zeigt bei einer späteren, ­zweiten Aufnahme alle Veränderungen zum Beispiel der Rand­schärfe, Farb- oder Formveränderung der Läsionen auf.“ Man kann ohne zu übertreiben von einer Revolution in der Hautkrebsvorsorge sprechen – mit zahlreichen Vorteilen für Ärzt:innen und ­Patient:innen.
Auffälligkeiten könne er dennoch per Handgerät noch nachprüfen. „Die KI gibt uns dabei per Ampelsystem eine ­Hilfe an die Hand und sortiert die Läsionen nach Größe und ­Auffälligkeiten“, so Prof. Dr. Bechara. Den entscheidenden Unterschied mache letztlich der zweite Termin: „Alle Hautver­änderungen werden beim ersten Termin gespeichert und können später mit dem Status quo abgeglichen ­werden. Davon profitieren vor allem Patienten mit sehr ­vielen ­Muttermalen und alle, die bereits einen schwarzen Hautkrebs ­hatten.“
Die Befürchtung, sich allein dem Computer und der künstlichen Intelligenz auszuliefern, muss bei dieser Art der Hautkrebsvorsorge aber niemand haben. „Ohne Arzt geht es nicht“, betont Prof. Dr. Bechara. „Sich irgendwo reinstellen und keinen Arzt sehen – das will keiner. Die Arztkontrolle ist wichtig. Außerdem muss an bestimmten Stellen wie den Fußsohlen oder an Genitalien ohnehin separat durch den Arzt kontrolliert werden.“ Allerdings kann sich der Dermatologe vorstellen, dass solche Ganzkörperscanner langfristig vor allem dort aufgestellt werden, wo es keine dermatologische Versorgung gibt, beispielsweise in ländlichen Gebieten. „Die Bilder würden dann an die nächste Uniklinik gehen, wo sie professionell ausgewertet werden.“
„Durch die ­Digitalisierung können wir ­Menschen viel ­effizienter ­einsetzen.“
Jörg Holstein, meerkat Holding GmbH
Das alles ist nur ein winziger Teil der Innovationsfreude in der Gesundheitsbranche im Ruhrgebiet. Das Zusammenspiel ­aller macht es aus – und die Größe der Spielwiese im Ruhrgebiet ist enorm – allein durch die breite Hochschullandschaft, und die offene Versorgungslandschaft der ­Kliniken, die sehr innovationsfreundlich sind. Natürlich steht und fällt alles mit Partner:innen, die beratend zur Seite stehen, wie auch die IHK Mittleres Ruhrgebiet mit der Branchenreferentin ­Stefanie Rogg und der fachpolitischen Sprecherin der IHK NRW, Sandra Schmitz (siehe 3 Fragen an). Die Außenhandelskammern (AHK) unterstützen ebenso, indem sie zum Beispiel Delegationsreisen für Start-ups anbieten, um Investor:innen und Anbieter:innen zusammenzubringen.
Und bei allem ist besonders die Digitalisierung der ­Branche wichtig: „Wir sehen, dass unser Gesundheitssystem an ­seine Grenzen stößt. Durch die Digitalisierung können wir ­Menschen viel effizienter einsetzen“, sagt Jörg Holstein. Das ist auch der Ansatz von Dietrich Grönemeyer. Er setzt sich für die Stärkung und den Ausbau der vorhandenen Ressourcen ein, beispielsweise in der Telemedizin. Auch hier gibt es ein Erfolgsmodell, das Holstein seinerzeit noch mit VISUS Health mitinitiiert hat: die MedEcon Telemedizin, die Bilddaten vollständig digitalisiert und transferiert. Mittlerweile sind 800 Kliniken hieran angeschlossen. Eigentlich ist alles da – aber woran hapert es? Natürlich an der Finanzierung. „In die IT im Gesundheitswesen wird nicht richtig ­investiert“, merkt Holstein an. „Es ist eben keine Kostenstelle, sondern eine strategische Investition. Die IT-Budgets in deutschen Kliniken liegen bei zwei Prozent. In den Niederlanden sind sie doppelt so hoch.“
Zudem ist die innovative Spannbreite in der Branche enorm. Von der Facharztpraxis, die noch mit Fax kommuniziert, bis zur KI-gestützten Anwendung im Krankenhaus ist alles ­dabei. „Und wenn dann Geld für eine KI ausgegeben wird, aber ich diese nicht richtig nutzen kann, weil die Basis fehlt, ist das in der Tat schräg“, konstatiert Holstein.
Ein anderes Beispiel: „Viele Krankenhäuser investieren in teure Software, haben sich aber noch nicht die Abschlussfinanzierung gesichert“, merkt der heutige Geschäftsführer von VISUS Health, Andreas Kaysler, an. Doch Kaysler sagt auch: „Bochum macht schon extrem viel richtig – es ist ein lebendes Ökosystem rund um Forschung, Lehre, aber auch Wirtschaft – das ist schon einigermaßen einzigartig in ­dieser Ausprägung in Deutschland.“

3 Fragen an Sandra Schmitz

Sandra Schmitz ist fachpolitische Sprecherin für die ­Gesundheitswirtschaft bei IHK NRW.
1. Warum ist es wichtig, eine fachpolitische Sprecherin für die ­Gesundheitswirtschaft zu haben?
Wir unterstützen, vertreten und vereinen die ganze Bandbreite der ­Gesund­heitswirtschaft, das sind ja nicht nur Krankenhäuser und Ärzte, sondern das ist viel mehr. Alle Wirtschaftszweige, die hier beteiligt sind, bringen wir zusammen und können so auch die ganze Vielfalt abbilden. Das Pfund, das wir als Kammern haben, ist unser enger Kontakt zum ­Ministerium und natürlich auch die Vernetzung mit der DIHK. Wir können schnell agieren, Stellungnahmen platzieren und so unserer Sprachrohr-Funktion für unsere Unternehmen nachkommen.
2. Was ist noch verbesserungswürdig in der ­Gesundheitswirtschaft?
Wir brauchen Rahmenbedingungen, die sich dem Speed und der Taktung in der Branche angleichen. Wir sprechen z. B. schon ewig über die elektronische Gesundheitsakte - es haben sich bis heute nur kleine Stellschrauben verändert, und jetzt endlich nach zehn Jahren wird sie 2025 eingeführt.
3. Sie sind seit Februar im Amt. Was packen Sie zuerst an?
Ich möchte eine Lanze für die Breite der Gesundheitswirtschaft brechen, aber gleichzeitig zeigen, was wir hier im Ruhrgebiet für ein Wirtschaftspotenzial haben. Wir planen für 2025 eine Studie, welche die gesamte Landschaft der Gesundheitswirtschaft in NRW abbildet und auch zeigt, wie viele Arbeitsplätze eigentlich in dem Sektor verortet sind. Die Gesundheitswirtschaft steht vor großen Herausforderungen und Chancen. Themen wie künstliche Intelligenz, der Mangel an Fachkräften und notwendige Reformen prägen die Branche und erfordern innovative Lösungen für die Zukunft. Auch hierin sehe ich wichtige Anknüpfungspunkte. Und dem Thema Internationalisierung werden wir ebenfalls Raum geben. Was können wir im internationalen Kontext geben, und wo können wir noch lernen? Die Außenhandelskammern sind hier auch sehr umtriebig, und hier wäre es großartig, wenn man sich in NRW mit allen Kammern zusammentun könnte. Wir könnten viel mehr mit unserer Vielfalt in NRW punkten – wir schöpfen noch nicht alle Potenziale voll aus.