Die Natur als Wirtschaftsfaktor

Im Süden von Hattingen ist eines der landschaftlich reizvollsten Gebiete Nordrhein-Westfalens: die Elfringhauser Schweiz. Hier kann man die Natur erleben, sportlich aktiv sein, gut essen und trinken, zusammenkommen und die Freizeit genießen. Damit das gut klappt, haben die Unternehmen hinter den Kulissen eine Menge Arbeit. Wir haben auf unserem Streifzug fünf Orte im Hattinger Hügelland besucht und den Menschen dort über die Schulter geschaut.
Von Christina Kiesewetter (Text) und Volker Wiciok (Fotos)

Bergerhof

Auf der großen Heuburg toben Kinder, andere füttern Ziegen mit Möhren. Weiter unten auf dem Bergerhof sitzen Senior:­innen auf Holzbänken und frühstücken, anderen starten gerade zu einer Wanderung durch die Wälder im Hattinger Hügelland. Mittendrin sitzt Familie Reuter und schaut dem Treiben zu. Das hier ist nicht nur ihr Job, das ist ihr Zuhause, denn alle wohnen auch auf dem Bergerhof.
Drei Generation sitzen zusammen: Heinrich-Rudolf Reuter (75), Tochter Katharina (40) und Enkel Tim (18).
„Meine Eltern sind immer offen für Neues, deshalb klappt die Zusammenarbeit richtig gut“, erzählt ­Katharina, die als gelernte Steuerfachangestellte die Betriebsabläufe lenkt. Ihr ­Bruder Dominik leitet als Metzgermeister die Landschlachterei auf dem Hof. Und Sohn Tim fängt gerade an, den Verkauf von Kaminholz und der Eier zu seinem Geschäft zu machen. 
Opa Heinrich-Rudolf sieht das gerne, denn er findet, dass ­junge Menschen heute meist viel zu spät ins ­Berufsleben starten. „Meine gesamte Schulklasse hat damals mit 14 ­Jahren angefangen zu arbeiten, alle haben sich praktisch ausprobiert“, erinnert er sich. „Kaum einer ist in dem Beruf geblieben, mit dem er angefangen hat, aber die frühe ­Praxis hat allen gut getan“, ist der Landwirt überzeugt. Auch er hat den Hof gemeinsam mit seiner Frau immer weiterentwickelt. „Ich muss sagen, der Prickings-Hof von Bauer Ewald in Haltern hat mich geprägt. Mit 18 war ich das erste Mal dort und fand die Idee toll, Landwirtschaft erlebbar zu machen und Besucher auf den Hof zu holen“, sagt Heinrich-Rudolf Reuter. Schon 1960 hat das Ehepaar die Rinderhaltung aufgegeben und ist in die ­Direktvermarktung eigener Produkte ab Hof gegangen. Damals wurden vor allem Eier ausgefahren. „Doch je ­kleiner die Familien wurden, desto weniger lohnte sich das.“ 
Deshalb hat das Paar Mitte der 80er Jahre damit begonnen, den Aufenthalt auf dem Hof selbst zum Erlebnis zu machen. Auf dem 30-Hektar-Betrieb entstand ein eigenes Imbisshäuschen – ein innovatives Konzept. Essen und Getränke am Imbiss kaufen und sich damit auf einer der vielen Holzgarnituren auf der Wiese niederlassen. Landwirte der Umgebung haben das zum Teil kritisch beäugt, sprachen davon, dass eine Landwirtschaft kein Freizeitpark sei und die schöne Natur besser unberührt bleibe von zu viel Tourismus.
Die Eheleute Reuter haben das immer anders gesehen. Sie wollen ihr schönes Stück Natur mit Menschen teilen, die hier Erholung vom hektischen Alltag suchen. ­Dafür machen sie Angebote, die Leute ins Grüne locken, letztlich auch auf die Wanderwege. „Aber die Angebote müssen schon zu uns passen. Mais-Labyrinth, Kaninchenstreicheln, Ponyreiten – das bieten wir gerne für Familien an“, erklärt ­Katharina Reuter das Konzept. „Aber wir würden natürlich kein Karussell oder andere Freizeitpark-ähnliche Dinge aufbauen.“ Familie Reuter hat viele Ideen, wie sie den Hof weiterentwickeln kann.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Sie und das Team aus 40 Mitarbeiter:innen kommen an die Grenzen der Belastbarkeit. Der Bergerhof hat täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet und nur um Weihnachten herum ein paar Tage ­geschlossen. Es gibt Ziegen, Schafe, Hühner, Esel, Pferde und Kaninchen, die versorgt sein wollen, die Hälfte des 30-Hektar-Betriebs ist Waldgebiet, das bewirtschaftet werden muss. Auch im Hofladen ist immer Betrieb, Großmutter Hannelore Reuter macht die meisten Marmeladen und Gelees immer noch selbst. „Erst neulich musste ich Oma in der Baggerschaufel nach oben heben, damit sie die Holunderblüten pflücken kann“, erzählt Enkel Tim schmunzelnd. Ich wollte ihr das abnehmen, weil es gefährlich ist, aber sie hat mich nicht gelassen.“ Sie ist ja auch erst 74 Jahre jung!
Noch ein anderes Großprojekt liegt Ehemann Heinrich-­Rudolf am Herzen: Der Bergerhof hat nach eigenen Angaben 1991 die erste Windkraftanlage im Ruhrgebiet aufgebaut. Sie deckt nicht nur den Strombedarf des gesamten Bergerhofs, sondern liefert zusätzlich überschüssigen Strom an den örtlichen Energieversorger. Eine weitere Windkraftanlage für die Stromversorgung von 1500 Familien wurde im Jahre 2010 in Betrieb genommen. Außerdem steht auf dem Bergerhof eine Photovoltaik-Anlage, die bis zu zehn ­Kilowatt liefert. Großvater und Enkel wollen gemeinsam eine weitere Windkraftanlage planen.
Ohnehin gehen die beiden öfter ­gemeinsam über den Hof, und der Großvater erklärt, wo ­welche Stromleitung verläuft und wo die Wasserleitung liegt. „Ich weiß das alles, weil ich dabei war. Solange ich kann, gebe ich mein Wissen weiter.“

Landhaus Preuß

Nur 2000 Meter vom Bergerhof entfernt liegt das Landhaus Preuß, früher Landhaus Siebe. Erst seit März 2023 trägt das Traditionshaus den neuen Namen. Dirk Preuß (57), Eigentümer des Landhauses, hatte das Haus vor elf Jahren gepachtet und sich 2022 dazu entschieden, es zu kaufen. Mit fast 35 Jahren Berufserfahrung als Koch und Gastronom möchten er und seine gesamte Familie den Gästen gutbürgerliche Landhausküche mit ­stetig wechselnden saisonalen Zusatzgerichten bieten. 
Das Restaurant verfügt über 70 Plätze im Innenbereich sowie knapp 220 Plätze auf der wunderschönen Sonnenterrasse mit einem Idyllischen Blick in die Landschaft.
Sohn Dominik treibt das Geschäft mit der Eventscheune voran. Sie wird vor allem für Hochzeiten gebucht, aber auch für Familien- und Firmenfeiern jeder Art ab 60 ­Personen. Die Scheune ist urig ausgestattet mit viel Holz, einem ­Kachelofen und alten Wagenrädern. Den modernen Kontrast ­bietet die zeitgemäße Licht- und Soundtechnik, die ­Dominiks ­Lebenspartner mit seiner Firma Eventiks GbR beisteuert. Es gibt zwei Buffet-Räume, eine eigene Theke und eine Tanzfläche.
„Wir bieten auf Wunsch auch eine freie Trauung bei uns vor der Scheune an – und dies sogar ohne zusätzliche Kosten“, erzählt Dominik Preuß. „Wir haben hier einen wunderschönen Platz mit einem ganz tollen ländlichen Ausblick für die Trauung“, sagt er und zeigt in die Landschaft aus Wiesen und Wäldern. Dabei macht der 32-Jährige keine Pauschalangebote. „Jede Hochzeit ist individuell; und ich nehme mir viel Zeit für die Vorgespräche mit den Paaren.“ So habe es schon einmal eine Hochzeit mit komplett veganem Buffet gegeben. „Wir versuchen, alles möglich zu machen.“
Dominik Preuß ist mittlerweile auch bestens vernetzt in der Hattinger Hochzeitsszene, denn seine Eventscheune ist Veranstaltungsort für die Herbstmesse „Hattingen heiratet“. Viele Partner aus der Umgebung vom Juwelier über die Konditorei, Braut- und Bräutigam-Moden, Frisur und Make-up, Fotografie und Floristik bis hin zur perfekten Deko bieten hier alles an einem Ort an. Das bedeutet auch: Wenn er ­Paare ­berät, hat er direkt die richtigen Kontakte an der Hand für alles, was er im Landhaus Preuß nicht selbst anbieten kann. Mit elf Doppelzimmern, einem Familien- und drei Einzelzimmern ist vor Ort auch genug Platz für Übernachtungsgäste. Wie Dominik Preuß über die Vorbereitungen großer Feier­lichkeiten redet, daran merkt man – dafür schlägt sein Herz. „Es passt auch deshalb prima zu mir, weil ich eine Nachteule bin“, sagt er gutgelaunt. Seine Schwester ­Jenny ist acht Jahre älter und legt den Schwerpunkt auf die ­Büroarbeit im Betrieb. Gerade ist sie noch in Elternzeit. 
Aber Dominik Preuß kann noch mehr. Zum Abschluss ­dürfen Reporterin und Fotograf seine Backkünste nach altem ­Familienrezept probieren. Mandarinen-Schmand- und Käsekuchen. Deshalb darf an dieser Stelle glaubhaft versichert werden: Es lohnt sich sogar, für ein einziges Stück Kuchen im Landhaus Preuß Station zu machen. Auch die hausgemachten Waffeln nach Omas Rezept sind heiß begehrt.

Nüfer Hof

Im Sommer ist es beschaulich auf dem Nüfer Hof. Kein ­Vergleich zur Vorweihnachtszeit, wenn hier 15 000 Leute in sechs Wochen empfangen werden, die sich einen Weihnachtsbaum aussuchen. Das heißt aber keineswegs, dass Lennart Nüfer jetzt Ferien machen kann. Er hat alle Hände voll zu tun auf ­seinen 54 Hektar Waldfläche. Die Bäume wachsen nicht von allein so formschön. Mit dem Jeep fährt er in den Wald und zeigt an den jungen Bäumen, wie sein Arbeitsalltag aussieht.
Die Tannen gehen ihm ­gerade bis zum Knie. „Mit dieser Spezialzange kneife ich in den ­oberen Bereich des Stammes. So wächst der Baum langsamer in die Höhe und bekommt mehr Seitenknospen“, erklärt er. Damit verhindert er, dass die Bäume unten buschig und oben recht kahl sind. Denn die kauft keiner. Mit einem machetenartigen Messer raspelt er außerdem die Äste an den Seiten ab, die oben länger werden als unten. So sollen die Tannen zu perfekten Kegeln wachsen.
Elfringhauser Schweiz oder Hattinger Hügelland?

Das Wandergebiet im südlichen Hattingen wird gemeinhin als Elfringhauser Schweiz bezeichnet. Streng genommen gilt dieser Begriff aber nur für den südwestlichen Teil, in dem die beiden Hattinger Stadtteile Oberelfringhausen (gut 7 km²) und Niederelfringhausen (knapp 5 km²) liegen. Oberstüter auf der südöstlichen Seite gehört nicht mehr dazu. Dort liegt aber zum Beispiel der Bergerhof. Deshalb spricht man für das gesamte Naherholungsgebiet mit zwei tiefen Bachtälern – dem Deilbachtal und dem Felderbachtal – eingerahmt von teilweise 300 Meter hohen Erhebungen touristisch mittlerweile einfach vom Hattinger Hügelland.
Den Hof hat der gelernte Gartenbauer Nüfer in dritter ­Generation. Sein Vater ist 78 und hilft bei leichteren Arbeiten ­immer noch mit. Mitarbeiter Kevin ist mit Lennart Nüfer das ganze Jahr über in der Baumpflege und -aufzucht unterwegs. Auch Tochter und Ehefrau helfen mit. „Aber mit der Zeit habe ich mir auch mehr Hilfe von außen geholt. Das Einpflanzen übernimmt jetzt ein professioneller Landschaftsgärtner. Das macht sich schon bemerkbar, die Pflanzung ist schön gerade und strukturiert“, sagt der Hof-Chef augenzwinkernd.
„Ohnehin macht mir das hier gerade viel Freude“, meint er und lässt den Blick über die vielen kleinen Nordmanntannen und die Wiesen des Hattinger Hügellandes schweifen. „Die Tannen ­sehen dieses Jahr so gut aus wie schon lange nicht mehr.“ Aber leider braucht er auch gerade Hilfe bei einem anderen Großprojekt: dem Buchensterben. Überall stapeln sich auf seinem Gelände gefällte Buchen. Und beim Blick in die Kronen der verbliebenen Bäume seufzt Nüfer immer wieder auf. „­Sehen Sie, da oben fehlen auch schon die Blätter, der stirbt auch.“ Das bereitet nicht nur dem Waldliebhaber Nüfer schmerzen, sondern auch dem Geschäftsmann. Denn wenn so viele ­Bäume auf einmal gefällt werden, müssen sie auch schnell in den Verkauf. Großes Angebot, günstiger Preis. „Und dann fehlt mir dieser Umsatz über Jahre und Jahrzehnte“, erklärt er. „Hier sind in wenigen Tagen bis zu 1500 Meter Buche gefallen.“
Vor allem ältere Buchen sterben, weil sie die langen Trockenphasen als Tiefwurzler nicht verkraften. Denn die tieferen Bodenwasserspeicher sind leer. So werden nicht genügend Feinwurzeln gebildet, die für die Wasserversorgung erforderlich sind. Die Tannen sind da viel robuster, aber auch bei ihnen experimentiert Lennart Nüfer mit neuen Arten. Nobilis-Tanne und der Colorado-Tanne wachsen gerade auf seinem Gelände, und er beobachtet genau, ob sie sich für den Weihnachtsbaumverkauf eignen. Wenn er nach mehreren Arbeitstagen nur mit sich und den Bäumen  ein bisschen Gesellschaft vertragen kann, ­widmet sich Nüfer seinem anderen Sommer-Geschäftszweig: den Planwagenfahrten. 15 bis 35 Personen haben Platz im ­großen Planwagen. Zur Grundausstattung gehören Getränke und Knabbereien, zubuchbar sind Kaffee und Kuchen sowie ­Gegrilltes im Anschluss im Holzhaus des Hofes. Gebucht wird der Spaß von Junggesellenabschieden, Vereinen, Familien und Firmen. Zwei Stunden fährt Lennart Nüfer die Gruppen durch die Elfringhauser Schweiz oder zu einem bestimmten Veranstaltungsort.
Und wenn er sich Samstag und Sonntag über den Trubel und die gute Laune der Leute gefreut hat, ist es am Montag wieder Zeit, bei seinen Bäumen draußen zu sein und nur die Vögel im Ohr zu haben.  

Bandwebereimuseum

In eine längst vergangene Zeit taucht man mitten in Elfring­hausen ein: Der Bürger-, Heimat- und Verkehrsverein ­Elfringhausen e. V. (BHV) unterhält seit 1996 nur mit ehrenamtlichen Helfer:innen das Bandwebereimuseum. Friedhelm Pöthmann ist der letzte Bandweber, der die alten Maschinen dort – in der ehemaligen Feuerwache – noch bedienen und erklären kann. Eine davon hat er sogar selbst gebaut. „Wir haben damals in Elfringhausen bei den Engpässen der großen Produktionen in Wuppertal und Langenberg geholfen“, erzählt der 85-­Jährige. „Manchmal haben wir Tag und Nacht gearbeitet, wenn 200 000 Meter Band in kürzester Zeit fertig werden mussten.“
1961 gab es noch 29 Weber mit 63 Bandstühlen in Elfringhausen. Die riesigen Ungetüme waren im eigenen Haus untergebracht. „Das hatte schon Vorteile, man konnte mit Schluppen zur Arbeit gehen“, erzählt Pöthmann verschmitzt. „Aber es war auch laut zu Hause.“ Wie er das meint, versteht man sofort, wenn er eine der Maschinen anwirft. Unterhalten kann man sich nicht mehr bei einem solchen Getöse.
Während die Bandwirker in Oberelfringhausen Baumwolle und Leinen verarbeiteten, verwebten sie in Niederelfringhausen hauptsächlich Seide. Das alles waren vor allem Bänder, die in Damenmode verarbeitet wurden. Es kam nicht selten vor, dass Friedhelm Pöthmann in der Kleidung von Bekannten seine gewebten Bänder wiedererkannte. Bis 1970 ernährte sich rund die Hälfte der ­Elfringhauser durch den Weberberuf. Angetrieben wurden ihre ­Maschinen zunächst von Hand, später durch ­Wasserkraft, dann mit Benzinmotor und ab 1911 mit Elektromotor.
Jennifer Krieger, Vorsitzende des BHV, ist sehr froh, dass Friedhelm Pöthmann die Webstühle noch ­fachgerecht ­erklären kann. Die 43-Jährige führt den Verein seit drei ­Jahren und will das Bandwebermusem so lange wie ­möglich lebendig halten. Schon jetzt öffnet es nur noch auf ­Nachfrage. „Ich habe vor 25 Jahren in dieses Örtchen eingeheiratet und engagiere mich gerne für Elfringhausen.“ Mitte August organisiert der Verein wieder das Heimatfest, bei dem das ganze Dorf auf den Beinen ist. Friedhelm ­Pöthmann produziert dafür im Museum gerade Bänder mit der Aufschrift „Wir in Elfringhausen“, die als Einlassbändchen ­genutzt werden. „Die sind immer total beliebt“, weiß Jennifer Krieger. „Das ist einzig­artig bei uns.“
Aber es ist natürlich nicht alles nur romantisches Dorfleben in Elfringhausen. Die rund 3000 Einwohner:innen haben hier seit sechs Jahren keinen ÖPNV mehr, die Busverbindung wurde eingestellt. Grundschulkinder müssen mit dem Auto zu ihren Schulen gebracht werden, auch Senior:innen ohne Auto haben Probleme. Der Verein hat deshalb mit großem ­Erfolg und mit Hilfe von Spenden ein rollstuhlgerechtes ­Seniorenauto angeschafft und sechs ehrenamtliche ­Fahrer:innen, die auf Abruf bereitstehen. „Das wird wirklich rege genutzt“, sagt Jennifer Krieger begeistert.
Es ist nicht nur praktisch, es bringt die Menschen im Dorf auch zusammen. Auf der Fahrt wird geplaudert, man nimmt Anteil am Leben der anderen. Auch das ist am Ende ein Wirtschaftsfaktor: eine funktionierende Dorfgemeinschaft, die ohne große infrastrukturelle Hilfe ihrer Kommune selbst anpackt, kreativ ist und ihr Dorf so lebenswert macht, dass Tourist:innen hier gerne unterwegs sind.

Zum Hackstück

Der ältere Herr mit Stock setzt sich vorsichtig neben die ­Reporterin im Frühstücksbereich des Hackstücks. „Ich habe hier gestern den 13. Platz beim Preisskat von der Gewerkschaft der Polizei gemacht“, erzählt er stolz. „Es ist richtig schön hier. Wir haben hier übernachtet und jetzt werde ich wieder zurück in die Eifel gefahren, wo ich wohne.“ Ein anderes Ehepaar wohnt ums Eck und kommt nur zum Frühstücken hierher. Beim Eintritt mustert es die Werbung für die Veranstaltungsformate und ­Angebote im Hackstück. „Ein extra Einschulungsbuffet? Bei uns gab es damals nur Kaffee und Kuchen zu Hause“, sagen sie lachend.
Alltag im Hackstück. Die Menschen kommen zum Frühstück sogar aus dem Bergischen und dem Sauerland hierher, Tagungsgäste arbeiten in den Konferenzräumen und genießen abends die Natur, Radfahrer:innen machen hier Station auf einer größeren Route. „Wir sind beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub als „Bett+Bike“-Hotel registriert, haben Ladestationen, Unterstellmöglichkeiten und sogar einen Reparaturservice“, sagt Inhaber Harald Hugenbruch. Das Vier-Sterne-Hotel hat 60 Betten und mehr als 40 ­Mitarbeiter:innen. Frau und Sohn helfen in der Küche, die Schwiegertochter leitet die Rezeption. 20 000 ­Quadratmeter ist das Gelände groß, sehr gepflegt und hat einen ­eigenen Gärtner. Harald Hugenbruch ist seit über 40 Jahren im Hackstück, seit 2005 führt er das Hotel allein und lebt auch mit seiner Familie hier. „Anders geht das auch gar nicht! Das ist eine 24-Stunden-Job an sieben Tagen die Wochen.“ 
Das sagt der Geschäftsmann aber keineswegs gestresst, denn das Hackstück ist sein Leben, das Team ist ­seine ­Familie, die Gäste sind so etwas wie Hausbesuch. „Wir ­machen immer noch 95 Prozent unserer Buchungen per ­Telefon, und eine Buchung dauert mindestens zwei ­Minuten.“ Oft höre er im Vorbeigehen den telefonierenden Mitarbeiter:innen zu: „Ist Ihr Hund wieder gesund?“ „Wie alt ist Ihr Ältester jetzt schon?“ „Wieder Ihr gewohntes Zimmer?“ Dann geht ihm das Herz auf. Aber Hugenbruch geht auch mit der Zeit. Krimi-Dinner, Einschulungsfeier all inclusive, Edelbrand-Menü, Geisterstunde zu Halloween, Neujahrs-Brunch – mit besonderen Veranstaltungen hat sich das Haus einen Namen gemacht. Es gibt ­Extra-Karten zur Spargelzeit, zu Weihnachten und Ostern, im Herbst gibt es Wild- und ­Gänsebuffet.
Die größte Bekanntheit hat das Hackstück aber regional durch Orkantief Friederike 2018 erlangt. Damals ist die markante 200 Jahre alte Linde vor dem Haus auf einen Anbau gefallen, schlug durchs Dach und richtete einen Versicherungsschaden von 150 000 Euro an. Zum Glück fiel der Baum, bevor das Restaurant mittags öffnen sollte. Viele nahmen Anteil oder kamen als Schaulustige vorbei. „Wir werden heute noch regelmäßig darauf angesprochen von Gästen, das hat viele Menschen bewegt.“

Als der ältere Herr mit Stock abgeholt wird, um in die Heimat in der Eifel aufzubrechen, dreht er sich noch einmal um und verabschiedet sich: „Ich bin nächstes Jahr wieder hier. Und dann will ich noch eine bessere Platzierung beim Preisskat!“
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